Beliebter Prüfungsstoff in Klausuren: Verjährung
Die Entscheidung des BGH befasst sich mit Fragen des Verjährungsrechts im Zusammenhang mit der 2018 neu geschaffenen Musterfeststellungsklage. Die Entscheidung wirkt zwar im ersten Moment wie eine typische Entscheidung zum Abgasskandal, von denen es in den letzten Jahren eine Vielzahl gab. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die mit dem Abgasskandal zusammenhängenden Fragen in der Entscheidung überhaupt nicht erörtert werden.
A. Sachverhalt
Der Kläger erwarb im Februar 2011 einen VW Golf mit dem Motortyp EA 189 (EU 5). Bei diesem Motortyp handelt es sich um dasjenige Modell, durch das der sogenannte Abgasskandal ins Rollen gekommen ist. In dem Motor ist unstreitig eine Steuergerätesoftware verbaut, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe seine Ansprüche im Dezember 2018 zu dem in der gegen die Beklagte gerichteten Musterfeststellungsklage (4 MK 1/18 OLG Braunschweig) geführten Klageregister angemeldet und die Anmeldung im September 2019 wieder zurückgenommen. Im Oktober 2019 hat der Kläger sodann Individualklage auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Delikts- und Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Nachdem das Landgericht Ellwangen der Klage ganz überwiegend stattgegeben hat, hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Klage abgewiesen, da die Ansprüche verjährt seien.
B. Überblick
Die Entscheidung wirkt zwar im ersten Moment wie eine typische Entscheidung zum Abgasskandal, von denen es in den letzten Jahren eine Vielzahl gab. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die mit dem Abgasskandal zusammenhängenden Fragen in der Entscheidung überhaupt nicht erörtert werden. Hintergrund ist, dass die Gerichte anders als bei einer Klausur im ersten juristischen Examen nicht zunächst den Anspruch prüfen, wenn die Verjährung bejaht wird, sondern nur begründen, warum die Verjährung gegeben ist. Im Zentrum stehen daher vielmehr Fragen des Verjährungsrechts im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage nach § 606 ZPO. Daher konzentriert sich diese Besprechung ebenfalls auf diese Punkte. Einen Überblick über den aktuellen Zwischenstand der zahlreichen mit dem Abgasskandal verbundenen Rechtsfragen findest Du zum Beispiel hier: Aktuelle Entscheidungen des BGH in den „Diesel-Fällen“.
I. Überblick über die Musterfeststellungsklage
Geschaffen wurde die Musterfeststellungsklage im Jahr 2018 mit dem Ziel, eine zügige und kostengünstige Durchsetzung von solchen Ansprüchen zu ermöglichen, die gleichermaßen einer Vielzahl von Verbrauchern zustehen. Neben der medienwirksamen Musterfeststellungsklage gegen die VW AG ist die Musterfeststellungsklage bisher insbesondere im Bereich des Kapitalanlagerechts zur Anwendung gekommen.
Angestoßen wird die Klage nicht von einem einzelnen Geschädigten, sondern von in § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO aufgeführten qualifizierten Einrichtungen (z.B. Verbraucherverbände). Diese klagen, da sie selbst nicht Inhaber von Ansprüchen sind, nicht im eigenen Interesse sondern im Interesse einer Vielzahl von Verbrauchern. Ziel der Musterfeststellungsklage ist es, dass Bestehen oder das Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen feststellen zu lassen. Die einzelnen Gläubiger müssen sich durch Anmeldung ihrer Forderung aus dem der Musterfeststellungsklage zugrunde liegenden Lebenssachverhalt zum Klageregister an dem Verfahren beteiligen, soweit sie von den Feststellungen profitieren wollen.
Da mit der Musterfeststellungsklage nur die Feststellung bestimmter Rechtsverhältnisse erreicht wird, bleibt die Durchsetzung der einzelnen Ansprüche aber nach wie vor einer Individualklage vorbehalten. In einem folgenden Individualprozess sind die Feststellungen aus der Musterfeststellungsklage allerdings bindend und damit nicht mehr Gegenstand des Streitstoffs.
