Prozessbeginn im Zusammenhang mit der größten Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte gegen die Vorgesetzten von Niels H.
Am 17. Februar begann der Prozessauftakt im Zusammenhang mit der größten Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte: Niels H. wurde im Jahr 2019 von der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Krankenpfleger hatte zwischen den Jahren 2000 und 2005 nachweislich 85 Patientinnen und Patienten umgebracht. In dem nun eröffneten Prozess sitzen insgesamt sieben frühere Vorgesetzte und Kollegen des ehemaligen Krankenpflegers auf der Anklagebank. Der Vorwurf lautet unter anderem: Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen.
Worum geht es?
Niels H. wurde im Jahr 2019 nach insgesamt 24 Verhandlungstagen wegen Mordes in 85 Fällen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt – wir haben damals berichtet: “Mordverdacht in 332 Fällen – Der “Pfleger mit dem schwarzen Schatten”. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg stellte bei dem ehemaligen Krankenpfleger die besondere Schwere der Schuld fest.
Der Krankenpfleger arbeitete von 1999 bis 2005 in Krankenhäusern in Delmenhorst und Oldenburg. Der inzwischen 46 Jahre alte Mann führte in beiden Krankenhäusern bei seinen Patienten durch die Gabe von Medikamenten Herzprobleme herbei, um sich bei der darauf folgenden Reanimation vor Kollegen als Retter aufspielen zu können. Die Verstorbenen waren zwischen 34 und 96 Jahren alt. In ihrer Anklage hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, in seiner beruflichen Position als Krankenpfleger Patienten durch die Verabreichung nicht indizierter Stoffe bzw. Medikamente, namentlich Kalium, Gilurytmal (Wirkstoff Ajmalin), Sotalex (Wirkstoff Sotalol), Xylocain (Wirkstoff Lidocain) und Cordarex (Wirkstoff Amiodaron) getötet zu haben. Da die Gabe solcher Medikamente nach einer Feuerbestattung nicht mehr nachweisbar ist, ist die tatsächliche Zahl der Opfer nicht bekannt.
Nun hat die Schwurgerichtskammer erneut ein Verfahren in diesem Zusammenhang eröffnet: Diesmal sitzen sieben ehemalige Vorgesetzte, unter anderem Ärzte, leitende Pfleger sowie ein Geschäftsführer auf der Anklagebank. Ihnen wird vorgeworfen, geahnt zu haben, dass H. in ihrem Verantwortungsbereich Menschen tötete, jedoch nicht eingeschritten zu sein.
Staatsanwaltschaft: Vorgesetzte hätten Morde verhindern können
Die Staatsanwältin verlas am Donnerstag zum Prozessauftakt die beiden Anklageschriften gegen die Beschuldigten aus den Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst und warf ihnen vor, dass zumindest einige der Morde von H. mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert worden wären, wenn sie die Polizei informiert oder den Pfleger vom Dienst freigestellt hätten. Jedem der sieben Angeklagten müsse ab einem bestimmten Zeitpunkt klar gewesen sein, dass von dem Pfleger eine Gefahr für Patienten ausgehe. Durch ihre Untätigkeit hätten sie weitere Taten billigend in Kauf genommen. Es habe zudem bereits einen Verdacht gegeben - niemand habe jedoch die Polizei eingeschaltet.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten zudem vor, aus Sorge um die Reputation ihrer jeweiligen Kliniken nicht gegen H. eingeschritten zu sein. Gegen die Verantwortlichen aus Oldenburg lautet die Anklage Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen. Den Angeklagten aus Delmenhorst hält die Staatsanwaltschaft sogar Tötungen und versuchte Tötungen durch Unterlassen vor. Der Vorsitzende Richter stellte jedoch bereits am ersten Verhandlungstag fest, dass auch für die Fälle aus Delmenhorst allenfalls eine Beihilfe in Betracht komme. Man könne nicht annehmen, dass die Angeklagten mit Täterwillen an den Morden des ehemaligen Pflegers teilgenommen haben.
Die angeklagten Fälle beziehen sich vor allem auf die jeweils spätere Phase von Niels H. an seinen Wirkungsstätten. Zu dieser Zeit hätten sich die Hinweise auf eine Mordserie immer stärker verdichtet. So habe in Oldenburg ein Pflegeleiter im Auftrag des Chefarztes sogar eine Statistik erstellt, welche Angestellten bei Todesfällen Dienst hatten - H. führte diese Liste mit großem Abstand und insgesamt 18 Strichen an.
Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe, wollten sich bislang jedoch nicht selber zu diesen äußern. Eigentlich hätten beim Prozessauftakt acht Personen angeklagt werden sollen. Einer von ihnen ist jedoch schwer erkrankt und verhandlungsunfähig, weshalb das Verfahren gegen ihn abgetrennt wurde. Betroffen ist der Stationsleiter Pflege der Intensivstation der chirurgischen Abteilung des Klinikums Delmenhorst.
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