BGH: Wann ist ein Tatobjekt durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört?

BGH: Wann ist ein Tatobjekt durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört?

Brandstiftung oder nur Sachbeschädigung?

Nachdem ein vermeintlicher Brandstifter 2018 zwei Mal in einem Mehrfamilienwohnhaus Feuer gelegt hatte, verurteilte ihn das Landgericht (LG) Leipzig 2019 wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit zwei Fällen der fahrlässigen Körperverletzung sowie in dem zweiten Brandlegungs-Fall wegen Sachbeschädigung in vier tateinheitlichen Fällen - nicht aber wegen Brandstiftung nach § 306 I Nr. 1 StGB oder wegen schwerer Brandstiftung nach § 306a StGB. Was sagt der BGH dazu?

 

Worum geht es?

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte haben gegen die Entscheidung Revision eingelegt, sodass nun der BGH entscheiden musste: Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision unter anderem dagegen, dass der Angeklagte in den zwei Brandstifungsfällen nicht wegen (schwerer) Brandstiftung oder jedenfalls des Versuchs schuldig gesprochen wurde. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Wie hat der BGH entschieden?

Der bereits vorbestrafte Angeklagte entzündete am 1. Februar 2018 im Kellerraum des von ihm mit seiner Lebensgefährtin bewohnten Mehrfamilienhauses mittels offener Flamme im eigenen Kellerabteil einen mit Federbetten gefüllten Plastikbeutel seiner Lebensgefährtin. Weiterhin versuchte er, in fremden Kellerboxen unter anderem Kartons sowie im Kellergang stehende Autoreifen in Brand zu setzen. Als er erkannte, dass „die Flamme“ selbständig weiterbrannte, verließ er das Haus. Nachdem er kurze Zeit später zurückkehrte, traf er auf einen vor dem Hintereingang des Wohnhauses stehenden Hausbewohner, der bereits auf Brandgeruch aufmerksam geworden war. Der Angeklagte schaute, Unwissenheit vortäuschend, im Keller nach, erkannte den von ihm verursachten Brandherd hinter der Kellertür und alarmierte telefonisch die Feuerwehr.

Infolge des Brandes gelangten über die Abluftanlage Rauchgase in die Küchen und Bäder der im Erdgeschoss liegenden Wohnungen zweier Mieter, die vorübergehende körperliche Beeinträchtigungen erlitten. Diese Gesundheitsschäden hätte der Angeklagte vorhersehen können. Im Keller lagerte sich Ruß ab. Die an der Kellerdecke verlaufenden Elektroleitungen und Abwasserrohre sowie verschiedene im Eigentum von Hausbewohnern stehende Gegenstände wurden durch Feuer, Hitzeeinwirkung und Löscharbeiten beschädigt oder zerstört. Der Gesamtschaden, der durch den Brand einschließlich erforderlicher Reinigungsarbeiten und einer Erneuerung von Versorgungsleitungen verursacht wurde, betrug gut 24.000 Euro. Noch am selben Tag wurden Notreparaturen durchgeführt, so dass es nicht zu Gebrauchseinschränkungen der Wohnungen kam. Den durch brandbedingte Beschädigungen ihrer Kellerboxen betroffenen Mietern wurden andere Lagermöglichkeiten im Kellergeschoss zugewiesen (1. Brandstiftungs-Fall).

Am Abend des 20. Mai 2018 entzündete der Angeklagte im Keller desselben Hauses mittels offener Flamme Gegenstände zwischen mehreren Kellerboxen. Anschließend verließ er den Keller. Ein Mieter alarmierte die Feuerwehr, als er Rauchwolken aus den Kellerfenstern aufsteigen sah. Durch den Brand wurden die Kellerboxen und der gesamte Kellereingang komplett und die Wohnungen zweier Mieter eines in demselben Wohnblock befindlichen Hausteils über einheitliche Abluftkanäle verrußt. Substanzschäden am Gebäude entstanden nicht. Reparaturen an den brandgeschädigten Versorgungsleitungen im Keller wurden infolge der Ermittlungsmaßnahmen erst zwei Tage später möglich. Die Mieter nutzten ihre Wohnungen allerdings weiter. Auch die beiden von Rußablagerungen betroffenen Wohnungen konnten weiterhin bewohnt werden. Die durch brandbedingte Beschädigung der Kellerboxen betroffenen Mieter erhielten andere Unterstellmöglichkeiten im Keller des Gebäudekomplexes. Es entstand ein Schaden von mehr als 15.000 Euro (2. Brandstiftungs-Fall).

