OLG Frankfurt a.M: Ein Auto als Belastungszeuge?

 OLG Frankfurt a.M: Ein Auto als Belastungszeuge?

Stellt § 100k StPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar?

Die Hilfe des Freundes könnte im Nachhinein ein Bärendienst für den flüchtigen Angeklagten gewesen sein: Der Mercedes Benz, mit dem er nämlich gefahren sein soll, sammelt eine Menge Daten, an die die Ermittlungsbehörden wollten. Wird das Auto zu einem Belastungszeugen?

Worum geht es?

In einem spannenden Beschluss des OLG Frankfurt am Main spielt der Angeklagte, der auf der Flucht ist, eigentlich nur eine Nebenrolle. Auch sein Freund, der ihn bei seiner Flucht unterstützt haben soll, war nicht direkt Mittelpunkt der Entscheidung – sondern dessen Auto. Die Ermittlungsbehörden wussten zwar nicht, wo der Flüchtige war, gingen aber davon aus, dass er im Mercedes Benz des Freundes gewesen sein könnte. Dank modernster Technologie weiß der Autohersteller nahezu in Echtzeit, wo sich die Karosse befindet – die Ermittler:innen wollten sich dies zu Nutze machen.

Die Staatsanwaltschaft begehrte daher Einsicht in die Daten, Mercedes (also die Mercedes-Benz AG) wehrte sich. Können die Ermittlungsbehörden auf solche Art von Daten zugreifen?

GPS-Standortdaten – Segen und Fluch?

In aller Regel dürfte ein Dienst wie „Mercedes-me-connect“ eher einen Vor- als einen Nachteil darstellen. Der Fall des flüchtigen Angeklagten dürfte jedoch eine Ausnahme darstellen. Dieser sei nämlich für die Ermittlungsbehörden nicht zu lokalisieren gewesen. Die Staatsanwaltschaft hatte jedoch die Vermutung, dass eine dritte Person mit einem Mercedes Benz auf der Flucht behilflich gewesen sein könnte.

Schlecht für den Angeklagten, gut für die Ermittler:innen: Auch dieses Fahrzeug verfügte über den digitalen Dienst des Autobauers durch eine festverbaute SIM-Karte. Auf dem Smartphone werden dadurch verschiedene Möglichkeiten eröffnet, sodass sich beispielsweise der aktuelle Standort abrufen lässt, der Kilometerstand oder der Reifendruck prüfen. Die GPS-Positionsdaten des Fahrzeugs werden an das Smartphone und an einen Server gesendet, auf dessen Daten der Autobauer zugreifen kann – „Mercedes-me-connect“.

Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, über den Mercedes Benz herauszufinden, wohin der flüchtige Angeklagte gefahren wurde und begehrte die Daten. Sie beantragte daher auf Grundlage des § 100k StPO beim Ermittlungsrichter, die Mercedes-Benz AG zu verpflichten, über die in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten des Fahrzeuges Auskunft zu geben. Der Ermittlungsrichter hatte diesem Antrag stattgegeben, Mercedes legte dagegen Beschwerde ein.

OLG Frankfurt am Main: Beschwerde von Mercedes erfolglos

Das OLG Frankfurt am Main musste nun über die von Mercedes eingelegte Beschwerde entscheiden, genauer gesagt über die Frage: Stellt § 100k StPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar?

In Frankfurt entschied man: Ja. Die Mercedes-Benz AG sei verpflichtet, heißt es in dem Beschluss, Auskunft über die gesammelten GPS-Daten durch den digitalen Dienst zu erteilen. Besonders spannend ist dabei, dass dazu auch die gesammelten Standortdaten gehören, die zu Zeitpunkten erfasst wurden, in denen das Navigationssystem nicht durch den Fahrer benutzt wurde. Unterm Strich bedeutet dies, dass grundsätzlich jede Fahrt von den Ermittlungsbehörden eingesehen werden kann. Rechtsanwalt Dr. Felix Ruppert bezeichnete in diesem Zusammenhang auf LTO das Fahrzeug als „wichtigsten Belastungszeugen“.

Rechtsgrundlage: § 100k StPO

Nach Auffassung des Frankfurter Gerichts stelle § 100k StPO, der seit April 2021 in Kraft ist, eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Ermittlungsmaßnahme dar. § 100k StPO erlaubt unter strengen Voraussetzungen die Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten. Wie solche Nutzungsdaten zu verstehen sind, definiert § 2 II Nr. 3 des Telekommunikations-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG). Danach sind…

„Nutzungsdaten“ die personenbezogenen Daten eines Nutzers von Telemedien, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen […]

Dazu gehören laut dem Gesetzestext insbesondere Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie des Umfangs der jeweiligen Nutzung und Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien. Für das Frankfurter Gericht erfüllen die über den Benz gesammelten Daten diese Definition, denn:

Beim „Mercedes-me-connect-Dienst” handelt es sich um einen Telemediendienst im Sinne von § 100k StPO.

Außerdem seien die Standortdaten für die Inanspruchnahme des Navigationsdienstes und der Verwendung von „Mercedes-me-connect“ – wie von § 2 II Nr. 3 TTDSG gefordert - erforderlich. Und auch die weiteren Voraussetzungen von § 100k StPO würden vorliegen, so das Gericht. Daher komme es nach der Frankfurter Entscheidung in Betracht, dass Fahrzeughersteller dahingehend verpflichtet werden können, über in Echtzeit anfallende und ihm auf einem Server zugängliche GPS-Standortdaten eines Fahrzeugs Auskunft zu erteilen.

Entscheidung wird kritisiert

Die Mercedes-Benz AG scheiterte damit vor dem OLG Frankfurt am Main mit ihrer Auffassung, dass § 100k StPO keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage sei. Damit ist sie allerdings nicht alleine: Rechtsanwalt Dr. Felix Ruppert etwa kritisierte die Entscheidung des Gerichts. Seiner Auffassung nach scheitere es am Merkmal der geforderten „Erforderlichkeit“. Nach der Legaldefinition von Nutzungsdaten komme es nämlich nicht auf die Frage der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung für die sinnvolle Nutzung eines Dienstes an, sondern auf eine solche, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen. So ist es in § 2 II Nr. 3 TTDSG gefordert. Es werde daher gerade nicht an die inhaltliche Nutzung angeknüpft.

Der Rechtsanwalt kritisiert scharf die Frankfurter Entscheidung – das eigene Fahrzeug könne so der „bedeutendste Belastungszeuge“ werden. Er sieht darin einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.