BGH zum Tötungsvorsatz bei illegalen Autorennen (Teil 2)

BGH zum Tötungsvorsatz bei illegalen Autorennen (Teil 2)

Nachdem wir im ersten Teil bereits die Ausführungen des BGH zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit besprochen haben, widmen wir uns in diesem Beitrag der Frage, welcheMordmerkmale hier erfüllt sein könnten und welche Straßenverkehrsdelikte in Betracht kommen. Außerdem besprechen wir die strafrechtliche Beurteilung von sog. illegalen Autorennen („Raser-Fälle“) in der Klausur und klären, was hier besonders prüfungsrelevant ist.

Du hast den Sachverhalt nicht mehr genau vor Augen? Dann schaue Dir hier den ersten Teil des Beitrags nochmal an: Zum ersten Teil.

3. Mordmerkmale, § 211 Abs. 2 StGB

A könnte die O mit gemeingefährlichen Mitteln und heimtückisch, und/oder aus niedrigen Beweggründen i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB getötet haben. 

a) Gemeingefährliche Mittel

A könnte die O mit einem „gemeingefährlichen Mittel“ getötet haben. Das ist dann der Fall, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass dem A den Umständen nach klar gewesen ist, dass die von ihm geschaffene Gefahr nicht auf die Insassen von in die „Rennstraße“ einfahrender Fahrzeuge beschränkt waren. Zwar war A mit einer enormen Geschwindigkeit unterwegs, aber die Verkehrssituation war vergleichsweise überschaubar, so dass potenziell keine unbestimmte Zahl weiterer Opfer durch Auswirkungen einer Kollision bedroht gewesen ist, etwa weitere Fahrzeuginsassen oder Fußgänger in Tatortnähe. 

A hat die O nicht mit „gemeingefährlichen Mitteln“ getötet.

b) Heimtücke

A könnte aber heimtückisch getötet haben.

Heimtücke setzt ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zu seiner Tötung voraus. Hierfür genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Dies gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Anders kann es jedoch bei „Augenblickstaten“, insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein; auch kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat.

In der konkreten Verkehrssituation hat sich O nicht entsprechend der StVO verhalten, indem sie das für sie geltende Stopp-Schild ignoriert und ohne zum Stillstand gekommen zu sein, in die „Rennstraße“ einbog. Stattdessen hätte sie die Vorfahrtsberechtigung des querenden Verkehrs – auch des A – beachten müssen und mit besonderer Vorsicht in die Kreuzung einfahren müssen. O war nicht arg- und wehrlos. A hatte auch kein Ausnutzungsbewusstsein. Er hat vielmehr damit begonnen, seinen PKW abzubremsen und auszuweichen, als er gesehen hat, dass O in die besetzte Gegenfahrbahn einbiegt. 

A hat damit nicht heimtückisch getötet.

c) Niedrige Beweggründe

Fraglich ist, ob A die O aus niedrigen Beweggründen getötet hat.

Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zu einer Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters, der Persönlichkeit des Täters und seiner Beziehung zum Opfer, zu erfolgen. In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in sein Bewusstsein aufgenommen hat und er, soweit bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle spielen, in der Lage war, diese gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern. 

Die Billigung der Tötung eines Zufallsopfers – der O – stand hier nicht in einem krassen Missverhältnis zu ihrem Anlass, der von dem unbedingten Willen des A zum Sieg getragenen Durchführung eines illegalen Straßenrennens. A hat sich nicht um sein Ziel zu erreichen in besonders selbstsüchtiger und rücksichtsloser Weise über das Lebensrecht anderer Verkehrsteilnehmer hinweggesetzt, sondern durch das Abbremsen seines Fahrzeugs und das Ausweichmanöver deutlich gemacht, dass er die Integrität des ihm entgegenkommenden Fahrzeuginsassen achtet. Das Handeln des – psychisch gesunden – A stellt sich nicht als hochverwerflich dar und rechtfertig damit auch nicht die Stigmatisierung als Mord.

A hat auch das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ nicht erfüllt.

4. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Mordes nach §§ 212 Abs. 1, 211 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht.

II. Strafbarkeit nach § 212 Abs. 1 StGB

A ist aber wegen Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB schuldig.

III. Strafbarkeit nach §§ 315d Abs. 5, Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 StGB

A könnte sich wegen eines schweren verbotenen Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 5, Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben, in dem er mit dem B ein nicht genehmigtes Rennen fuhr.

1. Objektiver Tatbestand

A hat gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB im Straßenverkehr als – eigenhändiger – Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilgenommen, also an einem Wettbewerb zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen, bei denen zwischen mindestens zwei Teilnehmern ein Sieger durch Erzielung einer möglichst hohen Geschwindigkeit ermittelt wird. Ferner hat er dabei Leib oder Leben eines anderen Menschen (der O) und fremde Sachen von bedeutendem Wert (das Kraftfahrzeug der O) – konkret – gefährdet, § 315d Abs. 2 StGB. Zwischen der Tathandlung nach Abs. 1 Nr. 2 und dem Gefahrerfolg besteht auch ein tatbestandsspezifischer Zurechnungszusammenhang.

Hinweis: A hat nicht in Mittäterschaft i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB gehandelt, da der Tatbestand des § 315d Abs 1 Nr. 2 StGB ein eigenhändiges Delikt ist, so dass eine zurechnende Mittäterschaft ausscheidet.

