BGH zum Eingehungsbetrug bei der Lastschriftreiterei

BGH zum Eingehungsbetrug bei der Lastschriftreiterei

Ein vollendeter Betrug gem. § 263 StGB kann im Abschluss eines Vertrages liegen, ohne dass es auf auszutauschende Leistungen ankommt. Wie die Vermögensverfügung und der Vermögensschaden bei einem solchen Eingehungsbetrug zu bestimmen sind, hat der BGH in einem Fall der „Lastschriftreiterei“ erneut ausgeführt.

A. Sachverhalt

A ist Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, deren ausschließlicher Geschäftszweck in der Ausübung von Straftaten besteht. Im Namen der GmbH schließt er mit einem Mitarbeiter der Geschädigten P, einer Zahlungsdienstleisterin, einen entgeltlichen Vertrag über die Nutzung eines mobilen POS Terminals (nachfolgend „Po.“ genannt). Dieser Terminal ermöglicht es unter anderem, Transaktionen im elektronischen Lastschriftverfahren durchzuführen. Dabei zieht der Zahlungsdienstleister die Zahlungen der Kunden des Händlers von deren Konten ein und überweist sie an den Händler, seinen Kunden. Weist das Konto keine ausreichende Deckung auf, wird die Lastschrift rückgebucht (Clearing-Vorgang). Um dem eigenen Kunden das Ausfallrisiko der Rückbuchungen abzunehmen und ihm das Geld schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen, bietet P darüber hinaus einen „Clearing-Service“ an. Dieser besteht darin, dass dem Konto der GmbH bereits vor Abschluss der Überprüfung des Kontos des Kunden und einer evtl. Rückbuchung der Betrag gutgeschrieben wird. Für diesen Service erhebt P eine weitere Gebühr, die das normale Ausfallrisiko abdeckt.

A löst nun über eigene Karten sowie über Karten seines Bruders elektronische Lastschriftverfahren aus und erzielt bei 78 Transaktionen insgesamt 346.987,34 Euro, wobei er sicher weiß, dass die Konten nicht gedeckt sind und die Lastschriften zurückgebucht werden. Die gutgeschriebenen Beträge hebt er jeweils zeitnah ab. Der genannte Betrag wird vom Konto der P abgebucht, die ihrerseits das Geld nicht von A zurückerhält.

B. Entscheidung

Das Landgericht Stade hat A in 78 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Der BGH (Urt. v. 04.10.2023 – 6 StR 258/23) bestätigte die Verurteilung wegen Betrug, änderte jedoch den Schuldspruch.

In Deiner Klausur müsstest Du den Betrug gem. § 263 I StGB wie folgt prüfen:

I. Objektiver Tatbestand

  1. Täuschung

  2. Irrtum

  3. Vermögensverfügung

  4. Vermögensschaden

II. Subjektiver Tatbestand

  1. Vorsatz

  2. Bereicherungsabsicht

  3. Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung

  4. Vorsatz diesbezüglich

  5. Stoffgleichheit zwischen Schaden und Bereicherung

Natürlich könnte man im vorliegenden Fall auf jede einzelne, durch die Verwendung der Karten ausgelöste Transaktion abstellen. Da wahrscheinlich der Vorgang voll automatisiert stattfindet, käme eine Strafbarkeit gem. § 263a StGB in Betracht.

Man kann und sollte im vorliegenden Fall aber auch bereits auf den Abschluss des Vertrages abstellen. Sofern man das tut, prüft man einen Eingehungsbetrug. Beim Eingehungsbetrug bejaht man eine Vollendung bereits mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages. Das Konstrukt des Eingehungsbetruges ist nicht unumstritten, da eine Vollendung vorverlagert wird. Nach herrschender Meinung steht der Eingehungsbetrug aber gleichwertig neben dem Erfüllungsbetrug.

Vorliegend ist nun zunächst einmal fraglich, worüber A bei Abschluss des Vertrages getäuscht haben könnte. Ausdrücklich erklärte er nur, dass er die beiden in Rede stehenden Verträge abschließen möchte, was tatsächlich der Fall war. Er könnte darüber hinaus aber konkludent Tatsachen mit erklärt haben, die nicht vorlagen. Es ist anerkannt, dass bei Risikoverträgen konkludent die Vertragstreue mit erklärt wird und dass der Erklärungsempfänger sich auch dementsprechend jedenfalls im Wege des sachgedanklichen Mitbewusstseins irrt. Der BGH führt dazu Folgendes aus:

