
Nahezu seit Beginn der Bundesrepublik wurden ehemalige Kanzler räumlich und personell im Bundestag auf Kosten des Bundes ausgestattet. Nur bei Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder wurde davon abgesehen. Er hat geklagt und damit eine Reihe wichtiger rechtlicher Fragen aufgeworfen. VG und OVG haben die Klage abgewiesen, allerdings wurde die Revision zugelassen.
A. Vereinfachter Sachverhalt
Gerhard Schröder (S) war von 1998 bis 2005 Bundeskanzler. Er begehrt von der Bundesrepublik die weitere Zurverfügungstellung eines Büros (Räume und Personal). Die Überlassung war durch Beschluss des Haushaltsausschusses vom 19.05.2022 „ruhend gestellt“ worden, weil Schröder „keine fortwirkenden Verpflichtungen aus dem Amt mehr wahrnimmt“.
Seit 1967 werden Büros in Räumen des Bundestages und Personal für ehemalige Kanzler aus dem Bundeshaushalt finanziert. Die Stellenausstattung schwankte dabei zwischen drei und sieben Mitarbeitern, sie war abhängig von den jeweiligen politischen Gegebenheiten und dem geltend gemachten Bedarf. In seinem Beschluss vom 19.05.2022 hat der Haushaltsausschuss auch gefordert, dass künftig die Amtsausstattung ehemaliger Kanzler „nach der fortwirkenden Verpflichtung aus dem Amt erfolgt und nicht statusbezogen ist“.
S hat knapp drei Monate später Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben und beantragt, ihm das Büro mit der bisherigen Sach- und Stellenausstattung weiterhin zur Verfügung zu stellen. Er beruft sich auf Gewohnheitsrecht und den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Mit einem Hilfsantrag erstrebt er die gerichtliche Feststellung, dass die „Ruhendstellung“ rechtswidrig ist.
B. Entscheidung
Die Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Über den Hilfsantrag ist nur zu entscheiden, wenn der Hauptantrag abgewiesen wird.
I. Zulässigkeit des Hauptantrags
1. S hat Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Das setzt zunächst voraus, dass das Verwaltungsgericht zur Entscheidung zuständig ist (§ 40 I VwGO).
a) Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche, nicht verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt und eine abdrängende Sonderzuweisung nicht eingreift. Leistungsverwaltung ist im Zweifel öffentlich-rechtlich, sofern sie nicht ausdrücklich privatrechtlich ausgestaltet ist.
Es könnte sich bezogen auf die angestrebte Leistung ausnahmsweise um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handeln. Folge wäre, dass die Klage vor dem VG dann unzulässig ist. Denn eine Verweisung nach § 17a GVG findet nur statt, wenn fachgerichtliche Rechtswegzuweisungen (§§ 40 I VwGO, 13 GVG, 33 FGO, 51 SGG) nicht beachtet wurden.
Rn. 43 Ein Rechtsstreit hat dann verfassungsrechtlichen Charakter, wenn „beide Streitsubjekte Verfassungsorgane, Teile von ihnen oder andere mittelbar am Verfassungsleben beteiligte Stellen .. sind, und zum anderen, dass das Streitobjekt materiell Verfassungsrecht darstellt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2016 - OVG 10 S 19.16; Urteil vom 26. September 2011 - OVG 3a B 5.11). Dementsprechend gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, die von der Rechtswegzuweisung des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausgenommen sind, solche Verfahren, bei denen das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 1997 - BVerwG 4 A 21.96) und die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander betreffen (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1976 - BVerwG VII C 71.75).“
Der Kläger klagt nicht aus „nachwirkender“ Organstellung (Art. 65 GG) gegen den Haushaltsausschuss als Bundesorgan, sondern er fordert Bezüge aus Leistungsverwaltung ein, wie sie vergleichbar in §§ 11 ff BMinG geregelt sind. Damit ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
b) Sachlich zuständig ist das angerufene Verwaltungsgericht nach § 45 VwGO.
2. Parteien des Rechtsstreits sind der Kläger S als natürliche Person und der beklagte Bund als juristische Person des öffentlichen Rechts (§§ 63 Nr. 1 und Nr. 2, 61 Nr. 1 VwGO).
3. Klageart ist eine allgemeine Leistungsklage. Sie kommt in Betracht, wenn der Beklagte zu einem Tun oder einem Unterlassen verurteilt werden soll (vgl. zum Leistungsbegriff § 241 BGB). Besteht die erstrebte Leistung im Erlass eines Verwaltungsaktes, ist die Verpflichtungsklage als besondere Leistungsklage vorrangig statthaft (§ 42 I VwGO, 2. Alternative).
Die Überlassung von Räumen und von Personal ist ein reales und damit ein schlichtes Verwaltungshandeln. Es ist zudem nicht erkennbar, dass dem ein Verwaltungsakt vorgelagert ist.
4. Zur Vermeidung von Popularklagen gilt § 42 II VwGO auch bei den verwaltungsprozessualen Rechtsbehelfen, bei denen das in der VwGO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Für die danach erforderliche „Möglichkeit der Rechtsverletzung“ gilt ein weiter Maßstab (Rn. 49):
„Der Kläger besitzt zudem die auch bei der allgemeinen Leistungsklage analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis. Diese kann nur verneint werden, wenn die vom Kläger geltend gemachten Rechte diesem offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise zustehen können (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2020 – 7 C 29/18). Der Senat ist nicht der Auffassung, dass die vom Kläger behaupteten Rechte diesem offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise zustehen können…. Die fehlende sachgesetzliche Regelung der Bezüge des aktiven Bundespräsidenten … – die Ruhebezüge sind im Gesetz vom 17. Juni 1953 (BGBl. I, S. 406, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009, BGBl. I S. 160) geregelt – zeigt beispielhaft die lückenhafte (sach-) gesetzliche Regelung im Bereich der Amtsausstattung bzw. Versorgung der aktiven und ehemaligen Inhaber höchster Staatsämter auf, deren Ergänzung unter Rückgriff auf Gewohnheitsrecht oder den Gleichheitssatz jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.“
Nach allem ist die allgemeine Leistungsklage eines ehemaligen Kanzlers auf Verurteilung des Bundes zur Bereitstellung der räumlichen und personellen Versorgung zulässig.
II. Begründetheit des Hauptantrags
Das Verwaltungsgericht verurteilt die Bundesrepublik zur Bereitstellung der Versorgung, wenn sich die Klage gegen den richtigen Beklagten richtet (Passivlegitimation) und der geltend gemachte Anspruch besteht.
1. Bei der allgemeinen Leistungsklage richtet sich die Passivlegitimation nicht nach dem auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zugeschnittenen § 78 VwGO, sondern allein nach materiellem Recht. Dazu das OVG Rn. 50:
„Ein Anspruch eines früheren Bundeskanzlers auf ein Büro mit Sach- und Personalausstattung ist naturgemäß gegen die Bundesrepublik als diejenige Körperschaft zu richten, für die das frühere Amt ausgeübt worden ist. Die von dem Kläger begehrten Räumlichkeiten in den Gebäuden des Deutschen Bundestages befinden sich auch in der Verfügungsgewalt der Beklagten.“
2. Angesichts der bisherigen Praxis könnte sich der Anspruch aus Gewohnheitsrecht, aber auch aus Art. 3 I GG ableiten.
a) Gewohnheitsrecht entsteht „durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird“ (BVerfGE 122, 248, 269 m.w.N.). Da die Überlassungen von Räumen und Personal in der Vergangenheit uneinheitlich waren, bestehen Zweifel an der vorausgesetzten gleichmäßigen einheitlichen Übung.
Das OVG ist der Prüfung einer bisherigen gleichmäßigen Übung nicht nachgegangen, weil es an der für die Annahme von Gewohnheitsrecht zusätzlich erforderlichen Überzeugung der Beteiligten fehlt, dass der entsprechenden Praxis eine verbindliche normative Regelung zugrunde liegt (Rn. 54):
„Notwendig ist die Rechtsüberzeugung der Beteiligten, dass die Rechtsbeziehungen innerhalb eines bestimmten Bereichs durch einen ungeschriebenen, verbindlichen Rechtssatz geordnet sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. August 1978 - BVerwG VII B 127.77). Diese Überzeugung zeichnet sich durch eine von der Wandelbarkeit des (politischen) Willens losgelöste Grundposition aus, dass eine bestimmte Verhaltensweise geboten ist, weil sie dem entspricht, was die Rechtssubjekte als dem Recht gemäß betrachten (vgl. Heintschel-Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 17 Rn. 14).
Im Unterschied dazu beruht der politische Brauch bzw. die Höflichkeit (courtoisie) auf politischen Erwägungen. Ihre Einhaltung bzw. Fortführung kann gegebenenfalls politisch, nicht aber rechtlich beansprucht werden.“
Die Überlassung der Räume und des Personals erfolgten nach Auffassung des OVG nicht deshalb, weil sich die Bundestagsverwaltung dazu rechtlich verpflichtet sah. Die bisherige Übung wurde vielmehr von den jeweiligen politischen Gegebenheiten und dem angemeldeten Bedarf abhängig gemacht. Hätte es eine rechtsverbindliche gleichmäßige Praxis gegeben, wäre für die im Sachverhalt dargestellten Schwankungen kein Raum gewesen.
Maßgeblich war in der Vergangenheit die Wandelbarkeit des politischen Willens und nicht eine konstante Übung auf der Grundlage vermeintlichen Rechts. Deshalb lässt sich der vom Kläger verfolgte Anspruch nicht mit Gewohnheitsrecht begründen.
b) Der Anspruch kann auch nicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 I GG gestützt werden. Das folgt zum einen daraus, dass eine einheitliche Vergabepraxis nicht festgestellt werden kann (siehe oben).
Maßgeblich stellt das OVG zudem auf den systematischen Gesichtspunkt ab, dass Art. 3 I GG nur dann herangezogen werden kann, wenn dem Kläger überhaupt ein subjektives Recht zusteht. Art. 3 I GG vermittelt – derivativ – ein Recht auf Gleichbehandlung bereits vorhandener subjektiver Rechte, scheidet aber zur Begründung eines originären Leistungsrechts aus:
aa) Bezogen auf die Überlassung von Räumen und Personal an ehemalige Repräsentanten des Staates steht der zuständigen Behörde mangels gewohnheitsrechtlicher Bindung Ermessen zu. Stünde dem ein subjektives Recht des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung gegenüber, könnte er sich auf den Gleichheitssatz berufen.
bb) Es ist aber ein allgemeiner Grundsatz im Verwaltungsrecht, dass Ermessensregelungen nur dann einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gewähren, „wenn und soweit diese Regelungen erlassen sind, um – zumindest auch – individualrechtlichen Interessen zu dienen. Aus Regelungen, die nicht dem individuellen Interesse bestimmter Personen zu dienen bestimmt sind, können diese weder einen Anspruch auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln, noch auch nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verwaltungsentscheidung herleiten“ (BVerwGE 39, 235, 237 m.w.N.).
cc) Die Vergabe von Räumen und Personal an einen ehemaligen Bundeskanzler beruht nach Einschätzung des OVG auf einem rein objektiv geprägten Organisationsermessen mit der Folge, dass die Berufung auf den Gleichheitssatz am Fehlen eines dazu erforderlichen subjektiven Rechts auf fehlerfreie Bescheidung scheitert.
Rn. 66 „Der Gleichheitssatz kann nur Geltung beanspruchen, wo subjektive Rechte berührt sind. Andernfalls könnten Maßnahmen und Entscheidungen, die allein dem objektiven Recht zuzuordnen sind, über die Vermittlung des Gleichheitssatzes in weitem Umfang zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt daher für die Anwendung des Gleichheitssatzes im Fall einer beanspruchten staatlichen Leistung eine ungleiche Begünstigung (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12). Die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers bzw. des Bundeskanzleramtes, für die aus dem Amt geschiedenen Bundeskanzler Büros einzurichten bzw. zu unterhalten, stellt jedoch eine rein an dem öffentlichen Interesse einer angemessenen Erfüllung öffentlicher Aufgaben orientierte staatliche Organisationsentscheidung dar …
Rn. 67 Es handelt sich bei den Büros auch nicht um eine statusbezogene, versorgungsähnliche staatliche Gewährleistung. Ein Statusamt oder eine „Quasi-Organstellung“ der Bundeskanzler a.D. ist rechtlich zunächst einmal nicht definiert. … Soweit dem Handeln und dem Auftreten aus dem Amt geschiedener Bundeskanzler und Bundespräsidenten („elder statesmen“) von der Öffentlichkeit, staatlichen Stellen und mitunter auch den Regierungen anderer Staaten besondere Bedeutung beigemessen wird, geschieht dies aus politischen Gründen, nicht auf der Grundlage eines Amtes, für das eine rechtliche Grundlage jedenfalls nicht ersichtlich ist….“
Der geltend gemachte Leistungsanspruch lässt sich weder aus Gewohnheitsrecht, noch aus dem Gleichheitssatz ableiten.
Zwischenergebnis ist danach, dass die Leistungsklage unbegründet ist.
III. Hilfsantrag
Da die Klage in der Hauptsache abzuweisen ist, ist über den Hilfsantrag zu entscheiden. Die auf Feststellung des Bestehens des Anspruchs gerichtete allgemeine Feststellungsklage ist nach §§ 40 I, 43 I VwGO zulässig. Der geltend gemachte Anspruch begründet das erforderliche konkrete Rechtsverhältnis. Dem Kläger kann das rechtliche Interesse an der Feststellung nicht abgesprochen werden. Zum Grundsatz der Subsidiarität der Klage gegenüber der geltend gemachten allgemeinen Leistungsklage verweist das OVG darauf, dass nach dem Sinn und Zweck der Regelung in § 43 II 1 VwGO eine doppelte Inanspruchnahme der Gerichte vermieden und zudem ein etwaiges Vorverfahren der weitergehenden Klage nicht umgangen werden soll – Gründe, die im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen (Rn. 68):
„Der auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ruhendstellung des Büros gerichtete Hilfsantrag des Klägers ist zulässig. Er ist der Sache nach auf die Feststellung eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte gerichtet, ihm das Büro (im bisherigen Umfang) weiterhin zur Verfügung zu stellen. Denn in diesem Falle wäre die Ruhendstellung rechtswidrig. Im Verhältnis zu der im Hauptantrag geltend gemachten allgemeinen Leistungsklage gegen einen Hoheitsträger greift die Subsidiarität der allgemeinen Feststellungsklage (§ 43 II 1 VwGO) nicht, weil nach der Rechtsprechung bei Klagen gegen öffentlich-rechtliche Körperschaften davon auszugehen ist, dass aufgrund deren Gesetzesbindung ein Vollstreckungsdruck nicht erforderlich ist und anders als bei der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gegenüber der allgemeinen Leistungsklage keine Gefahr des Unterlaufens der besonderen Sachurteilsvoraussetzungen besteht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970 - BVerwG VI C 8.69).
Der Hilfsantrag ist jedoch aus den unter 2. ausgeführten Gründen nicht begründet, weil der Kläger keinen Rechtsanspruch auf ein Büro hat und daher nicht zu erkennen ist, dass die Ruhendstellung rechtswidrig gewesen ist.“
Ergebnis
Die Klage ist vollen Umfangs unbegründet.
(Urteil vom 06.07.2024 (OVG 10 B 34/23))
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