Polizistinnen flüchten vom Einsatzort
Während eines Feuergefechts sind zwei Polizistinnen vom Einsatzort geflüchtet, anstatt ihre beiden Kollegen zu unterstützen. Die Staatsanwaltschaft forderte dafür Konsequenzen, das AG Schwelm folgte. Die beiden Angeklagten wurden wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt durch Unterlassen verurteilt.
Worum geht es?
Zwei Polizistinnen wurden jeweils zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt durch Unterlassen verurteilt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, würde das das Ende ihrer Polizeilaufbahnen bedeuten. Hintergrund des Strafverfahrens ist eine nächtliche Verkehrskontrolle, zu der sie zufällig stießen. Doch diese entwickelte sich zu Szenen, die an einen Actionfilm erinnern.
„Zu viert ist immer besser als zu zweit“
Der Vorfall ereignete sich im Mai 2020 kurz vor Mitternacht auf einer Landstraße bei Gevelsberg im Bergischen Land. Die beiden Angeklagten waren zufällig während ihres Streifeneinsatzes zu einer Verkehrskontrolle in einem Gewerbegebiet dazugestoßen, bei der schon zwei männliche Kollegen vor Ort waren. Die beiden Polizisten kontrollierten einen Autofahrer, bei dem sich herausstellte, dass er aufgrund von Betäubungsmitteldelikten per Haftbefehl gesucht wurde. Einer der beiden Polizisten soll daher die Frauen per Handzeichen gebeten haben, dazuzukommen. Im Prozess sagte er nun aus:
Zu viert ist immer besser als zu zweit.
Doch als die Angeklagten ihr Polizeifahrzeug stoppten und ausstiegen, überschlugen sich die Ereignisse: Der kontrollierte Mann (der inzwischen wegen versuchten Totschlags und Heroinhandels verurteilt wurde), sprang zurück in sein Fahrzeug und schoss mit einer Pistole einen der männlichen Polizisten nieder. Er überlebte, da die Kugel in seiner schusssicheren Weste stecken blieb.
Bei dem einen Schuss blieb es aber nicht – zwischen dem Mann und den beiden männlichen Polizisten entfachte ein Feuergefecht, bei dem 21 Kugeln abgeschossen wurden. Die beiden Polizistinnen haben aber nicht geschossen, im Gegenteil: Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, ihre beiden Kollegen im Stich gelassen zu haben. Anstatt aus der Deckung ihres Streifenwagens einzugreifen, um etwa per Warnschuss „die Übermacht der Polizei zu demonstrieren“, seien sie in Todesangst davongelaufen.
Staatsanwaltschaft forderte einjährige Freiheitsstrafe auf Bewährung
Nachdem die beiden Polizistinnen geflüchtet waren, konnten sie einen Kleinwagen anhalten. Der Fahrerin sollen sie befohlen haben, wegzufahren. Erst Minuten später, als sie über das Handy der Autofahrerin mit der Einsatzleitung sprechen konnten, erfuhren sie, dass der Täter geflohen sei. Sie folgten ihrem Befehl, zum Tatort zurückzukehren. Im Prozess schilderte eine der beiden Polizistinnen, dass sie erst durch die Entfernung ihre Gedanken habe sortieren und wieder als Polizistin handeln können.
Dieses Verhalten wird den beiden Angeklagten seitens der Staatsanwaltschaft nun vorgeworfen. Mit ihrer Flucht hätten sie ihre beiden männlichen Kollegen in einer lebensbedrohlichen Situation ihrem Schicksal überlassen, hieß es in dem Plädoyer – so dürfe sich ein Polizist oder eine Polizistin nicht verhalten.
Die beiden Polizistinnen räumten das Geschehen ein, baten aber auch um Verständnis für ihr Verhalten. Sie sprachen von einer Todesangst, über ihnen sei die Hölle ausgebrochen. Durch die Dunkelheit, Echo und Hall hätten sie nicht einordnen können, woher die Schüsse kamen. Die jüngere der beiden Polizistinnen schilderte, wie sie „jeden Augenblick“ damit rechnete, beschossen zu werden:
Ich hab nur gehofft: Bitte nicht in den Hinterkopf.
Doch die Richterin folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte die beiden Angeklagten nach einer rund vierstündigen Verhandlung jeweils zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung. Sie könne die Angst der Polizistinnen verstehen, sagte sie. Doch als Polizeibeamtinnen hätten sie eine „besondere Position“, aus der Rechte, aber auch Pflichten resultieren würden. Daher hätten sie reagieren und ihre Kollegen unterstützen müssen.
Verteidigung legt Berufung ein
Die Höhe der Strafe ist brisant für die beiden Frauen: Wäre die Strafe unter einem Jahr geblieben, wären dienstrechtliche Konsequenzen im noch ausstehenden Disziplinarverfahren eine Ermessensentscheidung gewesen. Sollte das Urteil aber rechtskräftig werden, würde dies das zwingende Ende der Beamtenlaufbahn für sie bedeuten.
Dies ist nur einer der Gründe, weshalb bereits einer der Verteidiger Berufung eingelegt hat. Die Verteidigung will das Urteil so nicht stehen lassen. Die Situation sei schließlich lebensgefährlich gewesen und er halte es für fragwürdig, ob ein Schuss aus der Deckung hinter dem Polizeifahrzeug etwas hätte verändern können.
Unterstützung bekamen die beiden Angeklagten im Prozess auch von ihren männlichen Kollegen, mit denen sie vor Ort waren. Der angeschossene Polizist mache ihnen „keinen Vorwurf“, der zweite Polizist sagte aus, es sei nur gut gewesen, dass die beiden Kolleginnen nicht auch noch geschossen hätten und verwies auf mögliche Querschläger. Doch das konnte die Richterin nicht überzeugen. Sie hielt dem Zeugen das Protokoll der Funksprüche vor und zitiert, wie der Polizist per Funk nach seinen Kolleginnen rief. Dann soll er geschrieben haben:
Wo seid ihr?
Prüfungsrelevanz
Der Fall eignet sich hervorragend als Einstieg in eine Klausur oder eine mündliche Prüfung. Über den Tatbestand der Körperverletzung im Amt aus § 340 I StGB lässt sich über § 340 II StGB eine Brücke zur Versuchsstrafbarkeit und sodann über § 340 III StGB zur gefährlichen Körperverletzung schlagen - die §§ 224 ff. StGB sind gem. § 340 III StGB entsprechend anwendbar. Zu thematisieren wäre dabei die Verwirklichung durch Unterlassen (§ 13 StGB). Prüfer:innen fragen bspw. in einer mündlichen Prüfung gerne die dort verorteten Probleme ab, wie etwa das Problem des unmittelbaren Ansetzens beim Unterlassen. Welche Auffassungen es dazu gibt und wie die Rechtsprechung das Problem löst, haben wir für Dich klausurorientiert aufbereitet.
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