Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
Die X-GmbH betreibt einen Versandhandel für „exklusive Geschenke und Accessoires“. Der ursprüngliche Alleingesellschafter (A) der X-GmbH ist Hobbypilot. Daher verfügt die X-GmbH über ein Sportflugzeug.
Als A aus der Gesellschaft ausscheidet, haben weder G, der neue Anteilseigner und alleinige Geschäftsführer noch die GmbH selbst Verwendung für das Flugzeug.
Im Gespräch mit dem Prokuristen P der X-GmbH bekundet der selbstständige Wirtschaftsprüfer W Interesse am Kauf des Flugzeugs, um es seiner flugbegeisterten Frau am 10. Juni 2017 zum 50. Geburtstag zu schenken.
Daraufhin schließen W und P am 12.04.2017 einen schriftlichen Kaufvertrag über das Flugzeug für 40.000 €. Die X-GmbH soll das Flugzeug am 30.05.17 übergeben und bis dahin noch zwei erneuerungsbedürftige Teile austauschen. Der Kaufpreis soll nach Übergabe bezahlt werden, „jegliche Gewährleistung und Haftung für Mängel soll ausgeschlossen sein“.
W betont, er verlasse sich auf P, denn die runde Jahreszahl ihres Geburtstages mache seiner Frau zu schaffen. Am Geburtstag dürfe er also keinesfalls mit leeren Händen dastehen.
Als W am 30.05.17 am Flugplatz, dem vertraglich vereinbarten Ort, das Flugzeug übernehmen will, stellt er fest, dass die vereinbarten Teile nicht ausgetauscht wurden. Daher nimmt er das Flugzeug nicht entgegen.
Erst am 26.06.17 schreibt W an die X-GmbH eine E-Mail, in der er nachfragt, wann er mit der Übergabe rechnen könne. Darauf erhielt er die Antwort, dass dem P wegen Abschluss des viel zu günstigen Kaufvertrages die Prokura am 19.04.17 entzogen wurde. Hätte W das Flugzeug haben wollen, wäre erforderlich gewesen, das Flugzeug wie angeboten am Flugplatz abzunehmen, und den Kaufpreis zu begleichen, da die Haftung für Mängel ja ausgeschlossen war. Außerdem hätte der W als tüchtiger Geschäftsmann nicht 3 Wochen mit der Nachfrage warten dürfen. Die X-GmbH musste jetzt einen Flugzeugstellplatz für 6 Monate anmieten, was sie 6000 € kostete.
Frage 1: Kann W von der X-GmbH Lieferung des reparierten Flugzeuges verlangen?
Fortsetzung:
Der Widerruf der Prokura wurde nicht in das Handelsregister eingetragen. Der P traf sich zu einem Termin mit dem K. K ist Kommanditist der K-KG, 10.000 € Haftungseinlage hat er schon einbezahlt, seine Ehefrau E ist Komplementärin. Diese hat dem K Vollmacht für alle Geschäfte der KG erteilt. Bei dem Treffen mit P gab K diesem seine Visitenkarte, die ihn als geschäftsführenden und persönlich haftenden Gesellschafter der K-KG auswies.
Bei diesem Termin wurden zwei Verträge geschlossen, um den Verkaufsstart der Herbstkollektion der X-GmbH zu sichern. Zum einen schlossen sie einen Vertrag über den Verkauf von 300 Restposten-Ledergürteln mit integriertem Geldfach mit Reißverschluss für 20 € das Stück. Zum anderen über die Lieferung von 3000 Tintenschreiber der H-AG, für 30 € das Stück, sowie für die X-GmbH gefertigte Verpackungen mit dem Aufdruck „X-Tintenroller Spezial“ für 5 € das Stück. Der Liefertermin für Tintenschreiber und Verpackungen wurde für den 01.08.2017 vereinbart, dies sei für die X-GmbH entscheidend.
K gab sofort sowohl die Fertigung der Tintenschreiber bei der H-AG, sowie die Fertigung der Verpackungen bei einer fernöstlichen Firma in Auftrag und lieferte die Restbestands-Gürtel an die X-GmbH.
Der zuständige Mitarbeiter der X-GmbH entdeckte sofort, dass die Reißverschlüsse verrostet sind. Der P schrieb sogleich eine E-Mail an die K-KG und rügte den Mangel, er sagte weiterhin, dass die Ware zur Abholung bereit stehe.
Am 05.07.2017 stellte die H-AG einen Insolvenzantrag. Ob die H-AG überhaupt noch Tintenschreiber produzieren würde ist unklar, jedenfalls müsse hierüber in den nächsten drei Monaten ein Insolvenzverwalter entscheiden. Für K ist jedenfalls klar, dass die Tintenschreiber nicht mehr rechtzeitig bei der X-GmbH ankommen würden. Daher tritt K gegenüber der H-AG vom Vertrag zurück. Auch die Packungsbestellung stornierte er sogleich. Über diese Vorgänge setzte er die X-GmbH in Kenntnis.
Der G der X-GmbH antwortete darauf, dass die X-GmbH teilweise am Vertrag festhalten wolle. Zwar sei die Lieferung der Tintenschreiber wohl nicht mehr sinnvoll, jedoch wolle sie weiterhin Lieferung der Verpackungen zum vereinbarten Preis, da die X-GmbH andere Stifte bis zum Verkaufsstart der Herbstkollektion besorgen könne.
Die K-KG wendet sich daraufhin an einen Anwalt, der ihnen sagte, zwar zu meinen, dass sie nicht mehr zur Lieferung der Verpackungen verpflichtet sind, dass ein Gericht dies aber auch anders beurteilen könne.
