Examensreport: ZR III 1. Examen aus dem Mai 2017 in Bremen

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

 
Ausgangsfall:
 
S ist Angestellter in einem Unternehmen, das Computertechnik herstellt. Die in diesem Zusammenhang erworbenen Kenntnisse nutz der S, um aus seiner Garage heraus Freunden und vereinzelt auch Geschäftskunden eigene Software-Lösungen anzubieten. Anlässlich eines größeren Auftrags beschließt der S im März 2017, aus der Garage in ein Bürogebäude zu ziehen, das ihm seine Tante unentgeltlich zur Verfügung stellt. Dort möchte er eine Kühlanlage einbauen, um einen gekühlten Serverraum zu unterhalten. Daher wendet sich der S an die C-GmbH und bestellt dort eine solche Kühlanlage. Weil die C-GmbH auf ihrer Internetseite angibt, nur Verträge mit Geschäftskunden, insbesondere Kaufleuten, zu schließen, tritt der S als „S e.K. Software Projects
International“ auf.
 
Ende März 2017 wird die Kühlanlage in das Büro des S geliefert. Den Einbau lässt S durch einige befreundete Handwerker durchführen. Weder S noch die Handwerker bemerken, dass einige Bauteile defekt waren, obwohl dies ohne Weiteres hätte festgestellt werden können. S selbst entdeckt, nachdem er in seinem Hauptberuf für längere Zeit sehr eingespannt war, erst nach 4 Wochen den Defekt. Die Kühlanlage ist für den Betrieb eines Serverraums nicht geeignet. S wendet sich daher an die C-GmbH und verlangt die Beseitigung des Mangels. Die C-GmbH ist der Auffassung, dass das Geschäft schon abgeschlossen sei. Der S hätte sich gleich melden müssen.
 
Hat S gegen die C-GmbH einen Anspruch auf Reparatur der Kühlanlage?
 
Abwandlung:
 
Die Alleingeschäftsführerin G der C-GmbH bestellt die P im Februar 2017 als Prokuristin. Schon nach wenigen Tagen stellt sich heraus, dass die P für den Job ungeeignet ist. Die G macht sich daher gar nicht erst die Mühe, die P als Prokuristen im Handelsregister eintragen zu lassen, sondern widerruft gegenüber P die Prokura. Am  1.03.2017 meldet die G den Widerruf der Prokura beim Handelsregister an. Noch am 28.02.2017 hatte die P im Namen der C-GmbH bei der V-AG Ventilkappen für 220.000 Euro bestellt. Den Kaufvertrag unterzeichnete die P mit dem Zusatz „p.p.a.“. Die V-AG verlangt nunmehr von der C-GmbH Zahlung von 220.000 Euro. Die G entgegnet, die V-AG möge sich an P direkt halten.
 
Hat die V-AG einen Anspruch auf Zahlung von 220.000 Euro?  

Unverbindliche Lösungsskizze

 
Grundfall:
 
S gegen C-GmbH auf Reparatur der Kühlanlage, §§ 437 Nr. 1, 439 I 1. Fall BGB
 
I. Anspruch entstanden  

  1. Wirksamer Kaufvertrag
    Hier: §§ 651, 433 ff. BGB
    -> Vertretung der C-GmbH, §§ 164 ff. BGB, § 35 GmbHG
  2. Mangel
    Hier: zumindest § 434 I 2 Nr. 2 BGB
  3. Bei Gefahrübergang (+)
  4. Nacherfüllungsverlangen
    Hier: Nachbesserung, § 439 I 1. Fall BGB
  5. Kein Ausschluss
    -> Verletzung der Rügeobliegenheit, § 377 HGB

 
a) Beiderseitiger Handelskauf
-> Voraussetzung: Kaufleute, §§ 1-6 HGB
 
aa) C-GmbH
-> Formkaufmann, § 6 HGB
 
bb) S
 
(1) Istkaufmann, § 1 HGB
(-); Arg.: Art und Umfang des Geschäftsbetriebs, § 1 II HGB
 
(2) Kannkaufmann, §§ 2, 3 HGB
(-); Arg.: keine Eintragung ins Handelsregister
 
(3) Fiktivkaufmann, § 5 HGB
(-); Arg.: kein Eintragung ins Handelsregister
 
(4) Formkaufmann, § 6 HGB (-)
 
(5) Scheinkaufmann, § 242 BGB
 
(a) Voraussetzungen
 
(aa) Zurechenbarer Rechtsschein
Hier: „S e.K. Software Projects International“
 
(bb) Gutgläubigkeit der C-GmbH (+)
 
(b) Rechtsfolge: Anwendung der HGB-Vorschriften
 
b) Ablieferung der Ware (+)
 
c) Mangel (+), s.o.
 
d) Keine unverzügliche Untersuchung bzw. Rüge
-> § 121 BGB (-)
 
e) Kein Ausschluss (+)
 
f) Rechtsfolge: Genehmigungsfiktion
 
6. Ergebnis: (-)
 
II. Ergebnis: (-)
 
Fortsetzung :
 
V-AG auf Zahlung von 220.000 Euro
 
A. Gegen C-GmbH, § 433 II BGB
 
I. Anspruch entstanden  

  1. Einigung
    -> Stellvertretung durch P, §§ 164 ff. BGB

 
a) Eigene Willenserklärung (+)
 
b) Im fremden Namen (+)
 
c) Im Rahmen der Vertretungsmacht
 
aa) Vertretungsmacht
 
(1) Rechtsgeschäftlich
-> Prokura, §§ 48 ff. BGB (-); Arg.: Widerruf (Eintragung deklaratorisch)
 
(2) Rechtsschein
-> Publizität des Handelsregisters, § 15 I HGB
 
(a) Einzutragende Tatsache
Hier: Widerruf der Prokura, § 53 II HGB
Aber: Erteilung ebenfalls nicht eingetragen

 
(b) Keine Eintragung
Hier: am 28.02.2017 noch keine Eintragung des Widerrufs
 
(c) Keine Kenntnis des Gegners (+)
 
(d) Vorgang im Geschäftsverkehr (+)
 
(e) Rechtsfolge: „negative Publizität des Handelsregisters“
 
bb) Im Rahmen
-> Etwaige Beschränkungen der Prokura im Innenverhältnis gelten nicht im Außenverhältnis, § 50 HGB
 
d) Kein Ausschluss
-> Kollusion bzw. sich aufdrängender Missbrauch (-)
 
e) Ergebnis: (+)
 
2. Wirksamkeit (+)
 
II. Anspruch nicht erloschen (+)
 
III. Anspruch durchsetzbar (+)
 
IV. Ergebnis: (+)
 
B. Gegen P
 
I. § 433 II BGB
(-); Arg.: Handeln für C-GmbH
 
II. § 179 I BGB
(-); Arg: Handeln mit Vertretungsmacht (s.o.)