Der hohe Strafrahmen des § 316a StGB ist dadurch begründet, dass der Täter unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs einen Angriff auf einen Fahrzeugführer verübt und dadurch nicht nur Gefahren für ihn, sondern auch für die Sicherheit des Straßenverkehrs herbeiführt. Sowohl die Bestimmung der Tatsituation als auch des Tatopfers können in der Klausur Probleme bereiten. Mit beidem hat der BGH sich in der vorliegenden Entscheidung auseinandergesetzt.
A. Sachverhalt
B und C planten, einen Lkw-Fahrer, der ‒ wie sie wussten ‒ einen Umschlag mit einem größeren Bargeldbetrag „im Bereich des Beifahrersitzes“ mit sich führen würde, durch das Vortäuschen der Panne eines Pkw zum Anhalten zu zwingen und das Bargeld zu entwenden. A sollte für 500 Euro die Aufgabe zukommen, „das Geschehen zusätzlich abzusichern“ und die erwartete Beute anschließend in seinem Zimmer zu verstecken. In Ausführung dieses Tatplans lauerten sie dem Lkw auf. Als dieser von einem Betriebsgelände in die davor verlaufende Straße einbog, schob einer der Mittäter den Pkw quer in die Mitte der Fahrbahn, sodass der Fahrer F des Lkw die Straße nicht mehr passieren konnte und zum Anhalten gezwungen war. Unmittelbar darauf lief einer der Täter, B, zur Beifahrertür, öffnete sie und ergriff den dort hinter der Windschutzscheibe liegenden Umschlag mit Bargeld. F gelang es, den Umschlag „durch ein Entreißen aus der Hand“ wieder an sich zu bringen. Auf ein Zeichen des weiteren Tatbeteiligten begab sich nun A, der beschloss, sich „aktiv an der Wegnahme zu beteiligen“, weisungsgemäß zur Fahrertür, griff nach dem in der Hand des F befindlichen Geldumschlag und versuchte, ihm diesen unter Kraftaufwand zu entreißen. Dies misslang; der Umschlag zerriss. A und die beiden anderen Beteiligten flüchteten, als sich Mitarbeiter des Betriebes, die auf den Vorgang aufmerksam geworden waren, näherten.
B. Entscheidung
Das Landgericht Hannover hat A wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision war erfolgreich, der BGH (Beschl. v. 05.12.2023 – 4 StR 435/23) hob das Urteil auf und verwies die Angelegenheit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück.
§ 316a StGB hat einen im Verhältnis zu den §§ 242, 249, 252 oder 255 StGB wesentlich höheren Strafrahmen. Gleichwohl empfiehlt es sich in der Klausur nicht, mit der Prüfung dieser Norm zu beginnen, sondern mit der Prüfung jener Normen, die der Täter zum Zeitpunkt des Verübens des Angriffs verwirklichen wollte. Sofern diese Taten dann ins Versuchsstadium eingetreten sind oder gar vollendet wurden, stehen sie zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer in Tateinheit.
Das vorliegende Geschehen unterteilt sich nach der Blockade der Straße in 2 Handlungen.
Zum einen hat B versucht, den Geldumschlag wegzunehmen, indem er die Beifahrertüre aufriss und den Umschlag ergriff. Da zum Ergreifen des Umschlags keine besondere Kraftentfaltung erforderlich war, liegt in der Handlung nur ein versuchter Diebstahl gem. §§ 242, 22, 23 StGB, nicht aber ein versuchter Raub gem. §§ 249, 22, 23 StGB.
Darüber hinaus hat nun A anschließend in das Geschehen eingegriffen, indem er die Fahrertüre öffnete, nach dem in der Hand des F befindlichen Geldumschlag griff und versuchte, ihm diesen unter Kraftaufwand zu entreißen, was ebenfalls misslang.
I. A könnte sich wegen versuchten Raub gem.§§ 249, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben.
1. Vorprüfung
A konnte keinen neuen Gewahrsam an dem Geld begründen, weswegen die Wegnahme nicht vollendet wurde. Da der Raub ein Verbrechen ist, ist der Versuch gem. § 23 I StGB strafbar.
2. Tatentschluss
Der Tatentschluss war zunächst darauf gerichtet, dem F den Geldumschlag unter Kraftaufwand zu entreißen. Damit sollte der Umschlag nicht durch List oder Schnelligkeit erlangt werden, sondern durch einen körperlichen Zwang, der Gewalt dargestellt hätte.
