BGH zum Aufeinandertreffen von Raub und räuberischer Erpressung

BGH zum Aufeinandertreffen von Raub und räuberischer Erpressung

Sowohl beim Raub gem. § 249 StGB als auch bei der räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB kann der Täter mittels qualifizierter Gewalt oder Drohung den Gewahrsam an einer fremden Sache erlangen. Lässt er sich eine Sache übergeben und nimmt er gleichzeitig eine andere Sache weg, dann treffen ggfs. Raub und räuberische Erpressung aufeinander. Wie diese Konstellation zu lösen ist, macht der BGH in seiner nachfolgend dargestellten Entscheidung deutlich.

A. Sachverhalt

Der sich dem örtlichen Drogenmilieu zugehörige A hielt sich zusammen mit einem Mitangeklagten und einer nicht identifizierten dritten Person am Nachmittag des 24. Februar 2023 an einem Busbahnhof in M. auf. Die drei Personen entschieden sich, gemeinsam den dort wartenden Nebenkläger N, der Heroin im Wert von etwa 25 Euro und eine geringe Menge Bargeld mit sich führte, körperlich anzugreifen und zur Herausgabe beziehungsweise Duldung einer Wegnahme von Betäubungsmitteln und Bargeld zu veranlassen, um das so Erlangte für sich zu verwenden. Der Mitangeklagte und der Dritte traten absprachegemäß von vorne an den Nebenkläger heran und forderten ihn auf, alles herauszugeben, was er bei sich habe. Dieser Forderung verliehen sie dadurch Nachdruck, dass sie ihn beide mehrfach mit der flachen Hand in das Gesicht schlugen. A hatte sich derweil im Rücken des Geschädigten positioniert. Als N sich umdrehte, um die Möglichkeit einer Flucht zu prüfen, nahm er A wahr. Dieser sagte zu ihm, „Wegrennen“ bringe nichts, um der Herausgabeforderung Nachdruck zu verleihen. Daraufhin händigte N dem Mitangeklagten oder dem Dritten das mitgeführte Heroin aus. Gleichzeitig griff der Mitangeklagte oder der Dritte in eine Brusttasche des Nebenklägers und nahm das darin befindliche Bargeld in Höhe von mindestens 25 Euro an sich. N ließ dies unter dem Eindruck der Gewaltanwendung geschehen. Sodann wandten sich alle zunächst von ihrem Opfer ab.

Als eine in direkter Nähe befindliche Zeugin, die das gesamte Geschehen beobachtet hatte, N fragte, ob er Hilfe brauche, traten alle erneut auf ihn zu und schlugen ihm unvermittelt mit Fäusten mehrfach in sein Gesicht. Nachdem der Geschädigte dadurch zu Fall gekommen war, trat einer der beiden ihm mindestens einmal kräftig in das Gesicht. A registrierte sodann, dass die Zeugin ihr Mobiltelefon hervorholte, um die Polizei zu verständigen. Alle drei verließen nun den Busbahnhof.

N erlitt durch das Tatgeschehen eine Fraktur des Mittelgesichtsknochens und verlor drei vordere Zähne. Er musste operativ versorgt und stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.

Das Landgericht Kleve verurteilte A wegen mittäterschaftlich begangener, räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, § 25 II StGB sowie tateinheitlich (§ 52 StGB) wegen mittäterschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 4 und Nr. 5, 25 II StGB.

B. Entscheidung

Der BGH (Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 121/24) war der Auffassung, dass sich A zusätzlich wegen mittäterschaftlich begangenem Raub gem. §§ 249 I, 25 II StGB strafbar gemacht habe, der in Tateinheit gem. § 52 StGB zur räuberischen Erpressung stehe.

Grundsätzlich können im vorliegenden Fall 2 direkt aufeinanderfolgende Taten unterschieden werden. In einer Klausur solltest Du beide - jedenfalls gedanklich im Rahmen Deiner Gliederung -auch unabhängig voneinander prüfen. Die Tathandlung ist bei beiden Taten dieselbe und besteht in dem Schlagen ins Gesicht sowie für A als mittäterschaftlicher Verursachungsbeitrag in dem Positionieren hinter N. Diese Handlung hat jedoch zu unterschiedlichen Erfolgen geführt. Zum einen hat sie die Herausgabe des Heroins bewirkt, zum anderen das Dulden des Herausnehmens des Geldes.

Starten wir mit der Herausgabe des Heroins.

Hier könnte sich A wegen mittäterschaftlich begangener, räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, § 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er sich hinter A stellte und diesem damit deutlich machte, dass eine Flucht sinnlos sei.

