Wie schreibe ich ein Zivilurteil? Teil 1 – Die Widerklage

Wie schreibe ich ein Zivilurteil? Teil 1 – Die Widerklage

A. Einleitung

Die Widerklage ist in den Examensklausuren überaus häufig anzutreffen. Das liegt daran, dass auch im Assessorexamen der Schwerpunkt der Bearbeitung im materiellen Recht liegt und die Widerklage den Prüfungsämtern die Möglichkeit bietet, weitere materiell-rechtliche Probleme in die Klausur einzubauen.

B. Die Widerklage im Zivilurteil

Bei der Widerklage ist im Rubrum darauf zu achten, dass die Parteien eine „Doppelrolle“ einnehmen, nämlich einmal im Hinblick auf die Klage und einmal im Hinblick auf die Widerklage. Deswegen ist der Kläger zusätzlich als Widerbeklagter (üblicherweise im Genitiv: „Klägers und Widerbeklagten“) und der Beklagte zusätzlich als Widerkläger (üblicherweise im Akkusativ: „Beklagten und Widerkläger“) zu bezeichnen. Im Weiteren, also im Tenor, Tatbestand und in den Entscheidungsgründen spricht man hingegen nur von der ursprünglichen Parteirolle, also von „Kläger“ und „Beklagter“.

Im Tenor ist darauf zu achten, dass in der Hauptsacheentscheidung ausdrücklich zwischen Klage und Widerklage differenziert werden muss, um die Reichweite der Rechtskraft des Urteils zweifellos bestimmen zu können.

Beispiel: „Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.000 Euro zu zahlen. Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an den Beklagten den Pkw der Marke …, Fahrzeug-Identifizierungsnummer …, herauszugeben.“)

Eine Saldierung findet (auch bei gleichartigen Leistungen) nicht statt. Für die Kostengrundentscheidung ist zu beachten, dass nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung eine einheitliche Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits zu ergehen hat; es darf nicht nach den Kosten der Klage einerseits und den Kosten der Widerklage andererseits differenziert werden. Für den Gebührenstreitwert werden die Werte von Klage und Widerklage grundsätzlich addiert (§ 45 I 1 GKG). Eine Zusammenrechnung unterbleibt aber, wenn es sich bei Klage und Widerklage um denselben (wirtschaftlichen) Gegenstand handelt (§ 45 I 3 GKG). Das ist nach der sogenannte Identitätsformel der Fall, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht beiden stattgeben könnte, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich ziehen müsste.  Bei der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO) gibt es keine Besonderheiten. Es ist aber besonders darauf zu achten, dass alle Vollstreckungsverhältnisse identifiziert und „abgearbeitet“ werden.

Bei der Abfassung des Tatbestandes, bei dem die Parteien ebenfalls nur als „Kläger“ und „Beklagter“ (nicht auch als „Widerkläger“ und „Widerbeklagter“) bezeichnet werden, sollte man danach unterscheiden, ob die Klage und Widerklage aus einem einheitlichen Lebensvorgang resultieren (bspw. aus einem Verkehrsunfall) oder auf verschiedenen Lebensvorgängen beruhen. Im ersten Fall sollten der Tatbestand einheitlich aufgebaut und die verschiedenen Streitgegenstände von Klage und Widerklage in den normalen Aufbau integriert werden („Einheitsaufbau“). Im zweiten Fall hingegen sollte der Sachvortrag zu Klage und Widerklage getrennt werden, um die Übersichtlichkeit und damit die Verständlichkeit des Tatbestandes zu wahren („Trennungsaufbau“).

Der Einheitsaufbau könnte wie folgt aussehen:

  • Einleitungssatz, der Klage und Widerklage erwähnt
  • unstreitiger Sachverhalt zu Klage und Widerklage
  • streitiger Klägervortrag zu Klage und Widerklage
  • antragsbezogene (kleine) Prozessgeschichte zur Klage
  • Anträge zur Klage
  • antragsbezogene (kleine) Prozessgeschichte zur Widerklage
  • Anträge zur Widerklage
  • streitiger Beklagtenvortrag zu Klage und Widerklage
  • ggf. Replik/Duplik
  • übrige (große) Prozessgeschichte

Der „Trennungsaufbau“ hingegen ist letztlich die Kombination zweier Tatbestände (ein Tatbestand für die Klage, ein zweiter für die Widerklage), die durch einen einheitlichen Einleitungssatz am Anfang und einer einheitlichen (großen) Prozessgeschichte am Ende „geklammert“ werden . Er könnte folgendermaßen aussehen:

  • Einleitungssatz, der Klage und Widerklage erwähnt
  • unstreitiger Sachverhalt zur Klage
  • streitiger Klägervortrag zur Klage
  • antragsbezogene (kleine) Prozessgeschichte zur Klage
  • Anträge zur Klage
  • streitiger Beklagtenvortrag zur Klage
  • ggf. Replik/Duplik zur Klage
  • Überleitungssatz („Widerklagend begehrt der Beklagte, …“)
  • unstreitiger Sachverhalt zur Widerklage
  • streitiger Beklagtenvortrag zur Widerklage
  • antragsbezogene (kleine) Prozessgeschichte zur Widerklage
  • Anträge zur Widerklage
  • Streitiger Klägervortrag zur Widerklage
  • ggf. Replik/Duplik zur Widerklage
  • übrige (große) Prozessgeschichte zu Klage und Widerklage

In den Entscheidungsgründen werden grundsätzlich zunächst Zulässigkeit und Begründetheit der Klage und erst im Anschluss Zulässigkeit und Begründetheit der Widerklage abgehandelt.