Der Tatentschluss richtete sich ferner darauf, mittels dieser Gewalt die Sachherrschaft des F aufzuheben und neuen, eigenen Gewahrsam an dem Umschlag und dem darin befindlichen Geld zu begründen. Fraglich ist jedoch, ob A damit einen Raub oder aber eine räuberische Erpressung verwirklichen wollte.
Nach Ansicht des BGH wäre der Tatentschluss des A auf einen Raub gerichtet gewesen, da der BGH anhand des äußeren Tatbildes den Raub von der räuberischen Erpressung abgrenzt. A wollte sich den Umschlag nehmen und nicht geben lassen, sodass § 249 StGB verwirklicht wäre.
Die Literatur würde danach fragen, ob nach der Vorstellung des A der F eine Vermögensverfügung hätte tätigen müssen. Eine Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, welches sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Freiwilligkeit liegt vor, wenn das Opfer entweder eine Hüterstellung zur Sache hat oder aber eine durchhaltbare Verhaltensalternative sieht. Zu dem Zeitpunkt, zu welchem A ins Geschehen eingriff, hatte sich F zuvor bereits wehrhaft gezeigt. Ggfs. ging A mithin davon aus, dass F glaubte, eine durchhaltbare Verhaltensalternative zu haben. Das Preisgeben des Umschlags könnte dann eine Vermögensverfügung sein.
In einer Klausur müsstest Du den Streit nun entscheiden. Für die BGH-Entscheidung war dieses Thema vorliegend irrelevant.
Da die Freiwilligkeit in Anbetracht eines qualifizierten Nötigungsmittels nur eine akademische Möglichkeit ist, folgen wir dem BGH und grenzen anhand des äußeren Erscheinungsbildes ab.
Da A auch eine rechtswidrige Zueignungsabsicht besaß, ist der Tatentschluss gegeben.
3. Unmittelbares Ansetzen
In der Ausübung der Gewalt liegt das unmittelbare Ansetzen zur Tat.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.
5. Rücktritt
Ein strafbefreiender Rücktritt scheitert vorliegend an der Freiwilligkeit, da sich bereits Mitarbeiter des Betriebes dem Lkw näherten und sich das Geld im Auto verteilt hatte. A blieb also keine andere Möglichkeit, als die Tatausführung abzubrechen und sich vom Tatort zu entfernen.
II. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer gem.§§ 316a I, 25 II StGB
A könnte sich wegen mittäterschaftlich begangenem, räuberischen Angriff auf Kraftfahrer gem.§§ 316a I, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er das Geschehen zusätzlich absicherte.
Durch das Querstellen des Fahrzeugs wurde ein Angriff auf die Entschlussfreiheit des F verübt, da dieser gezwungen war, sein Fahrzeug anzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt war F auch noch mit Handlungen zur Nutzung des Lkw befasst und war damit Fahrzeugführer. Der Angriff fand während der Fahrt des Lkw statt und somit unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs.
Fraglich ist, ob die Handlung des anderen Beteiligten dem A über § 25 II StGB zugerechnet werden kann.
Dies kann vorliegend aber dahingestellt bleiben, da alle Beteiligten zum Zeitpunkt des Verübens des Angriffs davon ausgingen, sie könnten den Geldumschlag durch List und Schnelligkeit an sich bringen. Die Absicht war damit auf die Begehung eines Diebstahls gerichtet, weswegen eine Strafbarkeit gem. § 316a I StGB zu diesem Zeitpunkt ausscheidet.
Der BGH hat dazu Folgendes ausgeführt:
„Zwar ergeben die Feststellungen einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Lkw-Fahrers, der durch die Blockade seines Fahrwegs zum Anhalten gezwungen wurde … Den Urteilsgründen kann aber auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass die Beteiligten hierbei in der Absicht handelten, einen Raub (§ 249 I StGB), einen räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB) oder eine räuberische Erpressung (§ 255 StGB) zu begehen.
Zum Vorstellungsbild der Beteiligten ist nur festgestellt, dass der Umschlag mit Bargeld aus der Fahrerkabine des Lkw „entwendet“ werden sollte. Dass dies nach der Vorstellung der Beteiligten mit Nötigungsmitteln im Sinne der genannten Strafvorschriften geschehen sollte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Zwar stellte die mittels des Pkw errichtete Straßenblockade, also der Angriff selbst … eine nötigende Gewalt dar. Es ist jedoch nicht festgestellt, dass hierdurch nach der Vorstellung der Beteiligten eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung auf den Körper des Geschädigten entfaltet, also die Voraussetzungen der Gewalt gegen eine Person im erforderlichen Sinn verwirklicht werden sollten.“
III. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer gem.§ 316a I StGB
A könnte sich aber wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gem.§ 316a I StGB strafbar gemacht haben, indem er nach dem Geldumschlag griff.
