A. Ausgangspunkt
Vor einiger Zeit berichteten wir im Urteilsticker über einen Beschluss des 2. Strafsenats des BGH, der – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung – entscheiden möchte, dass der unerlaubte Besitz von Betäubungsmittel nicht zum strafrechtlich geschützten Vermögen im Sinne des Betrugs- bzw. des Erpressungstatbestandes gehöre. Daran sieht er sich jedoch gehindert, weil nach ständiger Rechtsprechung aller Strafsenate des BGH diese Rechtsfrage bislang abweichend beurteilt wurde und insoweit nur der Große Senat für Strafsachen entscheiden dürfte (§ 132 II GVG). Daher fragte der 2. Strafsenat nach § 132 III 1 GVG unter Darlegung seiner Argumente bei den anderen Strafsenaten an, ob diese an ihrer bisherigen Rechtsprechung festhalten wollen.
Nunmehr liegen die Antworten der anderen Strafsenate vor, von denen beispielhaft der Beschluss des 3. Strafsenat vorgestellt werden soll.
B. Die Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 15.11.2016 – 3 ARs 16/16)
Der 3. Strafsenat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach sich die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln gegen das Vermögen des Genötigten richte und daher grundsätzlich den Tatbestand der Erpressung erfülle. Dem 2. Strafsenat verweigert er damit die Gefolgschaft.
Zunächst stellt der 3. Strafsenat dar, dass auch der unrechtmäßige Besitz steht unter dem Schutz der Rechtsordnung stehe, weswegen ihm ein Vermögenswert nicht abgesprochen werden könne:
„Dies gilt zunächst mit Blick auf die zivilrechtlichen Besitzschutzregeln der §§ 858 ff. BGB. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob - wie der 2. Strafsenat meint - aus § 861 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf die Wiedereinräumung des unerlaubten Besitzes an Betäubungsmitteln nicht hergeleitet werden könne (so wohl Hillenkamp in Festschrift Achenbach, 2011, S. 189, 205; aA für den Fall, dass ein Dieb die Rückgabe des ihm wiederum von einem Dritten entwendeten Diebesguts verlangt: BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 StR 422/07 , NStZ 2009, 37; dem folgend, obgleich im Anfragebeschluss für die Gegenauffassung zitiert: Dehne-Niemann, NStZ 2009, 37, 38; nach wohl allgemeiner Meinung kommt es für den Anspruch aus § 861 Abs. 1 BGB auf ein Recht zum Besitz des Anspruchsberechtigten nicht an, dieser steht auch dem unrechtmäßigen Besitzer zu, vgl. Staudinger/Gutzeit, BGB, Neubearbeitung 2012, § 861 Rn. 6; MüKoBGB/Joost, 6. Aufl., § 861 Rn. 5; BeckOGK/Götz, 1. Dezember 2016, BGB § 861 Rn. 9 mwN zur ständigen Rechtsprechung; Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl., § 861 Rn. 6) oder ob - wie der 4. Strafsenat in einem obiter dictum ausgeführt hat - derjenige, der Betäubungsmittel unerlaubt besitzt, im Fall, dass sie ihm durch unerlaubte Eigenmacht entzogen werden, eine Wiedereinräumung des Besitzes nicht nach § 859 Abs. 2 BGB mit Gewalt durchsetzen darf ( BGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 4 StR 92/15 , NJW 2015, 2898, 2900 f. mit kritischer Anmerkung Kudlich, NJW 2015, 2901 [BGH 30.06.2015 - 5 StR 71/15] ; ablehnend auch Jäger, JA 2015, 874, 876 [BGH 21.04.2015 - 4 StR 92/15] ). Jedenfalls kann sich auch der unrechtmäßige Besitzer gemäß § 859 Abs. 1 BGB gegen die Wegnahme der Sache mit Gewalt verteidigen. Auf die Rechtmäßigkeit der Besitzerlangung kommt es für das Entstehen des Besitzschutzes auch insoweit nicht an, vielmehr darf jeder unmittelbare Besitzer verbotene Eigenmacht eines Dritten abwehren (allgemeine Meinung, vgl. Staudinger/Gutzeit aaO, § 859 Rn. 3; MüKoBGB/Joost aaO, § 859 Rn. 3; BeckOGK/Götz aaO, § 859 Rn. 5; Palandt/Herrler aaO, § 859 Rn. 1). Sein hierbei gezeigtes Verhalten ist, soweit in den Grenzen der Notwehr bleibend, rechtmäßig; der Angreifer hat es hinzunehmen.
