132 Schnapspralinen, aber kein Tropfen Alkohol?

132 Schnapspralinen, aber kein Tropfen Alkohol?

AG Frankfurt am Main zur Trunkenheit im Verkehr

Normalerweise ist die Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB keineswegs ein Delikt, das zur humoristischen Auseinandersetzung mit dem Vorsatz taugt. Doch die Geschichte, die der Angeklagte dem Amtsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 29.08.2024 – Az.: 907 Cs 515 Js 19563/24) auftischte, hinterlässt den Eindruck, als hätte er sich beim inflationären Konsum von Schnapspralinen direkt vom Verhalten des Kängurus aus Marc-Uwe Klings Feder inspirieren lassen. Man könnte sich vorstellen, dass es in Anbetracht dieser Märchengeschichte aus richterlicher Sicht nicht ganz einfach gewesen sein dürfte, die erforderliche Ernsthaftigkeit zu wahren.

Sachverhalt

Der Angeklagte beging gegen 3:00 Uhr nachts Ende Januar 2024 einen Rotlichtverstoß. Dies nahm die Polizei zum Anlass für eine Verkehrskontrolle, bei der die Beamten schnell die Redseligkeit des Fahrers bemerkten und einen Alkoholgeruch wahrnahmen. Ein freiwilliger Atemalkoholtest bestätigte die Vermutung genauso wie ein späterer Blutalkoholtest. Mindestens 1,32 Promille befanden sich zur Tatzeit im Blut des Angeklagten. Dieser reagierte hierauf sichtlich überrascht, denn er trinke nach eigenen Angaben überhaupt keinen Alkohol. Alkoholkonsum sei schließlich ungesund, insbesondere für ihn als Sportler. Während er gegenüber den Polizeibeamten noch keine Angaben darüber machte, wie der gemessene Promillewert in seinem Blut zustande gekommen sein könnte, gab er vor Gericht einen wahren Knaller zum Besten: Er habe sich den ganzen Tag in einer Sauna befunden und habe dort bis 22:00 Uhr viele Aufgüsse gemacht. In Folge dessen sei er schlapp gewesen, habe sich unwohl gefühlt und sei in seinem Auto eingeschlafen. Als ein Pärchen aus Belgien zwischen 2:00 Uhr und 2:30 Uhr an seine Scheibe geklopft habe, sei er schließlich aufgewacht. Diesem habe er vermitteln können, dass es ihm nicht gut ginge und er unterzuckert gewesen sei. Daraufhin hätten die beiden ihm einen Beutel mit Pralinen gereicht, die jeweils etwa die Größe eines Tischtennisballs umfassten. Nach dem Konsum von etwa 8 bis 9 solcher Schokoladenkugeln, die mit einer Flüssigkeit gefüllt gewesen sein sollten, habe sich der Angeklagte noch schlechter gefühlt. Als er sich 15 bis 20 Minuten nach dem Aufwachen auf den Weg zu einem Fast-Food-Restaurant gemacht habe, sei er dann in die besagte Polizeikontrolle geraten.

Dass es sich bei der Flüssigkeit in den Pralinen um Alkohol gehandelt haben könnte, sei dem Angeklagten erst bewusst geworden, nachdem er den Promillewert nach dem Atemalkoholtest erfahren habe. Er hätte sich schließlich einfach nur über die angebotene Nahrung gefreut. Es sei auch nur die schwarze Zartbitterschokolade zu schmecken gewesen und er habe überhaupt keinen Alkohol wahrgenommen. Es könne sich seiner Ansicht nach jedenfalls nicht um Rumpralinen gehandelt haben, da er den Rum andernfalls sofort als Alkohol hätte erschmecken können. Es habe lediglich etwas beim Kauen gebrannt.

Entscheidung des AG Frankfurt am Main

Dem Amtsgericht oblag nun zu klären, ob dem Angeklagten ein Vorsatz hinsichtlich der Trunkenheit im Verkehr nachweisbar war. Mit anderen Worten, ob er es jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass er durch den Konsum alkoholischer Getränke nicht mehr fahrtüchtig gewesen ist. Da es die wilde Aussage des Angeklagten als nicht glaubhaft einstufte, verurteilte es den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nach § 316 I StGB zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen. Gerade Leser:innen, die sich in Vorbereitung auf das zweite Examen befinden, wird nahegelegt, die besonders ausführliche Beweiswürdigung nachzuarbeiten. Das Gericht gibt sich hier nämlich größte Mühe, die inhaltlichen Brüche und Unstimmigkeiten der Einlassung des Angeklagten herauszuarbeiten und liefert eine schulmäßige Würdigung der als glaubhaft eingestuften Aussagen der beiden Polizeibeamten. Das Fahrerlaubnisregister des vermeintlich abstinenten Angeklagten gab einen weiteren Hinweis, der Zweifel an der vorgetragenen Geschichte hervorrief: Er hatte bereits eine Eintragung wegen Trunkenheit im Verkehr, auch wenn diese bereits einige Jahre zurücklag.

Neben der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte ungestört bei winterlichen Temperaturen in einem ungeheizten Auto vier Stunden genächtigt haben soll, hob das Gericht weiter hervor, dass auch das angebliche Hinzutreten des belgischen Pärchens mit sehr speziellen Schnapspralinen äußerst ungewöhnlich sein dürfte.

Schlussendlich dürften aber die Feststellungen der Sachverständigen dazu geführt haben, dass das Gericht die vermeintlichen Ereignisse als nach allgemeiner Lebenserfahrung mit absoluter Sicherheit für ausgeschlossen einstufte: In Anbetracht der gemessenen Alkoholkonzentration und der Angaben des Angeklagten zur zeitlichen Abfolge der Ereignisse sowie zur Größe und Anzahl der Schnapspralinen hätte er als Person, die sonst keinen Alkohol zu sich nimmt, mindestens 0,2 bis 0,3 Liter eines 40-prozentigen Alkohols in weniger als 15 Minuten zu sich nehmen müssen, ohne dies zu merken. Das entspräche umgerechnet einer Anzahl von sage und schreibe 132 handelsüblichen Kirschschnapspralinen der Marke „Mon Cherie“. Selbst wenn der Angeklagte statt der genannten 9 sogar 12 tischtennisgroße Schnapspralinen gegessen hätte, so hätte bei der angegebenen Größe mindestens 2/3 des Volumens der Praline auf den Alkohol entfallen müsste. Folglich bliebe lediglich 1/3 für die Schokolade. Man muss zugeben: Eine solch außergewöhnliche Sonderanfertigung kann sich wahrscheinlich nur das Känguru vorstellen.

Abschließend gelang dem Amtsgericht mit überraschendem Wortwitz die treffende Feststellung: „Der Versuch des Angeklagten, sich dem Gericht von seiner Schokoladenseite zu präsentieren, war folglich nicht von Erfolg gekrönt.“

Fazit

Mit einer derartigen Räubergeschichte verschaffte der Angeklagte dem Gericht zwar einen Berg an Arbeit bei der Beweiswürdigung, sein Ziel, einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu entgehen, erreichte er jedoch nicht. Die juristische „Moral von der Geschicht“, die hier definitiv hängen bleiben sollte: Der Vorsatz im Rahmen des § 316 I StGB ist nicht immer ganz unproblematisch. Insofern sollte man den zweiten Absatz der Norm auch bereits in universitären Strafrechtsklausuren im Auge behalten, wenn man die Straßenverkehrsdelikte prüft.

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