Die von den Mittätern ausgeführten Schläge ins Gesicht stellen als körperliche Einwirkung zur Überwindung eines erwarteten Widerstands Gewalt dar. Diese Schläge müssten A über § 25 II StGB zugerechnet werden können. Dann müsste A im Rahmen eines gemeinsamen Tatplans einen Verursachungsbeitrag geleistet haben. Der Verursachungsbeitrag liegt in der Beteiligung an der Tatplanung sowie in dem Positionieren hinter N. Dieser Beitrag wurde auch im Rahmen eines zuvor festgelegten Plans erbracht. Fraglich ist, ob er eine Mittäterschaft begründet oder nur ein Hilfeleisten gem. § 27 StGB darstellt. Nach der überwiegend in der Literatur vertretenen Tatherrschaftslehre muss dieser Beitrag eine funktionale Tatherrschaft vermitteln. Der BGH fragt nach dem eigenen Interesse an der Tatbegehung, zieht aber als objektives Kriterium ebenfalls die Tatherrschaft heran. Indem A sich im Rücken des N positionierte, versperrte er ihm den Fluchtweg und verstärkte dadurch die Wirkung der bereits ausgeführten Schläge. Dieser Beitrag war damit von wesentlicher Funktion. Da A zudem ein gesteigertes eigenes Interesse am Heroin und später auch am Geld hatte, kann ihm das Schlagen über § 25 II StGB zugerechnet werden.

Dieses Schlagen hat zur Herausgabe des Heroins und damit zu einer Handlung des genötigten Opfers geführt. Fraglich ist, ob diese Handlung eine Vermögensverfügung darstellen muss.

In der Literatur wird die räuberische Erpressung als Selbstschädigungsdelikt verstanden, welche im objektiven Tatbestand von dem Raub als Fremdschädigungsdelikt abzugrenzen ist. Diese Abgrenzung erfolgt über die Vermögensverfügung. Eine Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Da das Opfer sich qualifizierten Nötigungsmitteln ausgesetzt sieht, muss die Freiwilligkeit anders als beim Betrug bestimmt werden. Sie liegt vor, wenn das Opfer eine Handlungsalternative sieht, weil es entweder glaubt, sich der Gewalt oder der Drohung entgegenstellen oder aber entfliehen zu können oder aber, weil es eine Hüterstellung zur Sache hat, der Täter also seine Mitwirkung braucht.

N sah sich 3 gewaltbereiten Angreifern gegenüber, die ihn eingekesselt hatten. Eine Flucht nach hinten war ihm nicht mehr möglich, da A sich hinter ihn gestellt hatte und ihm eben dies auch deutlich machte. Auch ist nicht ersichtlich, inwieweit er sich der Gewalt hätte entgegenstellen können, was insbesondere der spätere Tatverlauf deutlich macht. Von daher ist eine Handlungsalternative nicht ersichtlich (a.A. selbstverständlich vertretbar). Die Literatur würde das Geschehen mithin über § 249 StGB bestrafen.

Der BGH begreift die räuberische Erpressung sowohl als Selbst- als auch als Fremdschädigungsdelikt, sodass als abgenötigtes Opferverhalten auch die Duldung einer Wegnahme ausreicht. Der Raub ist lediglich lex specialis zur räuberischen Erpressung. Zur Abgrenzung führt er (a.a.O.) Folgendes aus:

„Raub und räuberische Erpressung sind nach dem äußeren Erscheinungsbild des Tatgeschehens abzugrenzen, und zwar danach, ob der Täter dem Opfer die betreffende Sache unter Anwendung beziehungsweise Androhung körperlicher Gewalt wegnimmt (Raub) oder das Opfer sie ihm eingedenk der Gewaltanwendung beziehungsweise -androhung herausgibt (räuberische Erpressung)“

Da N den Tätern das Heroin übergab, bestraft der BGH vorliegend aus §§ 253, 255 StGB.

Solltest Du wie wir eine Vermögensverfügung abgelehnt haben, dann müsstest Du in der Klausur nun eine Entscheidung treffen. Gegen den BGH spricht, dass der Raub keine eigenständige Bedeutung mehr hat. Zudem ist es ungewöhnlich, dass der Raub als lex specialis vor der räuberischen Erpressung geregelt ist und die räuberische Erpressung bezüglich der Rechtsfolgen auf den Raub verweist. Gegen die Literatur spricht, dass eine räuberische Erpressung niemals bei vis absoluta und damit dem stärksten Angriff auf eines der geschützten Rechtsgüter in Betracht kommt. Bedenkt man zudem, dass das Abgrenzungsmerkmal der Freiwilligkeit vor dem Hintergrund der Anwendung qualifizierter Nötigungsmittel ein akademisches ist, dann sprechen die besseren Gründe für den BGH, zumal eine Abgrenzung anhand des äußeren Tatgeschehens denkbar einfach ist und damit Rechtssicherheit schafft. (a.A. selbstverständlich vertretbar)

