Der Arbeitnehmerbegriff ist das Tor zum Arbeitsrecht. Die Frage, ob jemand Arbeitnehmer ist, entscheidet darüber, ob auf ihn die zahlreichen arbeitsrechtlichen Sonderregeln zur Anwendung kommen. Dementsprechend kommt kaum eine arbeitsrechtliche Klausur ohne Ausführungen zum Arbeitnehmerbegriff aus. In § 611a BGB findest Du mittlerweile eine ausführliche, allerdings in hohem Maß wertungsoffene Beschreibung des Arbeitnehmerbegriffs. Aufgrund der Wertungsoffenheit des § 611a BGB dürfte sich Dir in Deiner Klausur nicht selten die Frage stellen, ob eine Person Arbeitnehmer ist. Ein gutes Beispiel hierfür bietet eine aktuelle Entscheidung des LAG Köln, die sich mit der Arbeitnehmereigenschaft von Schiedsrichtern befasst (Beschl. v. 16.06.2025 – 5 Ta 58/25).
Der Fall im Überblick: Junger Schiedsrichter macht Entschädigungsansprüche geltend
Der 28-jährige B ist Schiedsrichter im Amateurbereich. Als er in den Profibereich wechseln wollte, bewarb er sich bei einer Tochtergesellschaft des DFB auf einen Schiedsrichterposten in der 3. Liga. Die Bewerbung hatte leider keinen Erfolg. Daraufhin machte B Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend. Er ging davon aus, bei seiner Bewerbung zu Unrecht wegen seines Alters benachteiligt worden zu sein.
Das zuerst angerufene ArbG Bonn hat die Klage abgewiesen, weil es davon ausging, dass B kein Arbeitnehmer war, weshalb der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet gewesen sei. Hiergegen legte B sofortige Beschwerde beim LAG Köln ein.
Prozessualer Hintergrund: Warum es auf die Arbeitnehmereigenschaft ankommt
Dass es im Fall entscheidend auf die Arbeitnehmereigenschaft ankam, ist auf § 2 ArbGG zurückzuführen. § 2 ArbGG bestimmt durch einen langen Katalog, für welche Materien der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist. Bei einem Blick in § 2 I ArbGG, sticht Dir ins Auge, dass die meisten der dort genannten Fälle Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Gegenstand haben. So verhält es sich auch beim vorliegend einschlägigen § 2 I Nr. 3 lit. c ArbGG, der Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und aus dessen Nachwirkungen den Arbeitsgerichten zuweist.
Dementsprechend stand also die Frage im Mittelpunkt, ob Schiedsrichter Arbeitnehmer sind.
LAG Köln: Was ist ein Arbeitnehmer?
Der Begriff des Arbeitnehmers ist zwar in § 611a I 1 BGB legal definiert, aber ist in hohem Maße wertungsoffen: Ein Arbeitsverhältnis liegt vor, wenn jemand im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet wird. Daraus merken wir uns also: Ein Arbeitnehmer ist weisungsgebunden und fremdbestimmt.
Weisungsbindung und Fremdbestimmung als Prüfungsmaßstab
Damit das LAG beantworten konnte, ob die Schiedsrichtertätigkeit unter den Arbeitnehmerbegriff fällt, musste es daher eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vornehmen.
Das zentrale Indiz, das gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses sprach, war das knappe vertragliche Pflichtenprogramm, das Schiedsrichterverträge vorsehen. Eine Arbeitspflicht finde sich dort nicht. Stattdessen werden Schiedsrichter zunächst lediglich in eine Liste aufgenommen, so das LAG Köln. Sei ein Schiedsrichter für eine Partie zu bestellen, wähle der DFB nach Ermessen eine Person aus der Liste aus und frage sie, ob sie für das Spiel zur Verfügung stehe. Die Annahme sei nicht verpflichtend, sondern erfolge freiwillig.
Spiegelbildlich hätten Schiedsrichter auch keinen Anspruch darauf, dass sie zu Partien eingesetzt würden. Auch bestehe keine garantierte Mindestvergütung oder feste Grundvergütung – die Entlohnung erfolge pro Einsatz.
