AG Freiburg – Eine Protestaktion der Klimaaktivisten – zwei Urteile

AG Freiburg – Eine Protestaktion der Klimaaktivisten – zwei Urteile

Auf die Rechtsansichten kommt es an

Eine Protestaktion, ein Gericht, zwei Urteile. Das AG Freiburg hatte über eine Aktion von Klimaaktivisten zu entscheiden. Die Urteile sind überraschend unterschiedlich. Ein Richter entschied sich dazu, den Klimaaktivisten freizusprechen. Die Richterin des anderen Urteils verhängt mit dem Urteil eine empfindliche Geldstrafe. Wie kann das sein?

Was war geschehen?

Am Morgen des 07.02.2022 blockierten Klimaaktivisten des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“, darunter die beiden später Angeklagten, eine vielbefahrene Straße in Freiburg. Mit der Aktion wollen sie unter anderem auf das Problem der Lebensmittelverschwendung aufmerksam machen. Die Versammlung war nicht angemeldet, auch die Polizei hatte keine Informationen über die Aktion. Die Aktivisten blockierten die Fahrbahn, sodass die Autofahrer zum Warten gezwungen waren und sich ein Rückstau bildete. Einige Demonstranten klebten ihre Handflächen an der Fahrbahn fest. Dabei achteten sie jedoch darauf, dass die Möglichkeit für eine eventuelle Rettungsgasse blieb. Ein sogenanntes „Deeskalationsteam“ kam mit den betroffenen Autofahrern ins Gespräch und verteilte Flyer mit der Bitte um Entschuldigung. Als die Polizei eintraf und die Räumung der Straße anordnete, leisteten die Demonstranten den Anordnungen der Polizei zunächst nicht Folge. Schließlich trugen die Beamten die friedlichen Aktivisten von der Fahrbahn. Zahlreiche Autofahrer konnten ihren Arbeitsplatz durch den Vorgang erst verspätet erreichen.

Eine weitere Aktion fand am Morgen des 11.02.2022 statt. Auch hier blockierte der Angeklagte mit weiteren Personen eine Straße. Die Aktion war weder angemeldet noch der Polizei bekannt gegeben. Als die Polizei eintraf, weigerte sich der Angeklagte, die Fahrbahn zu verlassen. Er wurde schließlich von den Polizeibeamten von der Straße getragen. Auch durch diese Aktion kam es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und viele Autofahrer konnten ihre Termine nur verspätet wahrnehmen.

Einige Tage später kam es erneut zu einer Protestaktion, an der der Angeklagte beteiligt war. Die Demonstranten blockierten die Fahrbahn. Die Polizeibeamten trugen sie weg, um die Fahrbahn wieder freizugeben. Es kam ebenfalls zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen.

Ziel der Protestaktionen war es zum einen, auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Außerdem sollte der zu hohe CO₂-Ausstoß kritisiert werden. Die Mitglieder des Aktionsbündnisses sind der Ansicht, dass die Bundesregierung sich mehr für den Klimaschutz einsetzen müsse.

Ansicht des Gerichts des ersten Urteils

Das Gericht sah den Nötigungstatbestand gemäß § 240 Abs. 1 StGB als erfüllt an. Dabei verweist es auf die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH. Nach der so genannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Gewaltbegriff im Nötigungstatbestand kann ein Demonstrant wegen einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße nach § 240 StGB strafbar sein, weil er den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Autofahrer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug benutzt, um ein physisches Hindernis für die nachfolgenden Autofahrer zu errichten.

Das Gericht war hier jedoch der Ansicht, unter Würdigung der gesamten Umstände sei die gewählte Form der Blockade in den vorliegenden Fällen im Verhältnis zum Zweck seines Anliegens nicht als verwerflich anzusehen. Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB wäre dann gegeben, wenn die Tat sozial unerträglich ist. Bei der Abwägung achtete das Gericht insbesondere auf die Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG sowie Art. 20a GG. Das Urteil enthält eine ausführliche und detaillierte Abwägung, die vor allem die Dauer und Intensität der Beeinträchtigung der Autofahrer, den Zweck der Aktion und auch die Grundrechte der Autofahrer berücksichtigt.

Ansicht des Gerichts des zweiten Urteils

Etwas anderes besagt ein weiteres Urteil des AG Freiburg zur gleichen Sache, welches nur einen Tag später erlassen wurde.

Hier war ein 29 jähriger Lehramtsstudent angeklagt, der sich am 07.02.2022 ebenfalls an der Protestaktion beteiligte und seine Hände mit Sekundenkleber an der Fahrbahn festklebte. Die Verklebung des Angeklagten und zwei weiterer Personen wurde von dem hinzugerufenen Notarzt gelöst und die Demonstranten wurden von der Fahrbahn getragen. Nach Auffassung des Beklagten sei sein Verhalten nicht strafbar, da er gemäß § 34 StGB gerechtfertigt sei. Dies sah das Gericht anders. Es verurteilte den Aktivisten wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB. Im Unterschied zu dem vorherigen Urteil stufte das Gericht die Tat auch als verwerflich ein. Es stellte insbesondere darauf ab, dass der einstündige vollständige Stillstand des Verkehrs zu einer Hauptverkehrszeit nicht mehr als sozialadäquat hingenommen werden könne. Außerdem wies es darauf hin, dass die Verkehrsteilnehmer keinen besonderen Bezug zu dem Thema Lebensmittelverschwendung oder CO₂-Ausstoß haben.

Interessant ist, dass das Gericht des zweiten Urteils die Umstände, die im ersten Urteil zur Straffreiheit führten (Blockade zeitlich begrenzt, „Deeskalationsteam“, Rücksicht auf Rettungsgasse) hier als Strafmilderungsgründe aufführte. Im Ergebnis muss der Angeklagte nun eine nicht unerhebliche Geldstrafe zahlen.

Zwei Richter:innen, Zwei Meinungen

An diesen beiden Urteilen lässt sich besonders gut sehen, dass die Rechtsprechung, insbesondere bei Klimaprotestaktionen, nicht einheitlich ist und dass sich die Rechtsansichten der Richter:innen selbst bei gleichem Sachverhalt und nahezu gleichen Personen erheblich unterscheiden können. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig und es bleibt abzuwarten, ob noch Berufung eingelegt wird.

(AG Freiburg, Urteil vom 22.11.2022 – 28 Cs 450 Js 23773/22 und
AG Freiburg, Urteil vom 21.11.2022 – 24 Cs 450 Js 18098/22)