Rechtliche Würdigung des LG Leipzig

Das LG sah in keinem der Fälle eine (schwere) Brandstiftung verwirklicht. Weder habe der Angeklagte einen Kellerraum eines Wohnhauses „in Brand gesetzt“, noch sei eine vollständige oder teilweise Zerstörung eines Gebäudes durch die Brandlegung eingetreten. Die kurzzeitige Zerstörung von im Keller verlaufenden Versorgungsleitungen genüge dafür nicht. Auch sei ein Gebäude im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht teilweise zerstört worden, weil der Keller zwar als zwecknötiger Teil des Wohngebäudes angesehen werden könne, jedoch die Beeinträchtigungen nur kurzzeitig gewesen seien. Die beschädigten Versorgungsleitungen seien im 1. Fall der Brandlegung noch am selben Tag und im 2. Fall am zweiten Tag repariert worden, so dass die Versorgung der Wohnungen sichergestellt gewesen sei. Eine gewisse Verrußung einzelner Wohnungen habe ihren Gebrauch nicht beeinträchtigt. Die zeitweilige Unbenutzbarkeit einzelner Kellerboxen vermöge an dieser Wertung nichts zu ändern, da den Mietern während der Sanierungsarbeiten andere Kellerteile im Gebäudekomplex zur Verfügung gestellt worden seien.

Aufbau der Prüfung: § 306 StGB
Klausurrelevante Lerneinheit

Für die Annahme eines Versuchs der (schweren) Brandstiftung fehle es an einem dahingehenden Vorsatz. Der Angeklagte habe zwar gewusst, dass sich seine Lebensgefährtin zur Brandzeit im Gebäude aufgehalten habe. Er habe aber „mit derartigen Situationen bereits Erfahrungen“ gehabt – zudem sei ihm der bauliche Zustand des Gebäudes bekannt gewesen und er habe auch gewusst, dass die Brandschutztür geschlossen gewesen sei, sodass das Feuer nicht zu seiner Lebensgefährtin vordringen sollte. Aus diesem Grund scheide auch vorsätzliches Handeln hinsichtlich der im 1. Fall verursachten Körperverletzungen aus. Zwar habe der Angeklagte solche als Folge seines Handelns erkennen müssen, aber weder gewollt noch billigend in Kauf genommen.

Was sagt der BGH?

Die Revision des Angeklagten hatte vor dem BGH teilweise Erfolg. Die Strafrahmenwahl sei mit einem Rechtsfehler behaftet, der zur Aufhebung der Einzelstrafe führe. Diese ziehe die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Die Strafkammer habe die Strafe aus einem Strafrahmen mit einer Obergrenze von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe entnommen. Der Strafrahmen der insoweit allein abgeurteilten Sachbeschädigung nach § 303 StGB sehe aber lediglich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. Das Urteil beruhe auf diesem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO), denn der Senat könne trotz der milden Einzelstrafe nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des richtigen Strafrahmens auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte vor dem BGH auch Erfolg. Das Urteil könne wegen unzulänglicher Feststellungen, Lücken und Widersprüchen in der Beweiswürdigung nicht bestehen bleiben. Der BGH hat durch das Urteil seine Ausführungen zu § 306 und § 306a StGB präzisiert und definiert, wann ein Tatobjekt durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört ist.

§ 306 StGB (Brandstiftung) lautet:

(1) Wer fremde
1. Gebäude oder Hütten,
2.Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen,
3.Warenlager oder -vorräte,
4.Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge,
5.Wälder, Heiden oder Moore oder
6.land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

In § 306a StGB heißt es:

1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
1. ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient,
2.eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder
3.eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Im Ansatz zutreffend sei das LG davon ausgegangen, dass brandbedingte Schäden in einem Gebäude nur dann die Voraussetzungen einer Brandstiftung nach § 306 I Nr. 1 StGB in der hier allein in Betracht kommenden Variante des vollständigen oder teilweisen Zerstörens eines Gebäudes erfüllen, wenn die Möglichkeit der Nutzung von Gebäudeteilen wenigstens für einzelne Zweckbestimmungen über eine nicht unbeträchtliche Zeit aufgehoben ist, ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder einzelne Bestandteile gänzlich vernichtet werden, die für einen selbständigen Gebrauch des Gebäudes bestimmt oder eingerichtet sind. Hierfür genügen brandbedingte Schäden in Kellerräumen von Wohngebäuden, wenn diese für einen gewissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können.

Zu enge Auslegung des “Zerstörens” i.S.d. § 306 I Nr. 1 StGB

Allerdings sei das LG von einem zu engen Begriff des Zerstörens i.S.d. § 306 I Nr. 1 StGB ausgegangen. Die Ausführungen des Landgerichts, wonach es nur eine kurzzeitige Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der Wohnungen infolge der Beschädigung von im Keller verlaufenden Versorgungsleitungen gegeben habe, vermögen laut BGH nicht zu überzeugen. 