Schon im Rahmen der Zulässigkeit der Klage kann sich die Frage nach der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts stellen. Hier sollte man wissen, dass die Werte von Klage und Widerklage für die Bestimmung des ggf. nach §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG maßgeblichen Zuständigkeitsstreitwertes nicht addiert werden (§ 5 Hs. 2 ZPO).

Im Anschluss an die Begründetheit der Klage folgt dann die Prüfung der Zulässigkeit der Widerklage. Eine Widerklage setzt zunächst eine rechtshängige Klage voraus; zudem darf es kein Verbot einer Widerklage geben (etwa im Urkundenprozess nach § 595 I ZPO). Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts für die Widerklage bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 23, 71 GVG). Hier sollte man wissen, dass sich ggf. aus dem Rechtsgedanken von § 506 ZPO die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts für eine Widerklage ergeben kann, die nach §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG eigentlich den Amtsgerichten zugewiesen ist (Beispiel: Klage am Landgericht über 10.000 Euro; Widerklage über 2.000 Euro). § 506 ZPO regelt zwar den umgekehrten Fall (Klage am Amtsgericht; Widerklage, die zum Landgericht gehört), gleichwohl kann dem entnommen werden, dass das für die Klage zuständige Landgericht auch für eine in die sachliche und nicht ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts fallende Widerklage zuständig ist, um im Interesse der Prozessökonomie eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung von Klage und Widerklage zu gewährleisten und eine Trennung der Prozesse (§ 145 ZPO) zu vermeiden.

Für die örtliche Zuständigkeit gelten ebenfalls die allgemeinen Regeln (vgl. insbesondere §§ 12 ff. ZPO). Hier gibt es einen besonderen Gerichtsstand der Klage. Nach § 33 ZPO ist nämlich das Gericht der Klage für eine Widerklage örtlich zuständig, wenn der Anspruch der Widerklage mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln (bspw. eine Aufrechnung) in Zusammenhang steht (sog. Konnexität). Der Begriff des Zusammenhangs ist weit auszulegen und deckt sich weitgehend mit der Konnexität im Sinne von § 273 BGB. Danach müssen die Ansprüche von Klage und Widerklage entweder demselben Tatsachenkomplex zu entnehmen sein oder wirtschaftlich als ein Ganzes, als ein innerlich zusammengehöriges Lebensverhältnis erscheinen, sodass es treuwidrig wäre, einen Anspruch ohne Berücksichtigung des anderen durchzusetzen.

Nach der (älteren) Rechtsprechung des BGH ist die Konnexität zudem nicht nur Tatbestandsmerkmal des besonderen Gerichtsstands nach § 33 ZPO, sondern stellt eine allgemein zu beachtende besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Widerklage dar. Ein Mangel der Konnexität führt nach dieser Rechtsprechung nicht nur zur Unzuständigkeit des Gerichts (mit der Möglichkeit der Verweisung nach § 281 ZPO), sondern zur Unzulässigkeit der Widerklage überhaupt. Möglich ist aber eine Heilung nach § 295 ZPO.

Nach Ansicht der Literatur hingegen spielt die Konnexität nur im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 33 ZPO eine Rolle. Ist die örtliche Zuständigkeit des Gerichts für die Widerklage nach anderen Vorschriften begründet (bspw. §§ 12, 13 ZPO, § 29 ZPO, § 32 ZPO), kommt es weder auf § 33 ZPO noch auf die Konnexität an. Dafür sprechen die systematische Stellung des § 33 ZPO im Titel „Gerichtsstand“ sowie § 145 II ZPO, der ansonsten leerliefe. Vielfach wird es in Klausuren im Ergebnis auf diesen Streit nicht ankommen: Liegt Konnexität vor, ist ein Streitentscheid entbehrlich. Liegt sie nicht vor, wird der Mangel häufig gemäß § 295 ZPO (BGH) oder durch einen anderen Gerichtsstand bzw. § 39 ZPO (Literatur) geheilt.

Eine weitere besondere Zulässigkeitsvoraussetzung der Widerklage ist die sogenannte Parteiidentität. Die Widerklage muss danach von dem Beklagten erhoben werden und sich grundsätzlich gegen den Kläger des Hauptprozesses richten.Kläger/Widerbeklagter einerseits und Beklagter/Widerkläger andererseits müssen demnach grundsätzlich identisch sein. Liegt die Parteiidentität nicht vor, wird die Widerklage also nicht (nur) gegen den Kläger, sondern (auch) gegen einen bislang nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten erhoben, spricht man von einer Drittwiderklage. Diese ist nur unter besonderen (weiteren) Voraussetzungen zulässig.

C. Ausblick

In den nächsten Wochen werden wir uns in Teil 2 des Beitrags den Besonderheiten der Drittwiderklage widmen.