Verkehrte Welt in Karlsruhe? Verwaltungsgericht rügt BVerfG

Verkehrte Welt in Karlsruhe? Verwaltungsgericht rügt BVerfG

Das BVerfG habe Presseanfragen nicht verweigern dürfen

Verkehrte Welt in Karlsruhe? Das dortige VG hat in einer Entscheidung niemand geringeren als die Kolleg:innen vom BVerfG gerügt. Dieses habe eine Auskunft an eine Journalistin zu Unrecht verweigert.

Worum geht es?

Das BVerfG ist das höchste Gericht in unserem Rechtssystem und ein Verfassungsorgan mit elementarer Bedeutung für unseren Rechtsstaat. Es sind seine Entscheidungen, die unanfechtbar sind, es sind seine Entscheidungen, die Gesetzeskraft haben. Normalerweise ist es daher das BVerfG, das die anderen deutschen Gerichte rügt oder zurechtweist, manchmal auch mit scharfen Worten.

Doch nun sieht sich das BVerfG einmal auf der anderen Seite wieder und zwar in der Rolle des Gerügten: In einer aktuellen Entscheidung hat das VG Karlsruhe über das BVerfG geurteilt und zurechtgewiesen. Wie kann das sein?

Ausgangspunkt: Kanzlerinnendinner

Eine solche Entscheidung seitens des VG Karlsruhe wäre natürlich nicht möglich, wenn es um die Rechtsprechung des BVerfG geht. Anders ist es aber, wenn das BVerfG selbst verklagt wird – etwa wegen seiner Justizverwaltungsakte. Bei solchen entscheiden die einfachen Gerichte über die Rechtmäßigkeit des Handelns, so wie in diesem Fall.

Ausgangspunkt der Karlsruher Entscheidung war das Kanzlerdinner im Sommer 2021, das schon damals für Kritik sorgte. Zwar sind Veranstaltungen, an denen sich die Richter:innen des BVerfG mit der Bundeskanzlerin und Bundesminister:innen treffen, nicht ungewöhnlich. Der Termin im vergangenen Jahr war aber noch vor der Entscheidung des BVerfG zu der Bundesnotbremse, dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch schon mehrere hundert Verfahren in Karlsruhe anhängig.

Zudem wurde auf Initiative des Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth eine inhaltliche Änderung vorgenommen, der Punkt „Entscheidung unter Unsicherheiten“ wurde zu einem der Themen des Abends. Im Zuge dessen hielt die Verfassungsrichterin Susanne Baer einen Vortrag zu dem Thema. Außerdem kam die zu diesem Zeitpunkt amtierende Justizministerin Christine Lambrecht zu Wort.

„Ich verweise auf unsere bisherige Korrespondenz“

Diese Vorkommnisse und die abgewiesenen Befangenheitsanträge gegen Baer und Harbarth bei der Entscheidung zur Bundesnotbremse weckten das Interesse einer Journalistin. Sie arbeitet für „Bild“ und „Bild am Sonntag“ und wollte vom BVerfG wissen, worüber genau Verfassungsrichterin Baer beim Kanzlerdinner gesprochen hatte. Zudem interessierte sie sich für die Planänderung durch den Gerichtspräsidenten Harbarth.

Stutzig machte sie dabei die Akte, die ein anderer Journalist vom BVerfG erlangt hatte: In dieser befanden sich weder der Vortrag von der Verfassungsrichterin Baer noch Informationen darüber, wieso das Thema aufgenommen wurde. Außerdem fehlte ein Dankesschreiben von Harbarth, das in den Akten des Kanzleramts aber vorhanden war. Die Journalistin hatte daher den Verdacht, dass bestimmte Informationen vom BVerfG unter Verschluss gehalten wurden – und fragte mal nach.

Am 22. Oktober 2021 fragte sie das BVerfG zum ersten Mal nach dem Inhalt des Vortrags von Baer, drei Tage später kam die Antwort, dass dazu keine Akten vorlägen. Die Journalistin blieb hartnäckig und erkundigte sich nach etwaigen Zuarbeiten und den Gründen zur Themenänderung durch den Gerichtspräsidenten. Von diesem Zeitpunkt an bis in den Dezember kontaktierte sie mehrmals das BVerfG, welches aber ausschließlich nur noch mit einer Floskel antwortete:

Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz.

Selbst als die Journalistin fragte, auf welche „bisherige Korrespondenz“ Bezug genommen werde, lautete die für sie bestimmte Antwort: „Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz.“ Erst als sie vor dem VG Karlsruhe den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Beantwortung ihrer Fragen beantragte, ließ das BVerfG sechs ihrer Fragen beantworten. Dabei betonte es aber, nicht rechtswidrig gehandelt zu haben – vielmehr habe die Journalistin „verfrüht“ den Antrag gestellt, da das BVerfG über den Auskunftsanspruch noch nicht entschieden habe.

VG Karlsruhe: Auskunft zu Unrecht verweigert

Aus diesem Grund sollte die Journalistin auch die Kosten des Verfahrens vor dem VG Karlsruhe tragen, nachdem eine beidseitige Erledigungserklärung vorlag. Bei der Frage nach der Kostenverteilung, die im Ermessen des VG Karlsruhe lag, geht es um die Erfolgsaussichten des ursprünglichen Antrags – und hier nutzte das Gericht seine Möglichkeit und rügte das Handeln des BVerfG.

Nach Ausführungen des VG Karlsruhe sei die Antragstellung der Journalistin nicht „verfrüht“ gewesen. Vielmehr sei das BVerfG durch seine Antworten, in denen es stets auf die „bisherige Korrespondenz“ verwiesen habe, überhaupt nicht auf die Fragen der Journalistin im Einzelnen eingegangen. Dabei habe die Journalistin aber einen Auskunftsanspruch, der aus Art. 5 I 2 GG resultiere. Zudem liege für die einstweilige Anordnung auch ein Anordnungsgrund vor, da ein gesteigertes öffentliches Interesse bestehe.