Tateinheit und Tatmehrheit

Tateinheit und Tatmehrheit (§§ 52 – 55 StGB)

Die Handlungseinheit führt, sofern keine Gesetzeskonkurrenz vorliegt, zur Tateinheit; die Handlungsmehrheit führt, sofern keine Gesetzeskonkurrenz vorliegt, zur Tatmehrheit.1

Tateinheit, § 52 StGB

Die Tateinheit ist in § 52 StGB geregelt.2 Tateinheit (= Idealkonkurrenz) liegt vor, wenn eine Handlung mehrere Gesetze verletzt, die gleichzeitig anwendbar sind. Die Mehrheit kann

  • durch Verletzung verschiedener Gesetze (ungleichartige Tateinheit)

Beispiel:3 T ohrfeigt O und verwirklicht dadurch die Tatbestände der §§ 223, 185 StGB. Es liegt ein Fall der Handlungseinheit vor. Da beide Tatbestände unterschiedliche Rechtsgüter schützen und kein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt, führt die Handlungseinheit gemäß § 52 I Alt. 1 StGB zur ungleichartigen Tateinheit.

oder

  • mehrmalige Verletzung desselben Gesetzes (gleichartige Tateinheit)

Beispiel: T wirft eine Handgranate in eine größere Menschengruppe und tötet dabei mehrere Opfer. Die Taten (§ 212 StGB bzw. § 211 StGB) stehen gemäß § 52 I Alt. 2 StGB in gleichartiger Tateinheit.

gebildet werden.

Die Strafzumessung richtet sich nach dem Absorptionsprinzip.4 Es wird nur auf eine Strafe erkannt, die nach dem Gesetz bestimmt wird, das die schwerste Strafe androht (§ 52 I, II 1 StGB). Bei ungleichartiger Tateinheit ist der Täter immer auch aus dem milderen Gesetz zu verurteilen, die Strafe ist aber dem Gesetz zu entnehmen, das die schwerste Strafe androht.5 Bei dem Vergleich der Strafdrohungen sind die im konkreten Fall erfüllten gesetzlichen Strafschärfungs- und -milderungsgründe mit ihren besonderen Strafrahmen zu berücksichtigen. Für die Schwere der angedrohten Strafe kommt es auf das abstrakte Höchstmaß der Hauptstrafe, bei gleicher Art und Schwere der Hauptstrafe auf Nebenstrafen und erst dann auf das Mindestmaß der Strafe an. Das mildere Gesetz bleibt insofern bedeutsam, als sein Mindestmaß nicht unterschritten werden darf (§ 52 II 2 StGB), auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 I Nr. 8 StGB) erkannt werden kann oder muss, wenn nur das mildere Gesetz sie vorschreibt oder zulässt (§ 52 IV StGB), und es bei der Strafzumessung schärfend ins Gewicht fallen kann.

Tatmehrheit, §§ 53 – 55 StGB

Die Tatmehrheit ist in den §§ 53 – 55 StGB geregelt.6 Tatmehrheit (= Realkonkurrenz) liegt vor, wenn mehrere Handlungen mehrere Gesetze verletzen, sei es

  • mehrmals dasselbe Gesetz (gleichartige Tatmehrheit)

Beispiel: T stiehlt an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils Lebensmittel in einem Supermarkt. Es liegen drei Diebstähle in gleichartiger Tatmehrheit vor.

oder

  • verschiedene Gesetze (ungleichartige Tatmehrheit).

Beispiel: T stielt Lebensmittel im Supermarkt (§ 242 StGB). Am nächsten Tag beleidigt er seinen Nachbarn (§ 185 StGB). Beide Taten stehen in ungleichartiger Tatmehrheit.

Die Strafzumessung richtet sich bei der Tatmehrheit nach dem Asperationsprinzip, welches für den Täter ungünstiger ist als das für die Tateinheit geltende Absorptionsprinzip.7 Zunächst muss der Richter für jede Straftat eine Einzelstrafe auswerfen (§§ 53 III 1, 54 I 1, II 1 StGB). Anschließend wird im Regelfall die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Einzelstrafe gebildet (§ 54 I 2 StGB). Das Zusammentreffen mehrerer selbständiger Handlungen führt nach dem Asperationsprinzip der §§ 53, 54 StGB nicht zu einer Häufung der verwirkten Freiheitsstrafen,8 sondern zu einer Verschräfung der verwirkten schwersten Einzelstrafe.9 Es müssen zunächst für alle Taten die konkret verwirkten Einzelstrafen festgesetzt werden. Die schwerste Einzelstrafe bildet als sog. Einsatzstrafe die Grundlage für die Gesamtstrafe. Die schwerste Einzelstrafe muss bei Freiheitsstrafe um mindestens eine Einheit i.S.v. § 39 StGB erhöht werden. Nach oben muss die Gesamtstrafe um mindestens eine Einheit Freiheitsstrafe hinter der Summe der Einzelstrafen zurückbleiben. Innerhalb dieses Rahmens muss das Gericht die Gesamtstrafe nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen. Die in der Gesamtstrafe aufgehenden Einzelstrafen sind in den Urteilsgründen aufzuführen.

