BGH zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung beim Unterlassungsdelikt

BGH zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung beim Unterlassungsdelikt

Mit der Revision kann gerügt werden, dass das Urteil in materiell-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft ist. Die Sachrüge kann zur Überprüfung der festgestellten Tatsachen, der Subsumtion, der Beweiswürdigung und der Strafzumessung führen. Der BGH hat sich in der nachfolgend dargestellten Entscheidung mit einer möglichen Strafrahmenverschiebung gem. § 13 II StGB auseinandergesetzt.

A. Sachverhalt

Die an einer Borderline-Störung leidende A vernachlässigte, um ihren eigenen Interessen nachgehen zu können, ihre beiden kleinen Kinder in zunehmendem Maße, indem sie sie immer wieder über längere Zeiträume sich selbst überließ und sie auch nicht ausreichend ernährte. Infolgedessen verstarb eines der Kinder an Unterernährung und damit zusammenhängender Durchfallerkrankung. Den sich fortlaufend verschlechternden Zustand des Kindes hatte A erkannt, den Tod des Kindes aber in Kauf genommen.

B. Lösung

Das LG verurteilte A zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mord durch Unterlassen, §§ 211, 13 StGB. Die Strafmilderung des § 13 II StGB versagte es A. Die dagegen gerichtete Revision der A hatte insoweit Erfolg (BGH Beschl. v. 01.10.2024 – 6 StR 230/24).

In der Praxis und auch in Deiner Klausur werden Fehler beim Rechtsfolgenausspruch mit der Sachrüge geltend gemacht.

Ebenso wie bei der Überprüfung der Beweiswürdigung, so ist auch bei der Überprüfung der konkreten Strafzumessung Zurückhaltung geboten, da es originäre Aufgabe des Tatgerichts ist, die Strafe aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks von Tat und Täter zu ermitteln. Das Revisionsgericht darf also keine eigenen Strafzumessungserwägungen anstellen. Es kann aber überprüfen, ob das Urteil die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts vollständig und widerspruchsfrei enthält. Fehler werden in Deiner Klausur mit der Darstellungsrüge geltend gemacht.

Zudem darf die Bemessung der Strafe nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke oder das Schuldprinzip verstoßen.

Beim Unterlassen gibt es eine fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 II StGB. Beim Mord durch Unterlassen bedeutet das, dass gem. § 49 I Nr. 1 StGB statt einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine solche von 3 bis 15 Jahren zu verhängen ist.

Die Ausführungen des Tatgerichts müssen erkennen lassen, dass sich das Gericht rechtsfehlerfrei mit der Möglichkeit befasst hat und warum es die Strafmilderung abgelehnt oder gewährt hat.

Dazu führt der BGH Folgendes aus:

„Die Frage, ob eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB geboten ist, muss das Tatgericht in einer wertenden Gesamtwürdigung aller wesentlichen Gesichtspunkte prüfen … Dabei sind insbesondere die unterlassensbezogenen Gesichtspunkte, also diejenigen Momente zu berücksichtigen, die etwas darüber besagen, ob das Unterlassen im Verhältnis zur entsprechenden Begehungstat weniger schwer wiegt“

Dieser Gesamtwürdigung ist das LG nicht nachgekommen. Zudem hat es das strafbegründende Unterlassen als Grund für die Versagung der Strafmilderung herangezogen, was einen Zirkelschluss darstellt und der gesetzlichen Wertung des § 13 II StGB widerspricht.

Der BGH führt dazu Folgendes aus:

„Das LG hat seine Entscheidung, von der Milderungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen, im Wesentlichen damit begründet, dass „die gebotenen Handlungen der Angekl. nicht mehr abverlangt hätten, als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens, nämlich das Kind zu beobachten, ihm regelmäßig Flüssigkeit zu geben und ggf. medizinische Hilfe zu holen“. Die Angekl. habe jedoch „überhaupt nichts unternommen“, sondern sei „völlig untätig“ geblieben. Damit hat das LG das strafbegründende Unterlassen zugleich als Grund für die Versagung der Strafmilderung herangezogen, was der gesetzlichen Wertung des § 13 Abs. 2 StGB nicht entspricht …

Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen umfassenden Abwägung aller für und gegen die Angekl. sprechenden Umstände. Insoweit hätte das LG in den Blick nehmen müssen, dass die Angekl. an einer emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ leidet. Wenngleich die Schuldfähigkeit der Angekl. dadurch nicht erheblich vermindert war, könnte die Erkrankung geeignet sein, das Unterlassen im Rahmen der Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände im Verhältnis zur entsprechenden Begehungstat in milderem Licht erscheinen zu lassen.“

C. Prüfungsrelevanz

Auch wenn der Schwerpunkt in Deiner Revisionsklausur im Rahmen der Sachrüge zumeist in der Überprüfung der Anwendung des materiellen Strafrechts liegen wird, so werden doch zunehmend auch Fehler bei der Beweiswürdigung oder dem Rechtsfolgenausspruch relevant. Beachte, dass in der Revision nur Rechtsfehler überprüft werden. Es geht also nicht darum festzustellen, wie die Strafe hätte ausfallen müssen (oder wie die Beweise hätten gewürdigt werden müssen), sondern nur darum, ob das Gericht die zuvor genannten Fehler gemacht hat. Deine Prüfung sollte deutlich machen, dass Du dieses Prinzip verstanden hast.

(BGH Beschl. v. 01.10.2024 – 6 StR 230/24)

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