A hat ferner die Voraussetzungen nach § 315d Abs. 5 StGB i.V.m. § 315d Abs. 2 StGB erfüllt (Erfolgsqualifikation), also durch die Tat den Tod eines anderen Menschen verursacht. Zwischen der Tat nach Abs. 2 und der eingetretenen schweren Folge besteht auch ein tatbestandsspezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang. Ferner fällt bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen allein durch die Teilnahme allen Fahrzeugführern ein grob verkehrswidriger Sorgfaltspflichtverstoß i.S.v. § 18 StGB zur Last.

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte in Bezug auf die Verwirklichung des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB vorsätzlich, und zwar mindestens mit dolus eventualis. Ferner hatte er Vorsatz hinsichtlich der konkreten Gefährdungssituation i.S.v. Absatz 2. Mit Gefährdungsvorsatz handelt, wer die Umstände kennt, welche die Schädigung eines der bezeichneten Rechtsgüter als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen und den Eintritt der Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nimmt; es genügt, dass die gefährdenden Umstände auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeuten. Wie bereits gezeigt, hat A hier um die Gefährlichkeit seiner Fahrweise gewusst und deren Eintritt (Tötung eines Menschen) billigend in Kauf genommen.

Hinweis: Selbst wenn der bedingte Tötungsvorsatz des A verneint wird, kann gleichwohl ein dolus eventualis in Bezug auf den Eintritt der Gefahrenlage i.S.v. § 315d Abs. 2 StGB angenommen werden.

IV. Konkurrenzen

Das Tötungsdelikt und das Verkehrsdelikt stehen zueinander in Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB).

C. Prüfungsrelevanz

Die strafrechtliche Beurteilung von sog. illegalen Autorennen („Raser-Fälle“) hat derzeit eine gewisse Konjunktur erfahren, nicht zuletzt auch durch den im Jahr 2017 in Kraft getretenen 315d StGB sowie der Tendenz der Strafgerichte, diese Rennen an den §§ 211, 212 StGB zu messen. Dabei kommt insbesondere den tatsächlichen Feststellungen zur inneren Tatseite des Täters besondere Bedeutung zu, also der Frage, ob diesermit bedingtem Tötungsvorsatz oder nur (bewusst) fahrlässig gehandelt hat.

So hatte der BGH jüngst über ein sog. Alleinrennen i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB zu entscheiden, bei dem der Täter mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit durch die Stuttgarter Innenstadt fuhr und dabei gegen ein anderes Fahrzeug stieß, wodurch die beiden Fahrzeuginsassen starben (vgl. Beschl. v. 17.02.2021 - 4 StR 225/20, NJW 2021, 1173). Dort wurden die Voraussetzungen für einen bedingten Tötungsvorsatz u.a. deswegen verneint, weil der Täter nicht ausschließbar darauf vertraut hatte, das Fahrzeug in gefährlichen Situationen auch bei hohen Geschwindigkeiten jederzeit sicher beherrschen zu können. Gleichwohl hatte er zwar die mit einer nur vom Zufall abhängigen Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr eines Zusammenstoßes mit ein- oder abbiegenden Fahrzeugen erkannt, allerdings ereignete sich die konkrete zum Tod der beiden Tatopfer führende Kollision außerhalb der Fahrbahn, nachdem der Täter infolge des Ausweichmanövers die Herrschaft über das Fahrzeug verloren hatte.

Ferner hat der BGH mit Urteil vom 04.02.2021 (4 StR 403/20) entschieden, dass ein bedingter Tötungsvorsatz bei einer sog. Kamikazefahrt bestehen kann. Der wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilte Täter hatte dort im Zustand verminderter Schuldfähigkeit aufgrund Alkoholkonsums (§ 21 StGB) während einer Fahrt nachhause spontan den Entschluss gefasst, sich umzubringen. Er fuhr mit 120 km/h bei erlaubten 100 km/h auf die spätere Unfallkreuzung mit einer - wie ihm bekannt war - vorfahrtsberechtigten Straße zu. Wegen dichten Bewuchses am Straßenrand war es ihm nicht möglich, von rechts in den Kreuzungsbereich einfahrende vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge rechtzeitig wahrzunehmen und sein Fahrzeug ggfs. abzubremsen, was er aufgrund seines Suizidentschlusses ohnehin nicht vorhatte. Er hielt zumindest für möglich, dass es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug kommen und Insassen desselben hierdurch zu Tode kommen könnten, was ihm gleichgültig war. Tatsächlich prallte sein Fahrzeug ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h im rechten Winkel auf ein vorfahrtsberechtigtes Fahrzeuggespann. In der Folge wurde ein Kleintransporter gegen eine Holzhütte geschleudert. Seine Fahrerin erlitt Prellungen und Schnittwunden. Der BGH hat dazu ausgeführt, dass das Wissens- oder Willenselement des bedingten Vorsatzes im Hinblick auf die Alkoholgewöhnung des Täters und seine unbeeinträchtigte Fähigkeit, sein Fahrzeug auch bei schneller Kurvenfahrt zu beherrschen, nicht beeinträchtigt waren. Der Täter hat die als möglich erkannte Tötung eines Unfallgegners durch den Zusammenstoß gebilligt, wofür maßgeblich spricht, dass er sich selbst töten wollte und es ihm – wie er nach dem Unfall gegenüber Ersthelfern auch erklärt hatte – dabei gleichgültig war, dass ein etwaiger Unfallgegner ebenfalls zu Tode kommen könnte. Seine riskante und letztlich unfallursächliche Fahrweise beruhte ferner darauf, dass er einen Unfall herbeiführen wollte, bei dem er selbst zu Tode kommen wollte und weitere Beteiligte auch geschädigt werden konnten.

Fazit: Insgesamt eignen sich die „Raser-Fälle“ bzw. Autorennen bestens für Prüfungszwecke!

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