Die fernöstliche Verpackungsproduktionsfirma hat ihre Kapazitäten jedoch anderweitig belegt. Eine andere könnte ihm die Verpackungen auch produzieren, allerdings für 7 € das Stück. Daher schreibt der K am 18.07.2017 in einer E-Mail an G, dass er ihm Verpackungen besorgen könne, allerdings nur für den Preis von 8 € das Stück.
G verlangt jedoch weiterhin Lieferung zum vereinbarten Preis. Hierzu ist K unter keinen Umständen bereit. Daraufhin unterlässt G weitere Rücksprache und lässt die Verpackungen in Deutschland für 10 € das Stück anfertigen.
Frage 2: Hat die X-GmbH von der K-KG einen Anspruch auf Erstattung der bereits gezahlten 6000 € Kaufpreis für die Gürtel?
Frage 3: Hat die X-GmbH gegen die K-KG einen Anspruch wegen der nicht gelieferten Verpackungen?
Frage 4: Angenommen, die Ansprüche in Frage 2 und Frage 3 bestünden, könnte die X-GmbH den K auch persönlich in Anspruch nehmen?
Unverbindliche Lösungsskizze
Frage 1: W gegen die X-GmbH auf Lieferung des reparierten Flugzeuges, § 433 I BGB
I. Anspruch entstanden
- Einigung
- Stellvertretung der X-GmbH durch P, §§ 48 ff. HGB
- Wirksamkeit (+)
II. Anspruch nicht erloschen (+)
III. Anspruch durchsetzbar
-> Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB wegen Aufwendungsersatzanspruch gem. § 304 BGB (vertretbar auch: Schadensersatz gem. §§ 280 II, 286 BGB)
-> Voraussetzung: Annahmeverzug, §§ 293 ff. BGB
Erfüllbarer Anspruch (+)
Ordnungsgemäßes Angebot
-> Tatsächliches Angebot, § 294 BGB
-> Voraussetzung: „so wie sie zu bewirken ist“
-> Hier: Mangel, § 434 I 1 BGB; aber: Vertraglicher Ausschluss
a) Auslegung (+)
b) Wirksamkeit
-> § 476 BGB
-> Voraussetzung: Verbrauchsgüterkauf, § 474 BGB
Hier: W als Privatperson (Verbraucher, § 13 BGB ) aufgetreten
c) Ergebnis: (-)
IV. Ergebnis: (+)
Frage 2: X-GmbH gegen K-KG auf Erstattung des bereits gezahlten Kaufpreises i.H.v. 6.000 Euro für die Gürtel
. ** § 437 Nr. 2, 1. Fall, 323, 326 V, 346 I BGB**
I. Anspruch entstanden
- Wirksamer Kaufvertrag
-> Stellvertretung der X-GmbH durch P, §§ 164 ff. BGB
a) Eigene Willenserklärung (+)
b) Im fremden Namen (+)
c) Im Rahmen der Vertretungsmacht
aa) Rechtsgeschäftlich
Hier: Prokura, §§ 48 ff. HGB
Aber: Widerruf (fehlende Eintragung unerheblich; Arg.: Eintragung nur deklaratorisch)
bb) Rechtsschein
-> § 15 I HGB
(1) Einzutragende Tatsache
Hier: Widerruf der Prokura, § 53 II HGB
(2) Keine Eintragung (+)
(3) Keine Kenntnis des Gegners (+)
(4) Vorgang im Geschäftsverkehr (+)
(5) Rechtsfolge: „negative Publizität“
Mangel
Hier: § 434 I 2 Nr. 2 BGB (Rost)Maßgeblicher Zeitpunkt
-> Übergabe (+)Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung
(-); aber: Unmöglichkeit, §§ 275 I, 326 V BGB; Arg.: RestpostenKein Ausschluss
a) Vertraglich (-)
b) Gesetzlich
-> Verletzung der Rügeobliegenheit, § 377 II HGB (-); Arg.: Unverzüglich gerügt
Rücktrittserklärung, § 349 BGB
Hier: konkludentKeine Einrede der Unwirksamkeit (+)
II. Anspruch nicht erloschen (+)
III. Anspruch durchsetzbar (+)
IV. Ergebnis: (+)
B. Sonstige Ansprüche (-)
Frage 3: Ansprüche der X-GmbH gegen K-KG wegen der nicht gelieferten Verpackungen
A. X gegen K auf Schadensersatz, §§ 280 I, III, 281 BGB
I. Anspruch entstanden
Schuldverhältnis
Hier: KaufvertragPflichtverletzung
a) Nichterbringung einer fälligen und noch möglichen Leistungspflicht
Hier: Verpackungen können prinzipiell noch beschafft werden; dass dies nur zu einem ungleich höheren Preis geschehen kann, dürfte unbeachtlich sein, da weder § 275 I BGB noch § 275 II BGB (noch § 313 BGB) vorliegen
b) Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung (+)
Vertretenmüssen, §§ 280 I 2, 276 BGB (+)
Rechtsfolge: Schadensersatz statt der Leistung
Hier: Ersatzkauf = ÄquivalenzinteresseKein Ausschluss (+)
Ergebnis: (+)
B. Sonstige Ansprüche (-)
Frage 4: Ansprüche der X-GmbH gegen K persönlich
A. §§ 161 II, 128 HGB
(-); Arg.: K nicht Komplementär, sondern Kommanditist (§ 171 HGB)
B. §§ 161 II, 128 HGB, § 242 BGB
I. Zurechenbarer Rechtsschein
Hier: Einsatz einer Visitenkarte, die den K als Komplementär ausweist
II. Gutgläubigkeit des Dritten (+)
III. Rechtsfolge: Haftung wie ein Komplementär
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