BGH: Diebstahl oder Betrug?

A. Sachverhalt (vereinfacht)

A verbrachte den Abend des 7. April 2014 in seiner Wohnung und konsumierte Amphetamin in unbekanntem Umfang. Nachdem der Betäubungsmittelvorrat zur Neige gegangen war, kam er auf die Idee, den mit Drogen handelnden B “abzuziehen” und ihm, erforderlichenfalls unter Einsatz von Gewalt, Drogen und “sonstige werthaltige Gegenstände” abzunehmen. A vereinbart mit B fernmündlich die Lieferung von 10 Gramm Amphetamin zum Preis von 50 €; die Übergabe des Rauschgifts sollte gegen Mitternacht in der Nähe einer in H. gelegenen Mehrzweckhalle erfolgen.
Am Treffpunkt forderte A den B auf, ihm den Beutel mit dem Amphetamin auszuhändigen, um – wie er wahrheitswidrig vorgab – angeblich dessen Qualität zu prüfen. B tat dies, woraufhin A – wie von vornherein geplant – das Rauschgift einbehielt, um es später zu konsumieren. A steckte den Beutel ein und entfernte sich.

Strafbarkeit des A?

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 17.5.2017 – 2 StR 342/16)

I. Strafbarkeit wegen Betruges

A könnte sich wegen Betruges gegenüber und zulasten des B gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht haben, indem er ihm gegenüber wahrheitswidrig angab, die Qualität des Amphetamin zu prüfen.

A, der dem B gegenüber wahrheitswidrig angab, nur die Qualität des Amphetamin prüfen zu wollen, täuschte den B; B unterlag deswegen einem Irrtum.
Fraglich ist, ob B auch über sein Vermögen verfügte, indem er dem A das Amphetamin zur Qualitätskontrolle aushändigte. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.

Einerseits könnte B dem A den Gewahrsam bzw. Besitz an dem Amphetamin übertragen und damit über sein Vermögen verfügt haben. Andererseits könnte es sich dabei auch um eine bloße Gewahrsamslockerung gehandelt haben, die es dem A erst ermöglicht hat, sich den Gewahrsam durch ein weiteres deliktisches Handeln einzuverleiben. Es geht hier also um die Abgrenzung von Betrug (Vermögensverfügung) und Diebstahl (Wegnahme).
Der BGH führt dazu allgemein aus, dass die Abgrenzung nicht nur von dem äußeren Erscheinungsbild, sondern auch von der inneren Willensrichtung des Getäuschten abhänge. Eine Vermögensverfügung scheide aus, wenn der (getäuschte) Gewahrsamsinhaber jedenfalls Mitgewahrsam behalte:

„Hat sich der Täter eine Sache durch Täuschung verschafft, so ist für die Abgrenzung des Tatbestandsmerkmals der Wegnahme im Sinne des § 242 StGB von der Vermögensverfügung im Sinne des § 263 StGB auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend. Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte auf Grund freier, nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen will und überträgt. In diesem Fall wirkt sich der Gewahrsamsübergang unmittelbar vermögensmindernd aus. Diebstahl ist gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen soll, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (Senat, Beschluss vom 2. August 2016 – 2 StR 154/16, NStZ 2016, 727 mit Anm. Kulhanek; siehe auch Kudlich, JA 2016, 953; Senat, Urteil vom 17. Dezember 1986 – 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2).

Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, in dem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert. Hat der Gewahrsamsinhaber, der die wahren Absichten des Täuschenden nicht erkannt hat, den Gegenstand übergeben, ohne seinen Gewahrsam völlig preiszugeben, und bringt der Täter die Sache nunmehr in seinen (Allein-) Gewahrsam, so liegt hierin eine Wegnahme, wenn der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen stattfindet (Senat, Beschluss vom 2. August 2016, – 2 StR 154/16, NStZ 2016, 727).“

Danach scheide eine Vermögensverfügung des B aus. Durch die Übergabe des Beutels an A, damit dieser die Qualität prüfen konnte, habe B seinen Gewahrsam nicht freiwillig aufgegeben:

„Durch die täuschungsbedingte Aushändigung des Amphetamins an die Angeklagten “zu Prüfzwecken” trat unter den hier gegebenen Umständen nur eine Gewahrsamslockerung ein. Der Zeuge Bo. hat seinen Gewahrsam erst endgültig verloren, als der Angeklagte das Amphetamin nicht zurückgab, sondern einsteckte.“

Die aktuell diskutierte Frage, ob es sich bei dem unerlaubten Besitz an Betäubungsmitteln überhaupt um einen von § 263 StGB geschützten Bestandteil des Vermögens handelt, kann daher offenbleiben.

II. Strafbarkeit wegen Diebstahls

A könnte sich aber wegen Diebstahls gemäß § 242 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Amphetamin einsteckte, um es zu konsumieren.

