Examensreport: ZR I 1. Examen aus dem September 2017 Baden-Württemberg

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

H betreibt zusammen mit seinen beiden Söhnen J und T eine Reparaturwerkstatt für Motorräder, und zwar in Form einer GbR (HS-GbR). Alle Gesellschafter sind einzelvertretungsberechtigt. Die jeweiligen Reparaturarbeiten werden von H und T durchgeführt. Beide haben eine Mechanikerausbildung, aber keine Meisterprüfung. Deshalb sind weder sie noch die HS-GbR in der Handwerksrolle eingetragen. J ist für die Büroarbeit und die Finanzen verantwortlich.

K ist begeisterter Motorradfahrer und möchte sein „Baby“ für die Motorradsaison fit machen (Bremsflüssigkeit, Kühlwasser etc.) und das Motorrad noch etwas tunen lassen. Daher wendet er sich an den H. H bietet dem K ein szenetypisches Tuning für 2.500 Euro an. Der Sicherheitscheck soll 100 Euro (inkl. MwSt.) kosten. Als der K fragt, ob man mit dem Preis nicht noch etwas machen könne, entgegnet der H, dass er das Tuning auch für 1.900 Euro durchführen könne, wenn der Teil des Geschäfts dann bar und ohne Rechnung laufen könne. Der Sicherheitscheck müsse aber offiziell laufen. Zusammen mache das dann 2.000 Euro. H und K werden sich auf dieser Basis handelseinig. Weil K knapp bei Kasse ist, wird außerdem vereinbart, dass er den Betrag erst in einem Monat zahlen muss.

Die Arbeiten werden wie besprochen durchgeführt. Eine Woche später holt der K das Motorrad ab. Bei der ersten Spritzfahrt verunfallt der K. Als Ursache stellt der Unfallgutachter fest, dass zu wenig Bremsflüssigkeit zu einem Versagen der Bremsen geführt habe. Ein Verschulden des K kann nicht festgestellt werden. Bei dem Unfall erleidet das Motorrad, das einen Marktwert von 6.000 Euro hat, einen Totalschaden. Außerdem erleidet der K Prellungen und ein schweres Schleudertrauma. Deshalb wendet sich der K an H und J und verlangt Schadensersatz i.H.v. 6.000 Euro für das zerstörte Motorrad und außerdem ein - der Höhe nach angemessenes – Schmerzensgeld i.H.v. 12.000 Euro.

H seinerseits fordert den K auf, endlich die vereinbarten 2.000 Euro zu zahlen. J erwidert, er können schon deshalb nicht in Anspruch genommen werden, weil er selbst gar keine Arbeiten durchführe. Im Übrigen sei er – was tatsächlich zutrifft – nach dem Reparaturauftrag, aber vor Durchführung der Reparatur aus der Gesellschaft ausgeschieden. K weigert sich umgekehrt, den Betrag zu zahlen, da er nichts von den Arbeiten gehabt habe. Nur hilfsweise rechne er mit seinen Schadensersatzansprüchen auf.

Frage 1: Welche Ansprüche hat K gegen die HS-GbR bzw. Gegen H und J?

Frage 2: Welche Ansprüche hat die HS-GbR gegen K?

Fortsetzung:
Auch der 17-jährige S sucht die Werkstatt auf und kauft dort – ohne Einwilligung seiner Eltern, aber unter Vorlage seines Führerscheins - einen gebrauchten Motorroller für 3.000 Euro. Die Hälfte des Preises zahlt der S sofort. Kurz darauf verschuldet der S einen Unfall, bei dem der Motorroller einen Totalschaden erleidet.

Frage 3: Welche Ansprüche hat die HS-GbR gegen S?

Bearbeiterhinweise:
- Bei der ersten Frage sind Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB nicht zu prüfen.
- Auf die HwO, insbesondere Anlage A Nr. 17, und auf § 1 II SchwArbG wird hingewiesen.

 

Unverbindliche Lösungsskizze

Frage 1: Ansprüche des K gegen die HS-GbR, H und J

A. Ansprüche des K gegen die HS-GbR
I. §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB

  1. Anspruch entstanden
    a) Wirksamer Werkvertrag

aa) Einigung
Hier: (Einzel-)Stellvertretung durch H, §§ 164 ff. BGB, §§ 709, 714 BGB

bb) Wirksamkeit
-> Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, § 134 BGB

(1) Anlage A Nr. 17 HwO
(+), aber: Verstoß führt nicht zur Nichtigkeit; Arg.: Sinn und Zweck

(2) § 1 II SchwArbG

  • Bzgl. Sicherheitscheck: kein Verstoß
  • Bzgl. Tuning: Verstoß, der auch zur Nichtigkeit führt; Arg.: Sinn und Zweck
    -> Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB (-); Arg.: Sicherheitscheck wäre auch ohne das Tuning durchgeführt worden.

b) Mangel
Hier: Bremsflüssigkeit nicht ausreichend kontrolliert und aufgefüllt

c) Maßgeblicher Zeitpunkt

-> Bei Abnahme (+)

d) Voraussetzungen des § 280 I BGB

aa) Schuldverhältnis (+)

bb) Pflichtverletzung
Hier: Mangelhafte Werkleistung

cc) Vertretenmüssen, § 276 BGB

(+); Arg.: § 278 BGB

dd) Rechtsfolge: Schadensersatz

  • Totalschaden am Motorrad: (+), § 249 II BGB

  • Schmerzensgeld: (+), § 253 I, II BGB

e) Kein Ausschluss (+)