Fremdbestimmung durch Schiedsrichterordnung
Dass der Schiedsrichtervertrag dem B formal einen großen Entscheidungsspielraum ließe, sei aus Sicht des LAG Köln allerdings dadurch relativiert worden, dass der beklagte Sportverband eine Schiedsrichterordnung geschaffen habe, die alle Schiedsrichter beachten müssten, um eine aktive Rolle im Profisport einnehmen zu können. Die Schiedsrichterordnung lege Schiedsrichtern zahlreiche Pflichten auf: Die Schiedsrichter müssten sich fit halten, Lehrgänge besuchen und bei Einsätzen bestimmte Kleidung tragen.
Ferner seien Sanktionen vorgesehen, falls sich Schiedsrichter unbegründet weigerten, Angebote des DFB auf die Leitung eines bestimmten Spiels anzunehmen. Kam es wiederholt hierzu, konnte der DFB laut dem LAG Köln einen Schiedsrichter sogar von der Schiedsrichterliste streichen, womit ihm weitere Einsätze verwehrt geblieben wären.
Dieser Sanktionsdruck beseitige die durch den Schiedsrichtervertrag formal gewährte Freiheit in der Auswahl der Einsatztermine nahezu vollständig, so das Gericht. Dies führe dazu, dass die Arbeitstätigkeit eines Profischiedsrichters weitgehend fremdbestimmt sei.
Abwägungsergebnis: Fremdbestimmung überwiegt
In Abwägung der genannten Umstände entschied das LAG Köln, dass die Fremdbestimmtheit so ausgeprägt war, dass der vom Kläger angestrebte Schiedsrichtervertrag als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren war. Bemerkenswert ist, dass das LAG mit dieser Einschätzung nicht nur der Vorinstanz widersprach, sondern auch anderen Landesarbeitsgerichten. An dieser Entscheidung siehst Du, dass der arbeitsrechtliche Status von Profischiedsrichtern also umstritten ist, was bei unseren Prüfungsämtern natürlich zusätzliches Interesse am Thema weckt.
Die Arbeitnehmereigenschaft in Deiner Klausur
Bei der Bestimmung, ob eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt, kommt es im Wesentlichen auf die Weisungsbindung und Fremdbestimmung an. Diese können sich im Alltag auf ganz verschiedene Weisen zeigen, was die Subsumtion unter den Arbeitnehmerbegriff erschwert. Als besonders herausfordernd erweisen sich vor allem Fälle, in denen der Vertrag dem Dienstverpflichteten die Entscheidung darüber überlässt, ob es zu einem Arbeitseinsatz kommen soll wie z.B. bei Crowdworkern oder eben auch bei Profischiedsrichtern.
Deine Aufgabe ist es dann, dass Du mithilfe der Sachverhaltsangaben ermittelst, ob es sich bei der vordergründig vertraglich gewährten Eigenständigkeit nur um eine formale Freiheit handelt und eigentlich eine weisungsgebundene fremdbestimmte Arbeit ausgeübt wird.
Spezialwissen für Dein Referendariat
Achtung, jetzt haben wir am Ende noch etwas Spezialwissen: Das ArbG prüfte die Arbeitnehmereigenschaft in der Zulässigkeit der Klage, weil es davon ausging, dass es sich um einen et-et-Fall handelte. Solche Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass ein Anspruch sowohl auf eine arbeitsrechtliche als auch auf eine nichtarbeitsrechtliche Norm gestützt werden kann. Bei den anders gelagerten aut-aut und sic-non-Fällen genügt demgegenüber das schlüssige Behaupten der Arbeitnehmereigenschaft für die Zulässigkeit. Die eigentliche Prüfung nimmst Du dann wie gewohnt in der Begründetheit vor.
Wenn Du nach dieser Entscheidung noch mehr Lust auf Arbeitsrecht hast, haben wir hier noch weitere spannende Fälle für Dich. Diese vier Fälle zeigen dir, wie Gerichte mit Kündigungsdruck, Probezeit und “Low Performance” umgehen:
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