Eine Tätowierung als Auslöser für einen Lohnstreit? Genau darum ging es in einem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein. Eine Pflegehilfskraft ließ sich ein Tattoo stechen, entwickelte kurz darauf eine Entzündung und fiel krankheitsbedingt aus. Doch statt Entgeltfortzahlung bekam sie nur eine gekürzte Gehaltsabrechnung. Der Fall wirft die zentrale Frage auf: Muss der Arbeitgeber zahlen, wenn eine Krankheit auf einen freiwilligen Eingriff wie eine Tätowierung zurückgeht?
Der Fall im Überblick: Tattoo, Entzündung, Lohnausfall
Die A arbeitet seit August 2023 als Pflegehilfskraft in der Tagespflege des Pflegedienstes von B. Am 15. Dezember 2023 ließ sie sich am Unterarm tätowieren. Wenige Tage später, ab dem 19. Dezember, entzündete sich die tätowierte Stelle. Die behandelnde Ärztin stellte eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 22. Dezember fest. Der Arbeitgeber B zahlte für den Monat Dezember jedoch nur ein gekürztes Gehalt in Höhe von 1.490,74 Euro brutto statt der vereinbarten 1.956,60 Euro und vermerkte in der Abrechnung „Unbezahlte Freizeit (unentschuldigtes Fehlen, Arbeitsbummelei)“. Begründet wurde dies damit, dass die Krankheit selbstverschuldet und deshalb nach § 3 I Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) kein Lohn zu zahlen sei.
Vor Gericht machte die Pflegehilfskraft A geltend, dass sie nicht für die Zeit des Tätowierens, sondern für die darauffolgende Hautentzündung Entgeltfortzahlung verlange. Das Risiko einer solchen Infektion liege bei nur ein bis fünf Prozent und sei daher sehr gering. Tätowierungen seien mittlerweile weit verbreitet und Teil der privaten Lebensführung. Ein so geringes Risiko dürfe nicht zum Verlust des Lohnanspruchs führen, ähnlich wie bei verletzungsanfälligen Sportarten, bei denen Unfälle ebenfalls nicht automatisch den Anspruch auf Lohnfortzahlung ausschließen.
Der Arbeitgeber B vertrat dagegen die Auffassung, dass die A in eine medizinisch nicht notwendige gefährliche Körperverletzung eingewilligt habe. Entzündungen seien eine vorhersehbare Folge und gehörten nicht zum normalen Krankheitsrisiko, das der Arbeitgeber tragen müsse. Zudem verwies er auf § 52 II SGB V, wonach Krankenkassen Leistungen einschränken können, wenn Krankheiten aus Tätowierungen oder ähnlichen Eingriffen entstehen. Diese Wertung müsse übertragen werden.
LAG Schleswig-Holstein: Kein Lohn bei selbstverschuldeter Krankheit
Das LAG bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts: Die A hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 3 I EFZG.
Sie sei zwar unstreitig durch eine bakterielle Entzündung der frisch tätowierten Haut arbeitsunfähig gewesen, und die ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien als Beweis anerkannt. Allerdings habe sie ihre Erkrankung im Sinne des § 3 I EFZG selbst “verschuldet”.
Verschulden bedeute hier kein Fehlverhalten gegenüber Dritten, sondern ein sogenanntes „Verschulden gegen sich selbst“. Schuldhaft in diesem Sinne handelt deshalb nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten.
Für Dich zur Einordnung
Diese Unterscheidung ist wichtig! Andernfalls würde gem. § 276 BGB jede Fahrlässigkeit genügen, um den Anspruch aus § 3 I EFZG auszuschließen. Dies würde den Arbeitgeber unbillig entlasten und den Arbeitnehmer in seiner privaten Lebensführung stark einschränken.
Nach Auffassung des Gerichts war A hier ein Verschulden gegen sich selbst vorzuwerfen: Die A habe die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung, nämlich die durch die bakterielle Infektion hervorgerufene Entzündung der Haut, schuldhaft herbeigeführt. Die A habe nicht nur vorsätzlich die Tätowierung herbeigeführt, sondern bedingt vorsätzlich auch die Komplikationen in Kauf genommen. Da es bei 5 % aller Tätowierungen zu Komplikationen kommt und das Infektionsrisiko deshalb nicht völlig fernliegend ist, musste A mit dem Auftreten selbiger rechnen. Die Hoffnung der A, dass bei ihr keine Komplikationen auftreten würden, reichte nicht aus, um den bedingten Vorsatz auszuschließen.
Für Dich zur Einordnung
Für einen jedenfalls bedingten Vorsatz ist insoweit nur erforderlich, dass der Betreffende den für möglich gehaltenen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Wie Dir sicherlich aufgefallen ist, kannst Du Dich hier an der Definition des bedingten Vorsatzes aus dem Strafrecht bedienen.
Auch der Vergleich mit Sportunfällen überzeugte das Gericht nicht. Bei sportlicher Betätigung ist eine Verletzung eine ungewollte Nebenfolge, während beim Tätowieren die Hautverletzung selbst Mittel zum Zweck ist und das Risiko einer Infektion in diesem Eingriff bereits angelegt ist. Unterstützt wurde das Ergebnis durch die gesetzgeberische Wertung des § 52 II SGB V, der zeigt, dass das finanzielle Risiko für Komplikationen nach Tätowierungen demjenigen zugewiesen werden soll, der den Eingriff veranlasst.
Was Du aus dem Tattoo-Fall mitnehmen solltest
Neben der Kündigungsschutzklage kann Dir das Arbeitsrecht in Deinen Klausuren auch in Form der Entgeltfortzahlung begegnen. Vertiefte Kenntnisse werden hier nicht erwartet, allerdings solltest Du sauber mit dem Gesetzestext arbeiten und hier die Parallele zu § 254 BGB und dem “Verschulden gegen sich selbst” erkennen. Die Entscheidung eignet sich gut, um sich mit der Fallgruppe “Ohne Arbeit kein Lohn” vertraut zu machen.
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