Beispiel:10 T hat am 1.3. einen Bankraub mit Schusswaffen, am 10.3. eine gefährliche Körperverletzung und am 25.3. einen einfachen Diebstahl begangen. Für den Raub verhängt das Gericht eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten (= 66 Monate), für die gefährliche Körperverletzung 9 Monate und für den Diebstahl 3 Monate. Die Strafe wegen Raubes ist als höchste Einzelstrafe die Einsatzstrafe. Die Gesamtstrafe muss zumindest um eine Einheit (= 1 Monat) erhöht sein und damit mindestens 5 Jahre und 7 Monate (= 67 Monate) betragen. Die Gesamtstrafe muss aber auch mindestens einen Monat niedriger sein als die Summe der Einzelstrafen (66 + 9 + 3 = 78 Monate), darf also höchstens 6 Jahre und 5 Monate (= 77 Monate) betragen. Innerhalb dieses Rahmens (67 bis 77 Monate) legt das Gericht die Gesamtstrafe nach pflichtgemäßem Ermessen fest.

Die §§ 53, 54 StGB gelten vor allem dann, wenn mehrere Taten gleichzeitig in einem Prozess abgeurteilt werden. Sie sind aber auch dann anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat (§ 55 I 1 StGB). Der § 55 StGB schreibt eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung vor.11 Taten, die bei gleichzeitiger Aburteilung nach den §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, sollen bei getrennter Aburteilung durch Einbeziehung in das alte Urteil genauso behandelt werden, sofern die durch die frühere Verurteilung verhängte Strafe noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen ist und die neue Tat vor der früheren Verurteilung begangen worden ist. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten (§ 55 I 2 StGB).

In den Fällen des § 55 StGB soll der Täter durch den verfahrensrechtlichen Zufall gemeinsamer oder getrennter Aburteilung seiner mehreren Straftaten weder besser noch schlechter gestellt werden.12

Besondere Konstellationen

Ist ein Garant im Rahmen eines unechten Unterlassungsdelikts in strafbarer Weise für den Eintritt mehrerer Erfolge verantwortlich, so richtet sich die Einheit oder Mehrheit der Unterlassungstaten danach, ob er die Erfolge durch die Vornahme einer Handlung hätte abwenden können (dann Tateinheit) oder dafür mehrere Handlungen möglich und erforderlich gewesen wären (dann Tatmehrheit).13

Bei Mittätern (§ 25 II StGB), Anstiftern (§ 26 StGB) und Gehilfen (§ 27 StGB) richtet sich die Einheit bzw. Mehrheit des Handelns nach dem eigenen Handeln des Beteiligten und nicht nach demjenigen eines Mitbeteiligten (Mittäter oder Haupttäter).14

Die Konkurrenzfragen sind beim Anstifter und Gehilfen selbständig zu prüfen und nicht akzessorisch aus den beim Haupttäter festgestellten Konkurrenzen abzuleiten.15


  1. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1177, 1202.
  2. Zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 52 Rn. 1.
  3. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 1197.
  4. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 48.
  5. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 52 Rn. 5.
  6. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 54 Rn. 1.
  7. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 78.
  8. Treffen zeitige Freiheitsstrafe und Geldstrafe aufeinander, kann das Gericht gemäß § 53 II StGB zwischen der Bildung einer Gesamt(freiheits)strafe und der Kumulierung von Freiheits- und Geldstrafe wählen.
  9. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 52 Rn. 2 f.
  10. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 52 Rn. 3.
  11. Hier und zum Folgenden: Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 55 Rn. 1 f.
  12. BGH, Urt. v. 06.03.1962 – 5 StR 16/62, BGHSt 17, 173, 175; BGH, Urt. v. 16.12.1954 – 3 StR 189/54, BGHSt 7, 180, 182.
  13. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 82.
  14. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 56 Rn. 79.
  15. BGH, Urt. v. 17.02.2011 – 3 StR 419/10, Rn. 14.