Dem danach rechtlich geschützten Besitz kann sein Vermögenswert nicht mit der Begründung abgesprochen werden, aus dem formalen Besitzschutz dürfe nicht auf eine Vermögenszuweisung geschlossen werden, weil die Vorschriften nur dem Rechtsfrieden dienten (so aber NK-StGB-Kindhäuser aaO, § 263 Rn. 239 mwN; Gallas aaO, S. 426). Denn auch wenn die letztgenannte Zielsetzung vorrangiger Zweck der §§ 858 ff. BGB sein mag, ist nicht zu verkennen, dass diese auch für den unrechtmäßigen Besitzer einer Sache eine - zumindest vorläufige - Herrschaftsposition schaffen, die ihm gegenüber Außenstehenden eine rechtlich stärkere Stellung (vgl. auch § 1006 Abs. 1 BGB) verleiht und zudem faktische Verwertungsmöglichkeiten bestehen. Dies rechtfertigt es, auch den unrechtmäßigen Besitz an einer Sache als Vermögenswert anzusehen, wenn die besessene Sache ihrerseits einen wirtschaftlichen Wert hat (MüKoStGB/Hefendehl aaO, Rn. 472; vgl. auch LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 140 mwN; Matt/Renzikowski/Saliger, StGB, § 263 Rn. 172).“
Dass Betäubungsmittel nach § 33 II BtMG der Einziehung unterliegen, stehe der Einordnung als rechtlich geschütztes Wirtschaftsgut ebenso wenig entgegen:
„Im Gegenteil zeigen gerade die Einziehungsvorschriften auf, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass Betäubungsmittel, obwohl der Umgang mit ihnen rechtlich missbilligt ist, Bestandteil eines privaten Vermögens darstellen können: Folge der Einziehung ist nach § 74e Abs. 1 StGB , dass das Eigentum mit der Rechtskraft der Entscheidung auf den Staat übergeht; die Betäubungsmittel werden mithin in staatliches Vermögen überführt. Dadurch kommt implizit zum Ausdruck, dass sie sich vorher in fremdem Vermögen befunden haben müssen, denn andernfalls wäre eine gerichtliche Einziehungsentscheidung nicht erforderlich. Auch dies belegt einen gewissen Schutz des Besitzes an Betäubungsmitteln.“
Es sei – anders als der 2. Strafsenat meint – unzutreffend, dass in Fällen, in denen dem Besitzer von Betäubungsmitteln diese mit Nötigungsmitteln oder durch Täuschung entzogen werden, der “rechtlich erwünschte Zustand” eintrete. Es liege nicht im staatlichen Interesse, dass sich irgendein Dritter – noch dazu unter Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols – auf unredliche Art und Weise in den Besitz von Betäubungsmitteln bringe. Denn dieses Verhalten sei jedenfalls auch gemäß § 29 I Nr. 1 BtMG strafbar. Wollte man aus dieser Strafbarkeit schließen, dass der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln aus dem strafrechtlich geschützten Vermögen auszuscheiden sei, müsse sich das auch auf andere Gegenstände (Waffen und Sprengstoff) erstrecken. Diese weitgehende Aufgabe des strafrechtlichen Vermögensschutzes sei „kaum nachvollziehbar“:
„Nach der gesetzlichen Konzeption ist jeglicher Umgang mit Betäubungsmitteln grundsätzlich verboten. In § 3 Abs. 1 BtMG ist geregelt, dass nur derjenige mit Betäubungsmitteln in der dort genannten Art und Weise umgehen und sie als regelmäßige Folge eines legalen Umgangs auch besitzen darf, der über eine entsprechende Erlaubnis verfügt. Es handelt sich mithin um ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (MüKoStGB/Kotz, 2. Aufl., § 3 BtMG Rn. 1 mwN). Verstöße gegen dieses Verbot sind in den §§ 29 ff. BtMG mit Strafe bedroht, insbesondere der unerlaubte Besitz von Betäubungsmitteln in § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG.
Diese Regelungstechnik findet sich beispielsweise auch im Waffenrecht: Nach § 2 Abs. 2 WaffG bedarf der Umgang mit Waffen oder Munition, die in der Waffenliste aufgeführt sind, der Erlaubnis. Nach den §§ 2 ff. KrWaffKontrG bedürfen Herstellung, Erwerb der tatsächlichen Gewalt, Inverkehrbringen und Beförderung von Kriegswaffen der Genehmigung. Gleiches gilt nach § 27 Abs. 1 SprengG für den Erwerb und den Umgang mit Sprengstoffen. Der unerlaubte Besitz all dieser Gegenstände ist gleichfalls mit Strafe bedroht (vgl. § 51 Abs. 1 , § 52 Abs. 1 Nr. 1 , Abs. 3 Nr. 1 und 2 , Abs. 10 WaffG , § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG [Ausüben der tatsächlichen Gewalt], § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG [Aufbewahren ist die Innehabung der tatsächlichen Gewalt als Unterfall des Umgangs, vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 1 SprengG ]).
Sollte es mit dem 2. Strafsenat für die Frage, ob der strafrechtliche Vermögensschutz zur Anwendung gelangt, entscheidend darauf ankommen, ob der unerlaubte Besitz strafbar ist, könnten Waffen oder Sprengstoff, wenn sie ohne Genehmigung besessen werden, gleichfalls nicht mehr Gegenstand von Vermögensdelikten sein. Dies erscheint mit Blick auf den Umstand, dass es sich insoweit um Handelsware von nicht unerheblichem Wert handelt, kaum nachvollziehbar.
