Maulkorbbefreiung für gefährliche Hunde: VG Düsseldorf zu Widerruf und Sofortvollzug

Maulkorbbefreiung für gefährliche Hunde: VG Düsseldorf zu Widerruf und Sofortvollzug

In vielen Bundesländern gibt es Vorschriften zum besten Freund des Menschen – so auch im Landeshundegesetz NRW (LHundG NRW). Es stellt bestimmte Hunderassen – wie Pitbull Terrier, American Staffordshire Terrier oder Bullterrier – unter einen besonderen Gefährdungsverdacht. Wer einen solchen Hund hält, kann zwar unter engen Voraussetzungen eine Befreiung von der Maulkorbpflicht erhalten, muss aber nachweisen, dass von dem Tier keine Gefahr ausgeht. Was passiert aber, wenn ein Hund, der bislang als unauffällig galt, plötzlich zubeißt? Darf die Behörde die erteilte Maulkorbbefreiung widerrufen und die Maßnahme sofort vollziehbar machen, obwohl die Halterin dagegen klagt? Mit dieser sehr klausurträchtigen Frage hatte sich das VG Düsseldorf (Beschluss vom 20.10.2025 – 14 L 3059/25) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu befassen.

Der Fall im Überblick: Vom Hundebiss zum Maulkorb

Die A ist Halterin eines Pitbull Terriers namens „F.“, der nach § 3 II 1 LHundG NRW als gefährlicher Hund gilt. Nach § 3 II 1 LHundG NRW i. V. m. § 5 II 3 LHundG NRW ist Hunden der Rasse Pitbull grundsätzlich ein das Beißen verhindernder Maulkorb oder eine in der Wirkung gleichstehende Vorrichtung anzulegen. Eine Befreiung von dieser Maulkorbpflicht ist nach § 5 III 1 LHundG NRW nur möglich, wenn der Halter nachweist, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht zu befürchten ist.

Eine solche Ausnahmegenehmigung wurde der A im Dezember 2024 von der zuständigen Stadt K erteilt. Diese Genehmigung war mit einem Widerrufsvorbehalt versehen.

Im Mai 2025 sprang der während eines Spaziergangs der Hund F plötzlich in Richtung mehrerer Jugendlicher, die auf der angrenzenden Wiese spielten.

Nach Angaben der Halterin erschrak der Hund nur wegen lauter Rufe und habe niemanden berührt. Doch kurz darauf wurde bei einem Jungen eine Verletzung am linken Unterschenkel festgestellt. Ein Arzt diagnostizierte kleine, punktförmige Bisswunden. Auch die Polizei protokollierte den Vorfall als „Hundebiss“.

Die Stadt wertete den Vorfall als Beißereignis und widerrief daraufhin die erteilte Maulkorbbefreiung und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Als Grund führte die Stadt an, dass es der Allgemeinheit nicht zugemutet werden kann, bis zu einer eventuellen gerichtlichen Entscheidung abzuwarten, bevor die A den gefährlichen Zustand durch ihren Hund beseitigt.

Die A klagte gegen den Widerruf und beantragte zudem beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen (§ 80 V VwGO).

VG Düsseldorf: Ungefährlichkeitsnachweis schon nach einem Beißvorfall erschüttert

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies den Antrag ab. Nach der Zulässigkeit wandte sich das Gericht der Begründetheit zu.

Klausurtipp

Im öffentlichen Recht prüfst Du neben der materiellen Rechtslage auch immer die prozessuale Rechtslage und solltest die Zulässigkeitsvoraussetzungen in der gebotenen Kürze anreißen. In der Statthaftigkeit des Antrags musst Du insbesondere ansprechen, ob bereits Klage im Hauptsacheverfahren erhoben wurde. Begriffslogisch kann nur dann die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt werden. Merke Dir, dass ein vor Erhebung des Hauptsacheverfahrens erhobener Antrag nicht abgelehnt wird, sondern lediglich das Ergebnis bzw. der Tenor dahingehend modifiziert wird, dass die Klage noch erhoben werden muss.

§ 80 V 1 2. Fall VwGO regelt den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Der Antrag nach § 80 V 1 2. Fall VwGO ist begründet, wenn das private Aussetzungsinteresse gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgeblich sind hier die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Das heißt, entscheidend kommt es auf die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bei summarischer Prüfung an.

Formelle Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung

Nach § 80 III 1 VwGO muss die Behörde den Sofortvollzug besonders begründen.

Das soll einerseits die Betroffenen informieren, andererseits die Behörde selbst zur Kontrolle ihres Handelns zwingen – denn der Sofortvollzug ist die Ausnahme, nicht die Regel.

Das Gericht betonte, dass die Stadt diesen Anforderungen genügt habe:

Sie habe sich ausdrücklich auf den Ausnahmecharakter berufen und erklärt, dass der gefährliche Zustand durch den Hund nicht erst nach Abschluss eines Klageverfahrens beseitigt werden könne. Damit sei das Begründungserfordernis erfüllt.