II. Überblick über das Verjährungsrecht
Bei der Prüfung der Verjährung ist in mehreren Schritten vorzugehen, sodass sich das folgende Prüfungsschema anbietet:
1. Anwendbarkeit
Zunächst muss erstens das Recht überhaupt der Verjährung unterliegen. Nach § 194 Abs. 1 BGB unterliegt ein Anspruch der Verjährung. Dies umfasst Ansprüche aus Schuldverhältnissen sowie auch Ansprüche etwa dinglicher, familien- oder erbrechtlicher Natur. Sonstige Rechte wie z.B. das Eigentum unterliegen aber nicht der Verjährung.
2. Verjährungsfrist
Zweitens ist zu prüfen, welche Verjährungsfrist zur Anwendung kommt. Dabei gibt es die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB, die zehnjährige Verjährungsfrist des § 196 BGB und die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB. Darüber hinaus gibt es Sonderregeln, so z.B. die besondere Verjährungsfrist von Gewährleistungsrechten aus §§ 438, 634a BGB.
3. Verjährungsbeginn
Die verschiedenen Fristen beginnen unterschiedlich zu laufen. Daher ist jeweils zu prüfen zu welchem Zeitpunkt die anwendbare Verjährungsfrist begonnen hat. So beginnt z.B. die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 199 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
4. Hemmung, Ablaufhemmung, Neubeginn
In bestimmten Konstellationen kann ein bestimmter Zeitraum bei der Berechnung der Verjährung unberücksichtigt bleiben (Hemmung § 209 BGB) oder der Ablauf der Verjährungsfrist aufgrund eines bestimmten Umstandes nach hinten geschoben werden (Ablaufhemmung § 210 BGB). Darüber hinaus kann die Frist von neuem beginnen z.B. bei einem Anerkenntnis nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Diese Punkte sollte nur dann geprüft werden, wenn einer der genannten Tatbestände ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.
Die Tatbestände die zur Hemmung der Verjährung nach § 209 BGB führen, sind insbesondere in den § 203 ff. enthalten. Der wohl wichtigste Tatbestand ist dabei der § 203 BGB, wonach bei Verhandlungen zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger eine Hemmung eintritt.
Ebenfalls häufig und für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist die Norm des § 204 BGB. Verfolgt der Gläubiger seine Ansprüche im Wege der Rechtsverfolgung so ist die Verjährung nach § 204 Abs. 2 BGB bis sechs Monate nach der Beendigung des Verfahrens gehemmt. Häufigster Fall dürfte die Erhebung der Klage nach § 204 Abs.1 Nr. 1 BGB sein. Sobald der Gläubiger seinen Anspruch klageweise erhoben hat muss er damit nicht mehr fürchten, dass sein Anspruch z.B. aufgrund der Länge eines Prozesses verjährt.
Im Zuge der Schaffung der Musterfeststellungsklage ist der § 204 Abs.1 Nr. 1a BGB eingefügt worden. Danach führt auch die Erhebung der Musterfeststellungsklage zur Hemmung, soweit der Gläubiger seinen Anspruch aus demselben Lebenssachverhalt wirksam zu dem Klageregister angemeldet hat. Entscheidend für den Zeitpunkt, ab wann die Hemmung eintritt, ist dabei nicht wann der Gläubiger seinen Anspruch anmeldet, sondern wann die Musterfeststellungklage erhoben worden ist. Es sind daher durchaus auch Konstellationen möglich, in denen der Anspruch eigentlich schon verjährt ist und durch Anmeldung zum Klageregister rückwirkend gehemmt wird. Es ist also wichtig zwischen der Erhebung der Musterfeststellungsklage (durch den Verband) und der Anmeldung zum Klageregister (durch den jeweiligen Gläubiger) zu unterscheiden.
Diese Rückwirkung wird teilweise insbesondere dann für wertungswidersprüchlich gehalten, wenn der Kläger seine Anmeldung wieder zurücknimmt. Denn dadurch kann es dazu kommen, dass der Kläger einen eigentlich verjährten Anspruch durch kurzzeitige Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage wieder aufleben lassen kann um sodann Individualklage zu erheben. Daher wird in diesem Zusammenhang auch darüber diskutiert, ob dieses Ergebnis nach § 242 BGB zu korrigieren ist.