Wollte man bei gleicher gesetzlicher Regelungstechnik indes nur den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln vom Vermögensschutz ausnehmen, den unerlaubten Besitz an den anderen genannten Gegenständen hingegen nicht, wäre dies wiederum mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht zu begründen.“
Schließlich drohten erhebliche Wertungswidersprüche, weil es nicht selten eine vom Zufall abhängige Tatfrage sei, ob ein Vermögens- oder ein Eigentumsdelikt, mithin ob Betrug oder Diebstahl, räuberische Erpressung oder Raub gegeben ist:
„Es ist indes nicht nachvollziehbar, warum - unabhängig von der jeweiligen Begehung eines Betäubungsmitteldelikts - etwa derjenige, der durch Drohung mit einer Waffe erzwingt, dass sein Opfer die Wegnahme von Betäubungsmitteln duldet, sich wegen besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 , § 249 Abs. 1 StGB mit einer Mindeststrafdrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe strafbar macht, derjenige, der bei gleicher Drohung erreicht, dass sein Opfer ihm die Betäubungsmittel aushändigt, jedoch nur wegen Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB , gegebenenfalls in Tateinheit mit einem Waffendelikt.
Soweit der 2. Strafsenat in seinem Anfragebeschluss angedeutet hat, zur Auflösung dieser Wertungswidersprüche “eine teleologische Reduktion der Eigentumsdelikte” in Betracht ziehen zu wollen, könnte der Senat dem nicht folgen: Die teleologische Auslegung trachtet danach, dem “objektiven Sinn” der Gesetze am besten zu entsprechen. Grenze (auch) dieser Auslegungsmethode ist indes der Wortlaut; der “objektive Sinn” der Gesetze muss einen Anhaltspunkt im Gesetzestext finden. Andernfalls würde unter Ignorierung der Gewaltenteilung die Gesetzeslage nicht durch den Gesetzgeber verändert werden, sondern allein durch den seinen subjektiven Vorstellungen folgenden Rechtsanwender (vgl. etwa NK-StGB-Hassemer/Kargl aaO, § 1 Rn. 109d mwN).
Angesichts des eindeutigen Wortlauts etwa der § 242 Abs. 1 , § 249 Abs. 1 StGB , die “fremde” bewegliche Sachen als Wegnahmeobjekte nennen, also Sachen, die nach bürgerlichem Recht im Eigentum (irgend-)einer anderen Person stehen (allg. Meinung, vgl. nur Fischer, StGB, 64. Aufl., § 242 Rn. 5 mwN), würde diese Wortlautgrenze hier verletzt werden, wenn man Betäubungsmittel, an denen auch nach Auffassung des 2. Strafsenats jedenfalls kraft Gesetzes ( §§ 950 , 953 BGB ) Eigentum entstehen kann, vom Schutz der Eigentumsdelikte ausnähme (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 20. September 2005 - 3 StR 295/05 , NJW 2006, 72).“
C. Fazit
Auch der 1. Strafsenat (Beschl. v. 21.2.2017 – 1 ARs 16/16), der 4 Strafsenat (Beschl. v. 10.11.2016 – 4 ARs 17/16) und der 5. Strafsenat (Beschl. v. 7.2.2017 – 5 ARs 47/16) haben die Anfrage des 2. Strafsenats abschlägig beschieden. Ob es jetzt zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen kommen wird, ist aber mehr als zweifelhaft: Denn spannenderweise hat zwischenzeitlich auch der (anfragende) 2. Strafsenat in einem Urteil die Verurteilung eines Angeklagten wegen räuberischer Erpressung bestätigt, der einen Rauschgifthändler oder -kurier mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Dazu hatte er ausgeführt:
„Die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen. Auch an Sachen wie Rauschgift, die jemand auf Grund einer strafbaren Handlung besitzt und als Tatmittel zur Begehung geplanter Straftaten bereitstellt, kann unbeschadet ihrer Zweckbestimmung oder Bemakelung Erpressung und Betrug begangen werden. Dies entspricht der st. Rspr. des BGH und der Auffassung des Senats.“ (Urt. v. 7.12.2016 - 2 StR 522/15)
Das ist nur verständlich, wenn man weiß, dass die Senate zwar in einer Besetzung von 5 Richterinnen und Richtern entscheiden (§ 139 I GVG), aber mehr Mitglieder haben. An den einzelnen Entscheidungen der Senate sind also nicht immer alle und dieselben Mitglieder beteiligt; vielmehr entscheiden die Senate in sogenannten Sitzgruppen. Der Anfragebeschluss wurde von einer anderen Sitzgruppe erlassen als das danach gefällte Urteil. Da die Frage also auch innerhalb des 2. Strafsenats umstritten ist, bleibt abzuwarten, ob es überhaupt zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen kommt (einige der Strafsenate halten deswegen eine Anfrage bei dem Großen Senat gar für unzulässig). Dabei könnte auch eine Rolle spielen, dass der bisherige Vorsitzende des 2. Strafsenats (Prof. Dr. Thomas Fischer) mittlerweile in den Ruhestand getreten ist.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen