BGH zum Reiserücktritt wegen Covid-19

BGH zum Reiserücktritt wegen Covid-19

Kann man bei Rücktritt vor Reisebeginn eine Anzahlung und Stornierungskosten zurückverlangen?

Sofern Reisende vor Beginn der Pauschalreise aufgrund der Covid-19-Pandemie von dem Vertrag zurücktreten, stellt sich die Frage, ob eine Befreiung von der Zahlung einer Entschädigung nach § 651h III BGB vorliegt.

A. Sachverhalt

Der Kläger (K) buchte für sich und seine Frau bei der Beklagten (B) im Januar 2020 eine Reise nach Japan für den Zeitraum vom 03.04.2020 bis 12.04.2020 für 6.148,00 Euro. Die Reise sollte unter anderem die Flüge und Unterkünfte beinhalten. Ende Januar leistete K eine Anzahlung von 1.230,00 Euro.

Im Gefolge von Meldungen über das Coronavirus waren Ende Februar 2020 in Japan Schutzmasken landesweit ausverkauft. Die großen Vergnügungsparks wurden geschlossen, sportliche Großveranstaltungen fanden ohne Publikum oder gar nicht mehr statt. Die japanische Regierung beschloss am 26. Februar 2020, für die kommenden Wochen sämtliche sportlichen, kulturellen oder anderen Großveranstaltungen abzusagen. Am 27. Februar 2020 wurden alle Schulen Japans bis mindestens Anfang April 2020 geschlossen.

Daraufhin erklärte K am 01.03.2020 schriftlich gegenüber B den Rücktritt von der Reise

wegen der vom Coronavirus ausgehenden Gesundheitsgefährdung.

Folgend erstellte B eine Stornorechnung über 307,00 Euro, welche K ebenfalls bezahlte.

Am 26. März 2020 erließ Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte hierauf Rückzahlung der geleisteten Beträge.

K verlangt von B die Rückzahlung der geleisteten Beträge i.H.v. 1.537,00 Euro.

B. Entscheidung

K verlangt von B die Zahlung von 1.537,00 Euro.

I. § 651h I 2 BGB

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung von 1.537,00 Euro nach § 651h I 2 BGB haben.

Das setzt voraus, dass zwischen K und B zunächst ein Pauschalreisevertrag im Sinne des § 651a BGB zustande gekommen ist, K von diesem wirksam vor Reisebeginn den Rücktritt erklärt hat nach § 651h I 1 BGB und B kein entsprechender Entschädigungsanspruch nach 651h I 3 BGB aufgrund von außergewöhnlichen Umständen gem. § 651h III 1 BGB zusteht.

1. Pauschalreisevertrag, § 651a BGB

Es müsste zunächst zwischen K und B ein Pauschalreisevertrag im Sinne des § 651a BGB zustande gekommen sein. Nach § 651a I BGB wird der Unternehmer (Reiseveranstalter) durch den Pauschalreisevertrag verpflichtet, dem Reisenden eine Pauschalreise zu verschaffen und der Reisende ist verpflichtet, dem Reiseveranstalter den vereinbarten Reisepreis zu zahlen. Gem. § 651a II 1 BGB ist eine Pauschalreise eine Gesamtheit von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise. Reiseleistungen sind nach § 651a III 1 BGB unter anderem die Beförderung von Personen sowie die Beherbergung. Die Reise beinhaltete Flüge und Unterkünfte für die Reise nach Japan für die Zeit vom 03.04.2020 bis 12.04.2020 für 6.148,00 Euro. Damit ist ein Pauschalreisevertrag nach § 651a BGB zustande gekommen. Ausnahmen nach § 651a IV, V BGB liegen nicht vor.

2. Rücktritt, § 651h I 1 BGB

Des Weiteren müsse K wirksam vor Reisebeginn den Rücktritt erklärt haben nach § 651h I 1 BGB. Nach dieser Vorschrift kann der Reisende vor Reisebeginn jederzeit vom Vertrag zurücktreten.

a) Erklärung

K hat am 01.03.2020 schriftlich den Rücktritt von der Reise erklärt.

b) Erklärungsgegner

Erklärungsgegner war als Vertragspartner die B.

c) Zugang

Dieser ist die Rücktrittserklärung auch zugegangen nach § 130 I 1 BGB.

d) Formfrei

Einer Form bedarf die Rücktrittserklärung nicht. Sie ist formfrei. Vorliegend ist sie sogar schriftlich nach § 126 I BGB erfolgt.

3. Rechtsfolge

Die Rechtsfolgen des Rücktritts ergeben sich hier aus § 651h I 2, 3, III, V BGB

a) Verlust des Anspruchs auf Reisepreis, § 651h I 2 BGB

Nach § 651h I 2 BGB verliert der Reiseveranstalter im Falle des Rücktritts des Reisenden vor Reisebeginn den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.

Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der erbrachten Anzahlung verpflichtet.

Der Reiseveranstalter muss die geleisteten Zahlungen also zurückerstatten und zwar gem. § 651h V BGB unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt.

b) Grundsatz: Angemessene Entschädigung für Reiseveranstalter, § 651h I 3 BGB

Grundsätzlich kann der Reiseveranstalter allerdings gem. § 651h I 3 BGB eine angemessene Entschädigung verlangen.

Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht bejaht werden.

c) Ausnahme: Keine Entschädigung aufgrund außergewöhnlicher Umstände nach § 651h III 1 BGB

Nach § 651h III 1 BGB kann der Reiseveranstalter allerdings abweichend von § 651h I 3 BGB keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Dabei sind nach § 651h III 2 BGB Umstände unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Für solche außergewöhnlichen Umstände ist

nur die Situation zu berücksichtigen …, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist …

Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit und der Erheblichkeit einer zu besorgenden Beeinträchtigung ist … aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden zu prüfen, ob ein solcher Reisender vernünftigerweise annehmen konnte, dass die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, auf die er sich beruft, die Durchführung seiner Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort wahrscheinlich erheblich beeinträchtigen würden …

Dabei

lässt sich die Frage, ob eine pandemische Lage am Bestimmungsort eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zur Folge hat, nicht pauschal beantworten. Maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Falls, insbesondere die Gefahren, die dem Reisenden bei Durchführung der Reise drohen. Von Bedeutung ist insbesondere, ob die Durchführung der Reise dem Reisenden trotz der außergewöhnlichen Umstände und der daraus resultierenden Risiken zumutbar ist.

Insofern

kann die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung nicht allein deshalb verneint werden, weil es im Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht zu einer erheblichen Zahl von Infektionen in Japan gekommen war und die dort getroffenen Maßnahmen vor allem der Verhinderung von Infektionen gedient haben.

Das Gericht hätte sich

vielmehr mit der Frage befassen müssen, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl dieser Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte dafür begründeten, dass eine erhebliche Infektionsgefahr bestand, und nicht sicher war, ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen würden, um diese Gefahr abzuwenden.

Insofern

ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass eine Reise nach Japan schon aus damaliger Sicht mit ernsthaften und gravierenden Gesundheitsrisiken behaftet war, deren Eingehung einem besonnenen Reisenden nicht zuzumuten war.

Grundsätzlich kann die Covid-19-Pandemie einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand darstellen.

Die vom Kläger vorgetragenen Vorsorgemaßnahmen, die in Japan bereits bis Ende Februar 2020 ergangen waren und die hierdurch und zahlreiche andere Faktoren im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung bilden allerdings ein starkes Indiz dafür, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären…. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne Weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten …

Zwischenergebnis

Somit kann B nach § 651h III 1 BGB abweichend von § 651h I 3 BGB keine Entschädigung von K verlangen aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände.

II. Ergebnis

K hat gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung von 1.537,00 Euro nach § 651h I 2 BGB.

C. Prüfungsrelevanz

Das Reiserecht ist immer wieder mal Gegenstand von Prüfungsklausuren. Den Schwerpunkt der Entscheidung bildet im Falle eines Rücktritts des Reisenden vor Reisebeginn die Frage, ob die Covid-19-Pandemie einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand darstellt, der eine Entschädigung des Reiseveranstalters nach § 651h III 1 BGB entfallen lässt.

(BGH Urt. v. 28.01.2025 – X ZR 53/21)

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