Rechts vor links - Was gilt auf Parkplätzen?

Rechts vor links - Was gilt auf Parkplätzen?

BGH zu Verkehrsregeln auf Parkplätzen

Stell Dir vor, Du hast deine Einkäufe verpackt und parkst aus, um den Parkplatz zu verlassen. Noch auf dem Parkplatz kommt ein Auto heran, das geradeaus fährt, Du kommst von rechts – Wer hat Vorfahrt? Wahrscheinlich würdest Du jetzt die „Rechts vor links-Regel“ beachten und fahren, oder? In jedem Fall ist Vorsicht geboten, denn die automatische Annahme, auf dem Parkplatz gelte rechts vor links, kann unerfreuliche Folgen haben. Schon mehrere solcher Unfälle landeten vor Gericht. Einer davon ging jetzt sogar bis vor den BGH.

Worum geht es?

In dem Fall ging es um zwei Lübecker Autofahrer, die auf einem Baumarktparkplatz im Einmündungsbereich von zwei Fahrgassen zusammenstießen. Aufgrund eines parkenden Sattelzuges, der die wechselseitigen Blickfelder eingeschränkt hatte, hatten sich die Fahrer nicht bemerkt.

Der Fall kam zunächst vor das Amtsgericht in Lübeck. Der Fahrer des PKW, der geradeaus fuhr, klagte auf Ersatz des für ihn entstandenen Schaden an seinem Mercedes in Höhe von 3.242,66 €. Der Kläger behauptete, der andere Fahrer sei mit weit überhöhter Geschwindigkeit von ca. 45 km/h gefahren und habe ihm zudem die Vorfahrt genommen.

Das Amtsgerichts entschied, dass Kläger und Beklagter als Gesamtschuldner mit einer Quote von 70 % – 30 % zu Lasten des Beklagten haften. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass zwar keine Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten vorliege, da die Vorfahrtsregelung des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO auf dem Parkplatz keine Anwendung finde. Allerdings habe der Beklagte gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h und damit deutlich schneller als Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Jedoch habe auch der Kläger gegen das Gebot des Fahrens mit Schrittgeschwindigkeit verstoßen, so dass in der Gesamtabwägung eine Haftungsquote festzusetzen sei.

Der Kläger legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein. Auf öffentlichen Parkplätzen sei nach seiner Auffassung die Vorfahrtsregelung „Rechts vor Links“ sehr wohl anwendbar. Deshalb trete ein von ihm eventuelles Mitverschulden gegenüber dem Verschulden des Beklagten vollständig zurück.

Rechtsprechung bisher uneinig

Tatsächlich gab es auch Gerichte, die eine andere Auffassung vertraten. So bejahte das Landgericht Wiesbaden im Dezember 2021 in einem vergleichbaren Fall einen Vorfahrtsverstoß. Nach Ansicht des Landgerichts sei die Vorschrift des § 8 Abs. 1 StVO auf dem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar, wenn dieser Straßencharakter besitze. Entscheidend dafür sei die sich den Kraftfahrern bietenden baulichen Verhältnisse, insbesondere die Breite der Fahrspuren sowie ihre Abgrenzung von den Parkboxen. Das Amtsgericht hatte hier bei den Fahrspuren des Parkplatzes einen Straßencharakter angenommen. Doch das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) hob auch in dem Fall das Urteil ein halbes Jahr später auf und verneinte einen Vorfahrtsverstoß, da die Regel auf Parkplätzen eben keine Anwendung fände (OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.06.2022 - 17 U 21/22.) Über den Lübecker-Fall entschied in der Berufung das LG Lübeck, welches die Auffassung des AG teilte.

Der Kläger war sich offenbar weiterhin seiner Sache sicher und ging bis zum BGH. Doch auch die Richter in Karlsruhe kamen zu dem Schluss, dass die „Rechts-vor-links-Regel“ auf Parkplätzen grundsätzlich keine Anwendung fände. Auf dem Parkplatz sei jeder Fahrzeugführer verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen. Es gelte vordergründig die allgemeine Rücksichtnahmepflicht, § 1 Abs. 2 StVO und nicht pauschal § 8 Abs. 1 Sa. 1 StVO.

§ 8 Abs. 1 Sa. 1 StVO gelte auf Parkplätzen nur, wenn die Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter aufwiesen und es sich damit um eine Kreuzung handle. Dies sei auf einem Parkplatz jedoch eine Ausnahme. Eine solche läge nur vor, wenn zwei Straßen sich schnitten. Es fehle dem betroffenen Parkplatz jedoch an einem eindeutigen Straßencharakter. Dazu der BGH:

„Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO (“rechts vor links”) findet auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.“

Die Richter in Karlsruhe betonten, dass auch zukünftig Fahrer intuitiv die „Rechts-vor-links-Regel“ anwenden. Deshalb sei die allgemeine Rücksichtnahmepflicht besonders wichtig und die Fahrer müssten sich untereinander verständigen.

Fahrzeugführer und Fahrzeughalter Haftung

In der Klausur müssen Studierende bei Fallkonstellationen mit einem PKW an die §§ 7 und 18 StVG denken. Es macht einen Unterschied, ob sich der Anspruch gegen den Fahrzeughalter oder Fahrzeugführer richtet. Der § 7 StVG regelt die verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters für Schadensersatzansprüche. Halter ist, wer das Fahrzeug auf eigene Rechnung hält und die Verfügungsgewalt darüber hat. Rechtsfolge des § 7 StVG ist der Schadensersatz nach allgemeinen Regeln, wobei die §§ 9 bis 13 StVG zu berücksichtigen sind. Der § 18 StVG regelt die Haftung des Fahrzeugführers aus vermutetem Verschulden. Verschulden meint Vorsatz oder jede Art der Fahrlässigkeit, vgl. § 276 BGB. Das Verschulden wird jedoch vermutet. Dies ergibt sich aus der Negativformulierung des § 18 I 2 StVG, sodass eine Beweislastumkehr vorliegt.

(BGH, Urteil vom 22. November 2022 - VI ZR 344/21)