Dann müsste F zu diesem Zeitpunkt noch ein Fahrzeugführer gewesen sein. Hierzu lässt sich der BGH wie folgt ein:
„Zwar kann ein Überfall auf einen Kraftfahrer, der anfänglich auf die Verwirklichung einer anderen Straftat abzielt, zu einem räuberischen Angriff im Sinne des § 316a StGB werden, wenn ‒ wie hier ‒ der (beabsichtigte) Einsatz von Raubgewalt zu der Wegnahmeabsicht hinzutritt … Dies setzt jedoch voraus, dass das Opfer im Zeitpunkt der Fortsetzung des Angriffs noch Fahrzeugführer ist und der Täter weiterhin die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt.
Taugliches Tatopfer in diesem Sinne ist, wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Befindet sich das Fahrzeug – wie hier – nicht mehr in Bewegung, so kommt es darauf an, ob das Opfer als Fahrer gleichwohl noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst ist … Die Gefahren, die durch die Teilnahme am fließenden Verkehr für den Fahrer oder Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs entstehen, werden zur Begehung des Raubes nur ausgenutzt, wenn nach dem Tatplan das Kraftfahrzeug als Verkehrsmittel für die Raubtat eine Rolle spielt, …nämlich wenn der Fahrzeugführer im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zu einem Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann, … wohingegen eingeschränkte Abwehrmöglichkeiten, die aus nicht verkehrsspezifischen Umständen – wie etwa der Enge des Fahrgastraums – resultieren, nicht ausreichen.“
Basierend auf dem soeben Ausgeführten verneint der BGH alsdann die Fahrzeugführereigenschaft, auch, weil das LG zu relevanten Aspekten keine Feststellungen getroffen hatte. Er subsumiert wie folgt:
„Beides kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Danach hatte der Geschädigte bei seinem Versuch, aus dem Betriebsgelände auszufahren, zwar zunächst verkehrsbedingt gehalten, was auf die Erfüllung beider Tatbestandsmerkmale hindeuten kann … Allerdings lag zwischen dieser Situation und dem gewaltsamen Entreißen des Umschlags durch den Angeklagten die Diebstahlshandlung des weiteren Tatbeteiligten und die hieraus resultierende Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Geschädigten, mithin ein nicht verkehrsbedingter Grund, die Fahrt mit dem Lkw nicht fortzusetzen. Umstände, aufgrund deren der Geschädigte gleichwohl noch taugliches Tatopfer des § 316a StGB und durch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs in seiner Abwehr eingeschränkt gewesen sein könnte … namentlich das Weiterlaufen des Motors, hat das Landgericht nicht festgestellt.“
Sofern bei einer erneuten Verhandlung das Landgericht feststellt, dass F zum Zeitpunkt der Einwirkung durch A den Fuß noch auf der Bremse und den Motor noch eingeschaltet hatte, könnte die Fahrzeugführereigenschaft bejaht werden.
Fraglich ist dann jedoch, ob der Angriff unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs stattfand. Dies wird von der herrschenden Meinung dann bejaht, wenn das Fahrzeug verkehrsbedingt anhalten muss und der Fahrzeugführer noch mit Betriebsvorgängen des Fahrzeugs befasst ist. Sieht hingegen der Täter das Anhalten des Fahrzeugs nur als günstige Gelegenheit, dann ist § 316a StGB nicht verwirklicht. Da hier die beiden Angriffe von B und A ineinander übergingen, hat A nicht nur die günstige Gelegenheit genutzt. Der Angriff stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anhalten des Lkws, sodass ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs angenommen werden könnte.
Basierend auf den der BGH-Entscheidung zugrunde liegenden Feststellungen des Landgerichts hat A sich nicht gem. § 316a I StGB strafbar gemacht.
Prüfungsrelevanz
Dieser Sachverhalt zeigt einmal mehr, in welche falsche Richtung man laufen kann, wenn man die einzelnen, tatbestandlichen Voraussetzungen nicht präzise prüft. Was vorliegend wie ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer aussieht, ist -wie wir gesehen haben- letztlich keiner. Die Besonderheit des Falles liegt vorliegend darin, dass es sich um ein mehraktiges Geschehen handelt. Zum Zeitpunkt des Verüben des Angriffs durch das Querstellen des Fahrzeugs (1. Akt), fehlte es an der erforderlichen Absicht. Als diese dann beim versuchten Entreißen des Umschlags aus der Hand des F (2. Akt) vorlag, fehlte es an der Fahrzeugführereigenschaft.
(Beschl. v. 05.12.2023 – 4 StR 435/23)
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