Nach dem oben Gesagten hat A dem B den Beutel mit dem Amphetamin weggenommen. Fraglich ist indes, ob es sich dabei um eine fremde bewegliche Sache handelt.
Unter Hinweis auf die Strafbarkeit des unerlaubten Besitzes an Betäubungsmitteln (§ 29 I Nr. 1 BtMG) hat der 2. Strafsenat des BGH in einem Beschluss aus dem Jahr 2016 - obiter dictum – angedeutet, dass deswegen auch eine Strafbarkeit wegen Diebstahls entfallen könnte:

„Der Schutz des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gegen Wegnahme durch Eigentumsdelikte erscheint zudem seinerseits nicht zwingend (abl. etwa Engel NStZ 1991, 520 ff.; MünchKomm/Schmitz, StGB, 2. Aufl., § 242 Rn. 17 f.; Wolters in Festschrift für Samson, 2010, S. 495 ff.; s.a. Fischer, StGB § 242 Rn. 5a; dafür aber BGH, Beschluss vom 20. September 2005 - 3 StR 295/05, ZIS 2006, 36 f. mit Anm. Hauck; Marcelli NStZ 1992, 220 ff.; Vitt NStZ 1992, 221 ff.).

Werden Betäubungsmittel entgegen einem strafrechtlichen Verbot hergestellt, entsteht kraft bürgerlichen Rechts (§§ 950, 953 BGB) jedenfalls kein vollwertiges Eigentum. Die Eigentumsposition des Herstellers besteht praktisch nur aus Pflichten zur Ablieferung an die Behörden oder Vernichtung der Drogen, während seine Rechte gemäß §§ 903, 985 ff. BGB durch die Verbote nach § 29 BtMG ausgeschlossen werden. Das „Recht“ auf Eigentumsaufgabe oder Vernichtung (BGH aaO; Schramm JuS 2008, 678, 680) wird durch das Betäubungsmittelgesetz (§ 16 BtMG) zur Pflicht (vgl. Münch-Komm/Schmitz, StGB § 242 Rn. 18). Nach allem kann das Strafrecht auch mit der Strafdrohung der §§ 242, 249 StGB gegen Wegnahme des - unerlaubten - Besitzes von Betäubungsmitteln keinen sinnvollen Rechtsgüterschutz darbieten (vgl. Otto in Festschrift für Beulke, 2015, S. 507, 520). Dies spricht vielmehr für eine teleologische Reduktion der Eigentumsdelikte.
Der Hersteller kann das kraft Gesetzes formal erworbene Eigentum an Drogen ohne behördliche Ausnahmegenehmigung nicht durch Rechtsgeschäft wirksam übertragen (§ 134 BGB, §§ 29 ff. BtMG). Er gibt es bei der Veräußerung der Drogen im illegalen Betäubungsmittelhandel preis und glaubt danach regelmäßig als Laie selbst an dessen Verlust (vgl. dazu Hauck ZIS 2006, 37, 39). Darin liegt zwar keine Dereliktion (§ 959 BGB). Jedoch erlangt der Erwerber nur einen Gewahrsam ohne eigenes Eigentum; sein Verwertungsinteresse an einem Eigenkonsum ist nicht derart schutzwürdig, dass deshalb das Strafrecht als „ultima ratio“ des Staates zu seiner Gewahrsamssicherung angewendet werden müsste. Beim formalen Eigentümer verbleibt eine Rechtsposition ohne Substanz; dieser kann insbesondere die Herausgabe (§ 985 BGB) nicht verlangen, weil ihr das Erwerbsverbot des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG entgegensteht; auch zum Schutz des Eigentümers ist der Einsatz der staatlichen „ultima ratio“ daher nicht geboten.
Ausländisches Sachenrecht, das gegebenenfalls für die dingliche Rechtslage an einem ausländischen Herstellungsort bestimmend ist (Art. 43 Abs. 1 EGBGB), wird im Inland nur in den Grenzen der deutschen öffentlichen Ordnung anerkannt (Art. 6 Satz 1, 43 Abs. 2 EGBGB). Daraus können keine weiter gehenden Eigentümerrechte im Inland hergleitet werden.“

In der aktuellen Entscheidung hingegen problematisiert derselbe Strafsenat diese Frage nicht weiter und bejaht eine Strafbarkeit wegen Diebstahls. Dabei beruft er sich bemerkenswerter Weise allerdings auf Marihuana, nicht auf das hier weggenommene Amphetamin, das nach Anlage III zu § 1 I BtMG ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel darstellt:

„Nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel wie das in Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführte Marihuana können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fremde bewegliche Sachen und damit Tatobjekt eines Raubes oder eines Diebstahls sein (Senat, Urteil vom 20. Januar 1982 – 2 StR 593/81, BGHSt 30, 359, 360; BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 4 StR 92/15, NStZ 2015, 571, 572; Urteil vom 12. März 2015 – 4 StR 538/14, StraFo 2015, 216; Urteil vom 4. September 2008 – 1 StR 383/08, NStZ-RR 2009, 22, 23; Beschluss vom 20. September 2005 – 3 StR 295/05, NJW 2006, 72 f.; SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 242 Rn. 16; zweifelnd Fischer, StGB, 64. Aufl., § 242 Rn. 5a). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.“

A handelte vorsätzlich und mit der Absicht, sich das Amphetamin rechtswidrig zuzueignen. Deswegen hat er sich wegen Diebstahls strafbar gemacht.

C. Fazit

Die Abgrenzung zwischen Diebstahl und Betrug gehört zum strafrechtlichen Grundwissen und ist ein absoluter Klassiker in Studium und Prüfung. Der Fall, der zudem noch weitere Fragen des strafrechtlichen Schutzes unerlaubter Betäubungsmittel aufwirft, ist ein willkommener Anlass, sich mit § 242 StGB und § 263 StGB vertieft auseinanderzusetzen.

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