5. Rechtsfolge
Ist ein Anspruch verjährt, erhält der Schuldner des Anspruchs ein Leistungsverweigerungsrecht in Form einer Einrede. Der Anspruch erlischt also nicht mit dem Eintritt der Verjährung, sondern es liegt in der Hand des Schuldners, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.
Mehr zum Prüfungsaufbau und den Lerninhalten der Verjährung erfährst Du in dieser Lerneinheit: Verjährung, §§ 194 ff. BGB.
C. Entscheidung
Der BGH geht in seiner Entscheidung sogleich auf die Frage ein, ob die Verjährung durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 a, 209 BGB gehemmt wurde.
In einer Klausur wäre es jedoch sinnvoll zunächst die Punkte 1-3 aus dem Prüfungsschema zumindest knapp zu prüfen. Da der Kläger Ansprüche aus Schadensersatz nach § 826 BGB geltend macht sind die Verjährungsvorschriften anwendbar. Ein Ausnahmefall nach §§ 196, 197 BGB oder aus dem Gewährleistungsrecht liegt nicht vor, sodass sich die Verjährungsfrist nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren aus § 195 BGB ergibt.
Fraglich ist jedoch der Beginn der Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Anspruch ist bereits durch die schädigende Handlung entstanden, also das geplante und strategische Inverkehrbringen der mit der manipulierten Software ausgestatteten Fahrzeuge. Bezüglich der Frage, ab wann Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt, hat der BGH zumindest für den Motortyp EA 189 mit Urteil vom 17.12.2020 (Az. VI ZR 739/20) entschieden, dass eine solche Kenntnis im Regelfall schon im Jahr 2015 vorlag.
Daher hätte die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2015 zu laufen begonnen und wäre mit Ablauf des Jahres 2018 abgelaufen. Da der Kläger die Individualklage erst im Jahr 2019 erhoben hat, wäre diese verjährt. Vorliegend könnte die Verjährungsfrist jedoch durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage nach §§ 209, 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB gehemmt gewesen sein.
Im Streit zwischen den Parteien stand auch, ob der Kläger seine Ansprüche tatsächlich noch im Jahr 2018 zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat. Der BGH führt dazu aus, dass es darauf gar nicht ankomme, da auch eine Anmeldung erst nach Ablauf der Verjährungsfrist im Jahr 2019 zur Hemmung der Verjährung führe, solange die Musterfeststellungsklage vor Ablauf der Verjährungsfrist erhoben worden sei.
Eine Anwendung des § 242 BGB verneint der BGH. Dazu führt er aus, dass der Gesetzgeber den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB bewusst nicht davon abhängig gemacht habe, dass der Gläubiger dauerhaft zum Klageregister angemeldet bleibt. Damit sei dem Gläubiger ausdrücklich die Option eröffnet worden, seine Entscheidung, in welcher Weise Rechtsschutz gesucht werde, zu ändern und gleichwohl noch für einen gewissen (weiteren) Zeitraum von der durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage und die Anmeldung zu deren Register bewirkten Verjährungshemmung zu profitieren.
D. Prüfungsrelevanz
Der Beschluss des BGH betrifft mit dem Verjährungsrecht eine bei Klausurerstellern beliebte Thematik des Prüfungsstoffes. Schon vor diesem Hintergrund lohnt sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entscheidung. Die hinter der Entscheidung stehenden Rechtsfragen sind dabei nicht auf Fälle im Zusammenhang mit der Abgasthematik beschränkt, sondern können ohne viel Aufwand in andere Fälle im Zusammenhang mit einer Musterfeststellungsklage gebracht werden. Bei einer Klausur dürfte es dann vor allem entscheidend sein den vermeintlichen Wertungswiderspruch (Möglichkeit der Anmeldung eines bereits verjährten Anspruchs zum Klageregister) zu erkennen und sich argumentativ mit diesem auseinanderzusetzen. Dabei kann dann auf die bewährten Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Norm) zurückgegriffen werden.
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