Merke Dir

Hierbei handelt es sich um eine formelle Anforderung. Darauf, ob die Begründung die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch inhaltlich trägt, kommt es an dieser Stelle nicht an.

Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung

Sodann musst Du im Rahmen des § 80 V 1 2. Fall VwGO die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung einer sofortigen Vollziehung prüfen.

Dies ist die Prüfung der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsaktes (summarische Prüfung). Du prüfst also inzident die Rechtmäßigkeit des Bescheids.

Ergibt eine solche Prüfung nach § 80 V 1 2. Fall VwGO, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wird niemals das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aussetzungsinteresse überwiegen. Wenn der Verwaltungsakt jedoch rechtmäßig ist, muss im Rahmen des § 80 V 1 2. Fall VwGO eine weitere Interessenabwägung vorgenommen werden.

Als Anspruchsgrundlage kommt hier § 49 VwVfG in Betracht. Gemäß § 49 II 1 Nr. 1. Alt. 2 VwVfG NRW darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Ein solcher Widerruf war hier vorgesehen, sodass der Widerruf auch materiell rechtmäßig erfolgte.

Von diesem Widerrufsvorbehalt habe die Stadt K auch ermessensfehlerfrei Gebrauch gemacht: Die Maulkorbbefreiung setzt voraus, dass keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist. Dieser Nachweis sei erbracht, solange keine konkreten Anhaltspunkte das Gegenteil zeigen. Werde jedoch ein Hund auffällig oder beißt, sei der Nachweis erschüttert und die Befreiung könne widerrufen werden. Damit lag aus Sicht des VG Düsseldorfs ein konkreter Anlass vor, der die Annahme rechtfertigt, dass von dem Hund Gefahren ausgehen können. Das Gericht betonte ausdrücklich, dass schon ein einzelner Beißvorfall ausreiche, um den einmal geführten Ungefährlichkeitsnachweis zu erschüttern. Ab diesem Moment greife die gesetzliche Vermutung der Gefährlichkeit gemäß § 3 II 1 LHundG NRW wieder. Die anspruchsbegründenden Tatsachen für eine Fortgeltung der Befreiung von der gesetzlichen Maulkorbpflicht liegen dann nicht (mehr) vor, weshalb der Widerruf nicht ermessensfehlerhaft gewesen sei.

Da der Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung rechtmäßig war, musste das Gericht die Interessen im Weiteren gemäß § 80 V VwGO abwägen.

Merke Dir

Die Interessenabwägung musst Du anhand einer Folgenbetrachtung vornehmen. Hierbei werden bei § 80 V 1 1. Fall VwGO zwei Szenarios verglichen: Wiegt es schwerer, wenn dem Antrag stattgegeben wird und die Hauptsache später anders entschieden wird, oder wenn der Antrag abgelehnt wird und die Hauptsache später anders ausgeht.

Das Gericht kam zu einem klaren Ergebnis: Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege deutlich. Von einem Hund, der bereits gebissen habe, könne eine reale Gefahr ausgehen und die Pflicht, vorübergehend einen Maulkorb anzulegen, sei eine vergleichsweise geringe Belastung.

Damit war der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.

Der Hund muss also ab sofort mit Maulkorb geführt werden, bis das Hauptsacheverfahren abgeschlossen ist.

Was Du bei Klausuren zum vorläufigen Rechtsschutz beachten solltest

Der Beschluss des VG Düsseldorf greift zwei äußerst klausurträchtige Themen auf. Denke bei einem Antrag nach § 80 V VwGO immer daran, dass Du Dir die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch auf formelle Fehler anschaust. Solltest Du hier schon Mängel feststellen, dann ist die Anordnung bereits formell rechtswidrig. Außerdem solltest Du die Interessenabwägung im weiteren Sinne auf dem Schirm haben und nicht vergessen. Solche Klausuren sind relativ dankbar, weil hier häufig ähnliche Probleme angesprochen werden, auf die Du Dich gut vorbereiten kannst. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren solltest Du ein besonderes Augenmerk auf die Obersätze und die Begrifflichkeiten haben. Diese sind nämlich von der Art des Antrags abhängig. Die Erfahrung zeigt, dass Korrektor:innen hier auffallend drauf achten. Denke daran, dass Du den Antrag im Falle der Erfolglosigkeit ablehnst und auf keinen Fall zurückweist, abweist oder verwirfst.

Der Widerruf und die Rücknahme gemäß §§ 48, 49 VwVfG kann Dir auch gerne mal im Zusammenhang mit Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt gemäß § 36 VwVfG begegnen. In diesem Zusammenhang sollte Dir das Problem der isolierten Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen ein Begriff sein. Unsere Prüfungsämter lieben dieses Themenfeld, weil es ein ideales Einfallstor für unbekannte Gesetze darstellt.

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