BGH zur Gesamtnichtigkeit wegen Formmangels

BGH zur Gesamtnichtigkeit wegen Formmangels

Führt der Formmangel einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit eines Grundstückskaufvertrages?

Sofern eine Vorauszahlungsabrede im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages mangels notarieller Beurkundung formnichtig ist, stellt sich die Frage, ob dies zur Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB führt.

A. Sachverhalt

Der beklagte Verkäufer V verkaufte einer GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger K war, mit notariell beurkundetem Vertrag einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück. K überwies für die GmbH auf das Konto von V einen Betrag von 80.000 Euro und hat als Zweckbestimmung den Kaufvertrag angegeben. Anschließend wurde dieser hälftige Miteigentumsanteil an die GmbH übereignet und sie wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. In einem privatschriftlichen Übergabeprotokoll erklärten V und K, dass von den gezahlten 80.000 Euro ein Betrag von 40.000 Euro einen „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstelle. Ein Jahr später schlossen V und K einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über die weitere Miteigentumshälfte an dem Grundstück. Danach übertrug die GmbH ihren Miteigentumsanteil auf K.

K begehrt von V die Übergabe und Übereignung der zweiten Miteigentumshälfte an dem Grundstück.

B. Entscheidung

K macht insofern einen entsprechenden Erfüllungsanspruch geltend.

I. § 433 I 1 BGB

K könnte von V die Übergabe und Übereignung der zweiten Miteigentumshälfte an dem Grundstück nach § 433 I 1 BGB verlangen.

Dann müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Das setzt den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages nach § 433 BGB voraus.

1. Kaufvertrag

Ein Kaufvertrag zwischen V und K über die genau bezeichnete zweite Miteigentumshälfte des Grundstücks zu einem Kaufpreis von 40.000 Euro (essentialia negotii) in notariell beurkundeter Form ist zustande gekommen, §§ 433, 311b I 1 BGB.

2. Nichtigkeit Vorauszahlungsabrede

Allerdings könnte die Vorauszahlungsabrede wegen Formmangels nach § 125 S. 1 BGB nichtig sein.

a) § 125 S. 1 BGB

Danach ist ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig. Die Vorauszahlungsabrede könnte der Form des § 311b I 1 BGB bedürfen. Nach dieser Vorschrift bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Zwar wurde der entsprechende Kaufvertrag in notariell beurkundeter Form geschlossen (s.o.). Fraglich ist jedoch, ob auch die Vorauszahlungsabrede der Formbedürftigkeit unterliegt. Grundsätzlich sind auch alle Nebenabreden im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages formbedürftig.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die Kaufpreisforderung dem Beurkundungszwang nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB unterliegt, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat …. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung daher - ohne eine dahingehende Vereinbarung - nicht schon von Rechts wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte….

Die Vorauszahlungsabrede wurde nur privatschriftlich nach § 126 BGB vereinbart, aber nicht in notariell beurkundeter Form gem. § 311b I 1 BGB. Dementsprechend ist sie nach § 125 S. 1 BGB nichtig.

b) Keine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB

Nach § 139 BGB könnte dies zu einer Gesamtnichtigkeit des Grundstückskaufvertrages führen. Sofern danach ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. § 139 BGB setzt voraus:

  1. Ein einheitliches Rechtsgeschäft

  2. Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts

  3. Ein Teil nichtig

Die Rechtsfolge ist dann „im Zweifel“ die Nichtigkeit des gesamten Vertrages, wenn sich nicht ein vorrangiger abweichender Parteiwille ermitteln lässt.

aa) Ein einheitliches Rechtsgeschäft

Zunächst müsste ein einheitliches Rechtsgeschäft vorliegen. Dies richtet sich nach dem Einheitlichkeitswillen der Parteien. Dieser ist gegeben, wenn die einzelnen Rechtsgeschäfte miteinander stehen und fallen sollen. Davon ist bei allen Vereinbarungen im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages auszugehen.

bb) Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts

Dieses Rechtsgeschäft müsste teilbar sein. Es lässt sich trennen in den Grundstückskaufvertrag und die Vorauszahlungsabrede. Somit ist die Teilbarkeit gegeben.

cc) Ein Teil nichtig

Ferner müsste ein Teil nichtig sein. Die Vorauszahlungsabrede ist mangels notarieller Beurkundung nichtig nach § 125 S. 1 BGB (s.o.).

dd) Rechtsfolge: „Im Zweifel“ Gesamtnichtigkeit

„Im Zweifel“ ist dann der gesamte Kaufvertrag nichtig. Dies wird nach der negativen Formulierung des § 139 BGB vermutet.

Zwar ist dies nach der Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände widerlegt sein ….

ee) Ausnahme: Abweichender Parteiwille

Es sei denn, es kann ein abweichender Parteiwille festgestellt werden. Das setzt voraus, dass anzunehmen ist, dass der Grundstückskaufvertrag auch ohne den nichtigen Teil -die Vorauszahlungsabrede- vorgenommen sein würde. Dabei ist

die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139 BGB dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag …. Denn dann kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch von weiteren Rechtshandlungen abhängt ….

Entscheidend ist insofern der Nachweis des Käufers, dass er auf eine noch nicht bestehende Schuld geleistet hat. Dann

ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts eingelassen hätten … Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

Insofern könnte K den Nachweis durch die Überweisungen erbracht haben. Allerdings hat er dort als Verwendungszweck den (ersten) Kaufvertrag angegeben. Insofern fehlt es

an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung. Die Überweisungsnachweise … beziehen sich ausdrücklich auf den Kaufvertrag … über den ersten Miteigentumsanteil. Diese Belege enthalten damit auch aus Sicht des Klägers keine Tilgungsbestimmung, die sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den zweiten Miteigentumsanteil bezieht.

Allerdings könnte sich aus dem privatschriftlichen Übergabeprotokoll der Nachweis ergeben, dass K auf eine noch nicht bestehende Schuld gezahlt hat.

Darin haben die Parteien gemeinsam erklärt, der Kläger habe 80.000 Euro des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 Euro als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen, „dass sie keine weiteren Ansprüche haben“.

Damit hat K den Nachweis erbracht, dass er auf eine noch nicht bestehende Schuld geleistet hat.

Zwischenergebnis

Dementsprechend ist der gesamte Kaufvertrag nicht nichtig nach § 139 BGB. Folglich ist der Anspruch des K gegen V auf Übergabe und Übereignung der zweiten Miteigentumshälfte an dem Grundstück entstanden. Der Anspruch ist nicht untergegangen und er ist durchsetzbar.

Ergebnis

K kann von V die Übergabe und Übereignung der zweiten Miteigentumshälfte an dem Grundstück nach § 433 I 1 BGB verlangen.

C. Prüfungsrelevanz

Ein Grundstückskaufvertrag mit seinen essentialia negotii gem. § 433 BGB und der Formbedürftigkeit der notariellen Beurkundung nach § 311b I 1 BGB gehört zu den Klassikern des Prüfungsrechts. In der vorliegenden Entscheidung ging es dabei insbesondere um eine Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB aufgrund einer privatschriftlich vereinbarten Vorauszahlungsabrede.

(BGH Urt. v. 14.06.2024 – V ZR 8/23)

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