Im objektiven Tatbestand musst Du nun in einer Klausur noch prüfen, ob aufseiten des N ein Vermögensschaden eingetreten ist. Dies erscheint fraglich, da er den Besitz am Heroin verloren hat, welches er gem. § 29 BtMG gar nicht besitzen durfte. Nach dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff läge damit kein Vermögensschaden vor. Der BGH vertritt jedoch den ökonomischen Vermögensbegriff und geht von daher im vorliegenden Fall auf diesen Punkt nicht mehr gesondert ein. Für den ökonomischen Vermögensbegriff spricht, dass er keine straffreien Räume im Ganovenmilieu schafft und bei Betäubungsmitteln einen Gleichlauf der Normen bewirkt. Hätten die Täter das Heroin weggenommen, dann läge unproblematisch ein Raub vor, da nach überwiegender Auffassung Betäubungsmittel eigentumsfähig sind. Die Zufälligkeit des Gebens oder Nehmens soll aber keine unterschiedliche Bestrafung rechtfertigen.

Der Rechtsprechung folgend stellt das Geschehen um die Übergabe des Heroins mithin eine räuberische Erpressung dar.

Kommen wir damit zum Wegnehmen des Geldes. Hierauf ist das Landgericht nicht mehr gesondert eingegangen. Ggfs. hat es darauf abgestellt, dass in jedem Raub auch eine räuberische Erpressung liegt und hat, da sich der Vorsatz von Beginn an sowohl auf das Heroin als auch auf das Geld bezog, eine sukzessive Tatbestandsverwirklichung der §§ 253, 255 StGB bejaht.

Der BGH hebt die Eigenständigkeit des Raubes als lex specialis hervor und führt konsequent dazu Folgendes aus:

„Die Wegnahme des Bargelds erfüllt mithin den Tatbestand des Raubes. Da es sich bei dem Geld um ein anderes Tatobjekt als das vom Opfer hergegebene Heroin handelt, tritt der Tatbestand des Raubes tateinheitlich zu dem der räuberischen Erpressung hinzu.“

Die Taten stehen zueinander in Tateinheit gem. § 52 StGB, da dieselbe Handlung 2 Tatbestände verwirklicht hat.

Sofern Du in einer Klausur der Literatur folgen möchtest, kannst Du im vorliegenden Fall die Vermögensverfügung ablehnen und den Raub sowohl am Heroin als auch am Geld bejahen oder aber die Vermögensverfügung annehmen und dann auch bezüglich des Geldes eine räuberische Erpressung bejahen (=Dulden der Wegnahme). In beiden Fällen läge dann eine sukzessive Tatbestandsverwirklichung vor, die zur Annahme nur einer Tat führen würde, nämlich entweder Raub oder räuberische Erpressung (tatbestandliche Handlungseinheit).

C. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung des BGH im vorliegenden Fall ist kurz und knapp. Gleichwohl eignet sich der Sachverhalt prima für eine Klausur. Wesentlich ist, dass Du daran denkst, dass im Hinblick auf unterschiedliche Tatobjekte auch 2 unterschiedliche Taten in Betracht kommen können. Die Weichenstellung für Deine Klausur erfolgt wie immer in der Gliederung. Es ist denkbar, dass Du zu dem auch vom BGH vertretenen Ergebnis gelangst. Genauso gut ist es aber auch vertretbar, dass Du im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit nur eine Tat annimmst. Diese Entscheidung solltest Du getroffen haben, bevor Du mit dem Schreiben beginnst.

Daneben kommen noch Körperverletzungsdelikte in Betracht. Das Schlagen im Rahmen des Raubes oder der räuberischen Erpressung stellt eine Körperverletzung dar, ebenso wie die nachfolgenden Schläge und Tritte. Diese sind qualifiziert gem. § 224 I Nr. 4 und 5 StGB. Denken könnte man auch an die Verwirklichung der Nr. 2. Hier müsste es aber nähere Ausführungen im Sachverhalt zur Art des Schuhs geben. Schließlich kommt noch § 226 I Nr. 3 StGB in Betracht. Da die Schneidezähne aber mithilfe von Implantaten ersetzt werden können, liegt keine dauerhafte Beeinträchtigung vor.

(BGH Beschl. v. 14.05.2024 – 3 StR 121/24)

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