“Die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit eines Kellers als Versorgungs- und Aufbewahrungsraum kann den Tatbestand des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen, wenn die erforderlichen Reparaturarbeiten infolge brandbedingter Schäden einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen. Zu Recht beanstandet die Revision insoweit, dass im Urteil konkrete Angaben zu Art und Ausmaß der Zerstörungen im Kellerbereich insgesamt, insbesondere in Bezug auf die Versorgungsleitungen und Kellerabteile fehlen. Offen bleiben auch die hierdurch konkret entstandenen Gebrauchseinschränkungen des Kellers oder einzelner Kellerräume sowie die Dauer der Reparaturen und der auch dadurch entstandenen Beeinträchtigungen. Die wenigen in den Urteilsgründen hierzu niedergelegten Feststellungen lassen eine revisionsgerichtliche Prüfung nicht zu.
Der bloße Verweis auf andere „Lagermöglichkeiten“, die betroffenen Mietern im „Gebäudekomplex“ zur Verfügung gestellt wurden, und auf die kurzfristige Sicherstellung der Versorgung der Wohnungen mit Wasser und Strom mittels einer Notreparatur steht einer erheblichen Nutzungseinschränkung des Kellers nicht entgegen. Denn es kommt auf den konkret betroffenen Gebäudeteil und dessen Nutzungseinschränkung an. Dass hier Ersatzraum für die Mieter eines mehrere Wohneinheiten umfassenden Gebäudekomplexes bereitgestellt wurde, ist mithin rechtlich ohne Belang. Nach den Feststellungen waren jedenfalls Kellerboxen und Versorgungsleitungen zerstört oder beschädigt worden. Zudem war ausweislich des Brandursachenberichts der gesamte rechte Kellerbereich von Rauchgas betroffen. Die der Eigentümerin entstandenen Kosten für Reparatur und Reinigung beliefen sich auf mehr als 21.000 Euro, was für einen größeren Umfang der erforderlichen Schadensbeseitigung spricht.”

Voraussetzungen des § 306a I StGB liegen laut BGH nicht vor

Die Voraussetzungen des § 306a I StGB liegen laut BGH dagegen nicht vor. Für ein (teilweises) Zerstören eines Wohngebäudes genüge die brandbedingte Beschädigung der Versorgungs­leitungen im Keller nicht. Es fehle „an einer Einschränkung der Nutzbarkeit der Wohnung für eine beträchtliche Zeit“, da die Versorgungs­leitungen noch am gleichen Tag vorläufig repariert wurden. Zudem führte die Brandlegung auch nicht zu einer erheblichen Verrußung der Wohnungen, die eine „Nutzungs­einschränkungen für eine nicht unbeträchtliche Zeit“ zur Folge hätte.

Dagegen mache sich möglicherweise derjenige nach § 306a II StGB strafbar, der den tatbestandlichen Erfolg lediglich an nicht unmittelbar dem Wohnen dienenden Gebäuden im Sinne des § 306 I Nr. 1 StGB herbeiführt, dadurch aber eine konkrete Gefahr im Sinne des § 306b II StGB verursacht. Ausreichend sei, „wenn zwar kein Wohnraum, aber ein anderer funktionaler Gebäudeteil durch Brandlegung teilweise zerstört wird“, sodass auch brandbedingte Schäden in Kellerräumen eines Wohnhauses genügen, „wenn diese wegen der Beeinträchtigung für einen gewissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können.“ 

„Für eine Gesundheitsgefahr im Sinne des § 306a II StGB genügen durch Raucheinwirkung verursachte Gesundheitsbeeinträchtigungen“, wie sie im vorliegenden Fall anzunehmen seien. Durch die im Keller gelegene Abluftanlage breiteten sich giftige Rauchgase in Küchen und Bäder der im Erdgeschoss gelegenen Wohnungen aus und führten zu körperlichen Beeinträchtigungen der Mieter.

Auf subjektiver Tatbestandsseite reiche Gefährdungs­vorsatz. Naheliegend sei, dass der Angeklagte – auch wegen seiner Erfahrungen mit Brandlegungen in bewohnten Häusern bei seinen früheren Taten – die durch die Rauchgase entstandene Gefahr der Gesundheitsverletzungen von Mietern erkannte und billigend in Kauf nahm.

Aufbau der Prüfung: Schwere Brandstiftung, § 306a I StGB
Klausurrelevante Lerneinheit

Neue Entscheidung des LG Leipzig notwendig

Der BGH hat die Feststellungen insgesamt aufgehoben. Nun soll das LG Leipzig noch einmal neu über den Fall entscheiden. 

Ein Urteil, das den Begriff des Zerstörens im Rahmen der Brandstiftungsdelikte näher definiert und ein Augenmerk auf diese Delikte legt.

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte oder weiterführenden Beiträge zu diesem Thema an: