AG Bremen: Rückabwicklung eines Ticketkaufs nach coronabedingter Konzertabsage

AG Bremen: Rückabwicklung eines Ticketkaufs nach coronabedingter Konzertabsage

A. Sachverhalt

Der Kläger kaufte bei der Beklagten zwei Tickets für ein André-Rieu-Konzert in Bremen. Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft und tritt als Zwischenhändlerin zwischen Veranstaltern und Veranstaltungsbesuchern auf. Zwischen ihr und den Veranstaltern bestehen Kommissionsverträge.

Nachdem das Konzert wegen einer Stimmbandentzündung des Künstlers vom 6. März 2020 auf den 9. April 2020 verschoben worden war, konnte es wegen der Covid-19-Pandemie auch an diesem Tag nicht stattfinden, sondern wurde in den Oktober 2020 (und mittlerweile auf Juni 2021) verschoben.

Daraufhin verlangte der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises für die Tickets. Die Beklagte lehnte das ab.

Der Kläger erhob sodann Klage vor dem Amtsgericht Bremen.

B. Überblick

Konzertabsagen gab es natürlich auch schon vor der Covid-19-Pandemie, wie nicht zuletzt der vorliegende Sachverhalt zeigt, denn das Konzert wurde zunächst wegen einer Stimmbandentzündung des Künstlers verschoben. Die Pandemie hat die Situation aber erheblich verschärft und führt zu massiven Beeinträchtigungen in der Kunst- und Kulturbranche. Die Absage von Konzertveranstaltungen stellt Künstler und Veranstalter vor teils existentielle Probleme.

Der Gesetzgeber hat hierauf mit einem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht vom 15. Mai 2020 reagiert, das am 19. Mai 2020 in Kraft getreten ist (BGBl. 2020, Teil I, Nr. 22). Mit diesem Gesetz wurde Art. 240 § 5 EGBGB eingeführt. Art. 240 EGBGB fasst die vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie zusammen. Die Vorschrift sollte einmal komplett gelesen und weiterhin im Auge behalten werden.

Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB regelt die sog. Gutscheinlösung:

  • Fällt eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung coronabedingt aus, kommt es für die Frage des Rückzahlungsanspruchs des Ticketkäufers darauf an, wann er die Eintrittskarte erworben hat. War das vor dem 8. März 2020, kann ihm der Veranstalter anstelle der Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein übergeben (Abs. 1). Der Wert des Gutscheins muss den gesamten Eintrittspreis oder das gesamte sonstige Entgelt einschließlich etwaiger Vorverkaufsgebühren umfassen; für die Ausstellung und Übersendung des Gutscheins darf der Veranstalter dem Ticketkäufer keine Kosten in Rechnung stellen (Abs. 3).
  • Grundsätzlich berechtigt der Gutschein lediglich zum Erwerb eines weiteren Tickets. Hat der Ticketkäufer hieran kein Interesse, muss er bis 2022 warten, denn erst ab dann kann er die Auszahlung des Gutscheinwertes verlangen (Abs. 5 Nr. 2; eine Ausnahme gilt nach Nr. 1 dann, wenn die Gutscheinlösung für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist). Im Kern stellt die Gutscheinlösung also eine zinslose Stundung des Rückzahlungsbetrages dar. Allerdings trägt der Ticketinhaber solange eben auch das Insolvenzrisiko des Veranstalters. Insoweit werden in der Literatur Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung (Art. 14 GG), insbesondere ihre Verhältnismäßigkeit, erhoben. Hier müssen wir gemeinsam die weitere Entwicklung im Auge behalten und mögliche Gerichtsentscheidungen abwarten.

C. Entscheidung

Das Amtsgericht Bremen hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger den Ticketpreis zurückzuzahlen. Der Anspruch des Klägers folge aus §§ 453, 434, 440, 346 ff. BGB.

Der Ticketerwerb sei als Rechtskauf zu qualifizieren.

Die Beklagte habe ihre geschuldete Leistung aus diesem Vertrag nicht mangelfrei erbracht. Sie sei nicht nur zur Übersendung eines gültigen Konzerttickets verpflichtet, sondern habe dafür einzustehen, dass der Kunde die Veranstaltung auch besuchen könne. Das folge daraus, dass ein Konzertticket ein Teilnahmerecht des Inhabers gegenüber dem Veranstalter in Bezug auf die angegebene Veranstaltung verkörpere (§ 807 BGB). Die Tickets seien für eine Veranstaltung am 6. März 2020 verkauft worden. Mit der Absage des Konzertes für diesen Tag habe ein Mangel vorgelegen, der durch Nacherfüllung nicht mehr heilbar gewesen sei.

Die vom Gesetzgeber eingeführte Gutscheinlösung begünstige nur die in ihrer Existenz bedrohten Konzertveranstalter, nicht aber die Beklagte als gewerbliche Tickethändlerin.

Die Beklagte hafte gegenüber dem Kläger, da sie den Kaufpreis vereinnahmt habe und das Kommissionsgeschäft mit dem Veranstalter das Verhältnis zum Kunden nicht betreffe. Hieran könnten entgegenstehende AGB nichts ändern (§ 305c Abs. 1 BGB). Die Beklagte habe auch nicht vorgetragen, dass sie lediglich als Maklerin aufgetreten sei oder den Vertrag im Namen des Veranstalters geschlossen habe.

Die Beklagte sei folglich verpflichtet, dem Kläger den gezahlten Ticketpreis ungekürzt zu erstatten. Die gleichzeitig für den Kläger bestehende Pflicht zur Rückgabe der Tickets habe dieser bereits vor dem Prozess erfüllt.

D. Prüfungsrelevanz

Die relativ kurze Entscheidung gibt uns die Gelegenheit, zwei examensrelevante Punkte etwas eingehender darzustellen.

I. Eintrittskarten

Das AG Bremen hat die Konzerttickets zu Recht als Inhaberpapier im Sinne von § 807 BGB angesehen.

1. Eintrittskarten als Inhaberpapier

Solche Papiere - auch „kleine Inhaberpapiere“ genannt - zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen kein Gläubiger benannt wird. Der Aussteller - der Konzertveranstalter - muss die Leistung deshalb demjenigen gegenüber erbringen, der im Besitz des Papiers, also sein Inhaber ist (§§ 807, 793 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Recht aus dem Papier folgt dem Recht am Papier, so dass das Eigentum an einem Ticket durch Einigung und Übergabe nach § 929 Satz 1 BGB übertragen wird. Dabei ist ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten sogar dann möglich, wenn das Inhaberpapier dem Eigentümer abhandengekommen ist (§ 935 Abs. 2 BGB).

Der Aussteller kann die Erbringung der Leistung von der Rückgabe des Inhaberpapiers abhängig machen (Zurückbehaltungsrecht, §§ 807, 797 Satz 1 BGB). Bei Konzerttickets begnügt sich der Veranstalter als Aussteller bekanntlich in aller Regel aber damit, dass die Eintrittskarte entwertet wird.

Einwendungen gegen den materiellen Anspruch kann der Aussteller nur unter den Voraussetzungen von §§ 807, 796 BGB geltend machen. Er kann sich danach auf die unwirksame Ausstellung des Papiers und auf solche Einwendungen berufen, die sich direkt aus dem Papier ergeben (bspw. Befristungen). Außerdem kann der Aussteller alle Einwendungen geltend machen, die er unmittelbar aus dem Verhältnis zum Inhaber hat, die also mit dem Inhaberpapier als solchem nichts zu tun haben.

2. Personalisierte Eintrittskarten

Schon vor der COVID-19-Pandemie sind viele Veranstalter dazu übergegangen, die Tickets zu personalisieren. Dieser Trend wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit verstärken.

Ausgangspunkt waren die Vereine der Fußball-Bundesliga, die mit der Personalisierung vor allem die kommerzielle Weiterveräußerung zu überhöhten Preisen durch Drittanbieter verhindern wollten.

Wie wir gerade gesehen haben, besteht das Besondere am Inhaberpapier nach § 807 BGB aber gerade darin, dass es keinen Gläubiger bezeichnet und der Aussteller deshalb jedem Inhaber gegenüber leisten muss – aber eben auch schuldbefreiend kann.

Inhaberpapiere, in denen ein Gläubiger benannt ist, werden deshalb von ** 808 BGB** erfasst und dort als Namenspapiere mit Inhaberklausel bezeichnet. Man spricht auch von qualifizierten Legitimationspapieren. Der Unterschied zu § 807 BGB liegt darin, dass der Aussteller zwar an jeden Inhaber schuldbefreiend leisten kann, aber nicht muss (§ 808 Abs. 1 Satz 2 BGB; teilweise wird auch von einem „hinkenden“ Inhaberpapier gesprochen). Seine Leistungspflicht besteht nur gegenüber dem materiell Berechtigten, also dem Inhaber des Anspruchs. Der Aussteller kann deshalb selbst entscheiden, ob er die Identität des Inhabers mit dem bezeichneten Gläubiger prüft oder nicht. Konsequenz hieraus ist, dass das Eigentum an dem Papier dem Recht aus dem Papier folgt. Wird die verbriefte Forderung abgetreten, geht zugleich das Eigentum am Papier auf den Zessionar über (§ 952 Abs. 2 BGB).

Ein wesentlicher Vorteil eines qualifizierten Legitimationspapiers liegt für den Aussteller darin, dass er die Übertragung des Papiers verhindern kann. Der Erwerber des Anspruchs muss damit rechnen, dass der Aussteller sich weigert, die verbriefte Leistung an ihn zu erbringen. Es kann aber auch direkt ein Weiterveräußerungsverbot vereinbart werden, das wie ein Abtretungsverbot nach § 399 Alt. 2 BGB wirkt. Eine dennoch erfolgte Abtretung ist unwirksam, so dass der vermeintliche Zessionar weder Inhaber des Anspruchs wird noch Eigentümer des Papiers.

Dagegen würde ein Veräußerungsverbot bei einem kleinen Inhaberpapier nach § 807 BGB nur gegenüber dem Gläubiger wirken (§ 137 Satz 2 BGB), nicht jedoch auch gegenüber dem Erwerber (§ 137 Satz 1 BGB). Etwas anderes müsste wegen § 796 BGB eigentlich dann gelten, wenn sich das Veräußerungsverbot direkt aus dem Papier ergibt. Diese Frage ist aber umstritten. Der BGH hat für eine nicht personalisierte Eintrittskarte zu einem Bundesligaspiel entschieden, dass der dort aufgedruckte Hinweis, die Weiterveräußerung mit Preisaufschlag und der Erwerb im Rahmen einer Internetauktion seien verboten, keine Einwendung nach § 796 BGB begründe, da sich das Vorliegen dieser Umstände nicht dem Ticket selbst entnehmen lasse (BGH I ZR 74/06).

II. Kommissionsgeschäft

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger die Tickets nicht direkt beim Veranstalter erworben, sondern bei einem Zwischenhändler, der mit dem Veranstalter einen Kommissionsvertrag geschlossen hatte.

Das Kommissionsgeschäft ist in § 383 Abs. 1 HGB geregelt. Danach ist Kommissionär, wer es gewerbsmäßig übernimmt, Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen (des Kommittenten) in eigenem Namen zu kaufen oder zu verkaufen. Nach Ausführung des Geschäfts mit dem Dritten muss er dem Kommittenten das dabei Erlangte herausgeben (§ 384 Abs. 2 HGB) und erhält von diesem eine Provision (§ 396 Abs. 1 Satz 1 HGB).

Der Kommissionär tritt gegenüber den Käufern nicht als Stellvertreter auf, da er der Kaufvertrag nicht im Namen des Kommittenten, sondern im eigenen Namen schließt. Die Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag treffen ihn deshalb persönlich. Der Kommittent kann Ansprüche gegen den Schuldner erst nach Abtretung geltend machen (§ 392 Abs. 1 HGB), zu der der Kommissionär nach § 384 Abs. 2 HGB allerdings verpflichtet ist. Im Verhältnis zum Kommissionär und seinen Gläubigern gelten die Forderungen gegen den Schuldner aber schon vor Abtretung als solche des Kommittenten (§ 392 Abs. 2 HGB). Eine Abtretung an einen Dritten ist deshalb im Verhältnis zum Kommittenten unwirksam.

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