„Der Vertragsschluss beruhte kausal auf einer Täuschung des Angeklagten. Indem dieser bei den Vertragsverhandlungen konkludent erklärte, er werde das Po. mitsamt dem vereinbarten Clearing-Service vertragsgemäß nutzen, rief er bei der Geschädigten eine für den Vertragsschluss ursächliche Fehlvorstellung über das von ihr aufgrund des Clearing-Services im Rahmen der Vertragsdurchführung tatsächlich zu tragende Zahlungsausfallrisiko hervor. Denn anders als bei einer vertragsgemäßen Nutzung liegt bei der in Wahrheit von dem Angeklagten beabsichtigten Verwendung des Po. s für eine Lastschriftreiterei jeder einzelnen Lastschrift ein massiv erhöhtes Risiko des Widerrufs zugrunde.“

Diese Argumentation solltest Du kennen von den sog. „Wettbetrugsfällen“ oder auch den „Lebens- oder Brandschutzversicherungsfällen“. Immer geht es darum, dass Verträge geschlossen werden, denen eine gewisse Risikobewertung zugrunde liegt. Aufgrund der Bereitschaft zur Manipulation verändert sich diese Risikobewertung massiv zulasten des Geschädigten.

Nachfolgend muss nun geprüft werden, ob in dem Abschluss des Vertrages eine Vermögensverfügung liegt. Eine Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Hier würde die Vermögensminderung nicht bei dem Mitarbeiter, mit welchem der Vertrag geschlossen wurde, sondern bei der P eintreten. Da der Mitarbeiter aber wohl eine rechtliche Befugnis zum Abschluss derartiger Verträge hatte, kann das Handeln der P zugerechnet werden.

Beim Eingehungsbetrug liegt die Vermögensminderung schon im Eingehen einer vertraglichen Verpflichtung. Der BGH hat dazu Folgendes ausgeführt:

„Bereits mit dem Vertragsschluss und der Übersendung des Po. s verfügte der betreffende Mitarbeiter irrtumsbedingt über das Vermögen der P. , die einen Vermögensschaden in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung zur Folge hatte. Diese Konstellation ist mit Fällen des sogenannten Kontoeröffnungsbetruges vergleichbar. Eröffnet der Täter unter Vorlage eines gefälschten Personalausweises und Täuschung über seine Zahlungswilligkeit bei einer Bank ein Konto und wird ihm eine EC-Karte oder Kreditkarte ausgehändigt, dann liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein vollendeter Betrug vor, wenn dem Täter ein Überziehungskredit eingeräumt oder ihm Kreditkarten bzw. EC-Karten mit einer Einlösungsgarantie ausgehändigt wurden …. Während beim Kontoeröffnungsbetrug dem Täter durch die Überlassung der Geldkarte mitsamt PIN ein unmittelbarer vermögensgefährdender Zugang zum Vermögen der kontoführenden Bank gewährt wird, konnte der Angeklagte spätestens mit der Übersendung des Po. s direkt über Teile des Vermögens der Geschädigten disponieren, da er Lastschriften generieren konnte, für die die Geschädigte aufgrund des vereinbarten Clearing-Services das Ausfallrisiko trug.“

Schlussendlich muss es durch die Verfügung noch zu einem Vermögensschaden gekommen sein. Bei der Vermögensverfügung stellst Du nur fest, ob etwas aus dem Vermögen herausgeflossen ist. Hier ist dies bei Abschluss des Vertrages in Gestalt der konkreten schadensgleichen Vermögensgefährdung geschehen, wie der BGH ausgeführt hat. Man kann beim Eingehungsbetrug auch auf die vertraglich vereinbarte Verpflichtung eingehen, die das Vermögen mit einem entsprechenden Anspruch des Vertragsgegners belastet.

Beim Schaden überprüfst Du nun, ob kompensatorisch etwas in das Vermögen hineingeflossen ist. Stellte man auf die wechselseitigen vertraglichen Ansprüche ab, so müsste nun ermittelt werden, ob der Anspruch der P auf Zahlung der entsprechenden Gebühren das tatsächlich vorhandene Risiko abdeckt und - sollte das nicht der Fall sein - wie hoch die Gebühren sein müssten. Hier liegt in der Praxis in der Regel die Schwierigkeit. Der BGH hat früher in den Wettbetrugsfällen die Höhe der Quote offengelassen und lediglich festgestellt, dass sie eine andere wäre. Dieser Rechtsprechung hat das BVerfG einen Riegel vorgeschoben, indem es zutreffend darauf hinwies, dass es sich beim Betrug um ein Erfolgsdelikt handele, der Erfolg in Gestalt des Vermögensschadens damit konkret beziffert werden müsse.

Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, dass es nachfolgend zu Überweisungen und anschließend zu Abhebungen in insgesamt sechsstelliger Höhe gekommen ist. Das Landgericht hat infolgedessen zur Bestimmung der Höhe des Schadens auf diesen Vorgang Bezug genommen. Der BGH hat dies bestätigt und Folgendes ausgeführt:

„Grundsätzlich wird bei einem Eingehungsbetrug durch einen Vergleich der Vermögenslage vor und nach dem Vertragsabschluss bestimmt, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. Gegenstand des Vergleichs ist der Wert der beiderseitigen Vertragsverpflichtungen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn der Vergleich des Geldwertes des gegen den Täuschenden erworbenen Anspruchs mit dem Geldwert der von ihm eingegangenen Verpflichtung einen Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. …Danach wären hier einerseits der wirtschaftliche Wert des Anspruchs der Geschädigten auf Zahlung des Entgelts und andererseits der wirtschaftliche Wert der von der Geschädigten geschuldeten Zahlungsdienstleistung einschließlich des durch den Clearing-Service übernommenen Zahlungsausfallrisikos zu bewerten gewesen. Für die Wertbestimmung wären dabei insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Ausführung des Tatplans sowie die zu einer Sperrung des Terminals führenden Sicherungsmechanismen seitens des Zahlungsdienstleisters von Bedeutung gewesen.

Dennoch stellt es keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht im Rahmen der Schadensbestimmung diese Maßstäbe nicht beachtet und stattdessen auf die durch den Angeklagten nach Vertragsschluss mithilfe des Terminals ausgelösten 78 Zahlungsvorgänge und der dadurch dem Konto der GmbH gutgeschriebenen Beträge von insgesamt 346.987,34 Euro abgestellt hat. Denn der dem Angeklagten zur Last fallende Eingehungsbetrug erschöpfte sich nicht in dem Abschluss des Vertrages, und auch die sich anschließende Erfüllungsphase beschränkte sich – anders als etwa bei einem Kaufvertrag – nicht auf einen mit dem Verpflichtungsgeschäft zusammenfallenden singulären Übertragungsakt. Vielmehr stellte der Vertragsschluss lediglich ein in ein Dauerschuldverhältnis mündendes Durchgangsstadium dar, und der Tatplan des Angeklagten sah vor, dass die endgültigen vermögensschädigenden Handlungen erst sukzessive im Rahmen der Erfüllungsphase vorgenommen werden. Es ist anerkannt, dass in solchen Fallkonstellationen auf den in der Erfüllungsphase eintretenden endgültigen Vermögensnachteil abgestellt werden kann, da die Vertragsdurchführung auf der für den Vertragsschluss ursächlichen Täuschung beruht. … Der für den Eingehungsbetrug geltende Grundsatz, dass es für die Schadensbestimmung gleichgültig ist, wie sich „die Dinge später entwickeln“… gilt aufgrund einer Einheitsbetrachtung von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft somit erst nach Abschluss der irrtumsbedingt vollzogenen Erfüllungsphase.“

Damit war der objektive Tatbestand verwirklicht. A handelte auch vorsätzlich und mit rechtswidriger und stoffgleicher Bereicherungsabsicht. Er hat sich damit gem. § 263 I StGB strafbar gemacht durch Abschluss des Vertrages.

Allerdings liegt nicht ein 78-facher Betrug vor, bei dem die einzelnen Taten in Tateinheit zueinander stehen, sondern aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Eingehung der Verbindlichkeit und Erfüllung derselben nur eine einzige Tat vor. Der BGH hat insoweit konsequent zu seinen vorherigen Ausführungen Folgendes klargestellt:

„Reicht die im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts vorgenommene Täuschungshandlung – wie hier – bis in die Erfüllungsphase, dann liegt beim Zusammentreffen von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug eine einheitliche Betrugstat vor.“

C. Prüfungsrelevanz

Die Schwierigkeit des Eingehungsbetrugs liegt in der Klausur häufig darin, dass er von den Klausurschreibenden übersehen wird. Dies sollte Dir nun nicht mehr passieren. Die obige Entscheidung bezüglich des Schadens steht in einer Linie mit Entscheidungen zum Wettbetrug und zum Lebensversicherungsbetrug. Wurden die Summen anschließend ausgezahlt, dann wurde bezüglich der Höhe des Schadens immer auf diese Zahlung abgestellt. Aufgrund der Bestimmbarkeit der Höhe des Schadens wirst Du es in einer Klausur dementsprechend auch mit solchen Konstellationen zu tun haben.

Kam es nicht zu einer Auszahlung, dann wurde in den letzten Jahren aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG ein Betrug mangels Bestimmbarkeit des Schadens abgelehnt.

(BGH Urt. v. 04.10.23 - 6 StR 258/23)

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