  1. Anspruch nicht erloschen (+)

  2. Anspruch durchsetzbar (+)

  3. Ergebnis: (+)

II. Weitere Ansprüche
-> §§ 823 ff. BGB sind nicht zu prüfen.

B. K gegen H und J, §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB

  • Problem: Haftung der Gesellschafter einer GbR
  • aA: Theorie der Doppelverpflichtung -> (+)
  • aA: § 128 HGB analog (Akzessorietätstheorie) -> (+)
    -> Fehlende Mitwirkung des J bei den Arbeiten unbeachtlich
    -> Ausscheiden des J nach Auftragserteilung unbeachtlich; Arg.: Rechtsgedanke des § 160 HGB

 

Frage 2: Ansprüche der HS-GbR gegen K
A. Werklohn i.H.v. 2.000 Euro für Sicherheitscheck und Tuning, § 631 BGB

I. Anspruch entstanden

  • Bzgl. Sicherheitscheck: (+), s.o.

  • Bzgl. Tuning: (-), s.o.

II. Anspruch nicht erloschen
-> (Hilfs-) Aufrechnung, §§ 387 ff. BGB

  1. Aufrechnungslage, § 387 BGB
    Hier: Gegenanspruch aus §§ 634 Nr. 4, 280 I BGB (s.o.)

  2. Aufrechnungserklärung, § 388 BGB

  • Eigentlich: Bedingungsfeindlich, § 388 S. 2 BGB; aber: innerprozessuale Bedingung zulässig
  1. Kein Ausschluss
  2. Ergebnis: Anspruch erloschen

III. Ergebnis: (-)

B. Aufwendungsersatz i.H.v. 1.900 Euro für das Tuning, §§ 683 S. 1, 670 BGB

I. Fremdes Geschäft (+)

II. Fremdgeschäftsführungswille

  • Problem: Nichtige Geschäfte
  • aA: (+), aber: Aufwendung nicht „erforderlich“
  • hM: (-); Arg.: Bereicherungsrecht lex specialis; subjektive Zielrichtung ist die vermeintliche Vertragserfüllung

III. Ergebnis: (-)
C. Wertersatz i.H.v. 1.900 Euro, § 812 I 1 1. Fall, 818 II BGB

I. Etwas erlangt
Hier: Tuning (bzw. ersparte Aufwendungen)

II. Durch Leistung (+)

III. Ohne Rechtsgrund

  • Bzgl. Tuning (+)

IV. Rechtsfolge: Herausgabe

Hier: Wertersatz, § 818 II BGB

V. Kein Ausschluss

  1. § 814 BGB
    (-); Arg.: wohl kein positive Kenntnis von der Nichtigkeit (andere Ansicht vertretbar)

  2. § 817 S. 1 BGB
    Hier: Beiderseitiger Verstoß gegen gesetzliches Verbot

VI. Ergebnis: (-)

D. Wertersatz, § 817 S. 1 BGB

(-); Arg.: § 817 S. 2 BGB (s.o.)

Frage 2: Ansprüche HS-GbR gegen S

A. § 433 II BGB
I. Anspruch entstanden

  1. Einigung (+)

  2. Wirksamkeit
    -> Minderjährigkeit, §§ 106 ff. BGB

a) Lediglich rechtlich vorteilhaft (-)
b) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (-)

c) Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (-)

d) Sonderfall
-> Taschengeldparagraph, § 110 BGB (-); Arg.: nur die Hälfte gezahlt

II. Ergebnis: (-)

B. §§ 989, 990 BGB

I. EBV (zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung)

  1. Besitz des S (+)

  2. Eigentum der HS-GbR

a) Ursprünglich: HS-GbR

b) Eigentumserwerb des S, § 929 S. 1 BGB

aa) Einigung
(+); Arg.: lediglich rechtlich vorteilhaft

bb) Übergabe (+)
cc) Einigsein (+)
dd) Berechtigugn (+)

  1. Ergebnis: (-)

II. Ergebnis: (-)

C. § 823 II BGB, § 263 StGB

(-); Arg.: keine Anhaltspunkte

D. § 812 I 1 1. Fall, 818 II BGB

I. Etwas erlangt
Hier: Besitz und Eigentum am Motorroller

II. Durch Leistung (+)

III. Ohne Rechtsgrund (+), s.o.

IV.Rechtsfolge: Herausgabe Hier: Wertersatz § 818 II BGB

V. Kein Ausschluss
-> Entreicherung, § 818 III BGB; aber: § 819 I BGB

  • Problem: Bezugsperson bei Minderjährigen

  • aA: stets der Minderjährige

  • aA: stets der gesetzliche Vertreter

  • hM: differenzierend – bei Leistungskondiktion: gesetzlicher Vertreter; bei Nichtleistungskondiktion: Minderjähriger; Arg: Nähe zum Vertragsrecht bzw. Deliktsrecht (§ 828 III BGB)
    Hier: Leistungskondiktion, also Eltern maßgeblich

Also: § 818 III BGB (+)

VI. Ergebnis: (-)