Das versuchte Begehungsdelikt (Erfolgsdelikt)
Das versuchte Begehungsdelikt (Erfolgsdelikt)
Auch der Versuchsprüfung liegt der dreistufige Deliktsaufbau (Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld) zugrunde. Dabei ist zu beachten, dass der Täter beim Versuch mehr wollen muss, als objektiv geschehen ist; sein Vorsatz muss sich auf tatbestandsrelevante Umstände erstrecken, die über das tatsächlich objektive Geschehen hinausgehen.1
Im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit ist jedoch mit dem subjektiven Tatbestand (dem Tatentschluss) zu beginnen; Bezugspunkt des Vorsatzes ist dabei – im Gegensatz zum vollendeten Delikt – ein ganz oder zum Teil fiktiver Sachverhalt.2 Erst danach ist der objektive (Versuchs-)Tatbestand zu prüfen, der nur aus dem unmittelbaren Ansetzen i.S.v. § 22 StGB besteht. Im Übrigen ist das Prüfungsschema zum vorsätzlich begangenen (vollendeten) Erfolgsdelikt noch um eine versuchsspezifische Vorprüfung und um den in § 24 StGB geregelten Rücktritt, bei dem es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt (vgl. § 24 I, II StGB: „wird nicht bestraft“),3 zu ergänzen.
Prüfungsschema4
- Vorprüfung
- 1. Keine Vollendung
Da der Versuch ein notwendiges Durchgangsstadium zur Vollendung des Delikts ist5, kommt ihm nur dann eine eigenständige strafrechtliche Bedeutung zu, wenn der objektive Tatbestand nicht erfüllt wurde. Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn der Taterfolg dem Täter aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zurechenbar ist, z. B. deshalb, weil eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf vorliegt.
- 2. Strafbarkeit des Versuchs
Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 I StGB). Die Abgrenzung erfolgt nach § 12 StGB.
- 1. Keine Vollendung
- I. Tatbestandsmäßigkeit
- II. Rechtswidrigkeit8
- III. Schuld9
- IV. Strafzumessung10
- V. Rücktritt gemäß § 24 StGB
- VI. Persönliche Strafmilderungs-, Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe11
- VII. Prozessvoraussetzungen12
Der Tatentschluss
Ausgangspunkt jeder Versuchsstrafbarkeit ist der Tatentschluss.13 Dieser liegt vor, wenn der Täter Vorsatz14 bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale einer bestimmten Straftat hat und auch alle besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Tatbestandes gegeben sind. Kurzgefasst: Der Täter muss Vorsatz in Bezug auf die Vollendung des Delikts haben.
Der Tatentschluss muss unbedingt und endgültig sein. Andernfalls liegt nur eine (nicht strafbare) Tatgeneigtheit vor, also eine Situation, in der der Täter noch nicht fest zur Tat entschlossen ist und sich über das „Ob“ der Tat noch nicht entschieden hat.15 Beispiel:16 T plant einen Banküberfall. Er betritt eine Filiale und schaut sich in dem Bewusstsein um, den Überfall vielleicht durchzuführen, falls günstige Umstände für den Überfall vorherrschen. Wegen seines inneren Vorbehalts („vielleicht“) liegt noch keine Tatentschlossenheit des T vor. Von Fällen der bloßen Tatgeneigtheit abzugrenzen sind Konstellationen des Tatentschlusses auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage.17 Hier macht der Täter die Entscheidung zur Tatbegehung – und damit letztlich seinen Handlungswillen – vom Eintritt einer äußeren Bedingung abhängig, auf die er keinen Einfluss hat (bedingter Handlungswille). Es gibt aber keinen inneren Vorbehalt mehr. Vielmehr ist der Täter für sich – wenn auch auf unsicherer Tatsachengrundlage – fest über das „Ob“ der Tat entschieden; er will sie ausführen, falls bestimmte, von ihm nicht beeinflussbare, äußere Umstände eintreten. Beispiel: Im vorgenannten Beispielsfall will T nach dem Betreten der Filiale den Überfall durchführen, wenn kein Kunde anwesend ist; da er im Innenraum der Filiale jedoch zwei Kunden antrifft, verlässt er die Filiale jedoch wieder.
Das unmittelbare Ansetzen
Im objektiven Tatbestand des versuchten Delikts werden nur die Voraussetzungen des § 22 StGB, also allein das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung geprüft.18
Im objektiven Tatbestand des Versuchs dürfen objektiv erfüllte Tatbestandsmerkmale nicht geprüft werden. Das hat bereits im subjektiven Tatbestand beim Tatentschluss zu erfolgen. Im Rahmen der Vorsatzprüfung sind – aus der subjektiven Perspektive des Täters – auch diejenigen objektiven Tatbestandsmerkmale anzusprechen, die der Täter objektiv verwirklicht hat.19
Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn er bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt bzw. ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Auch eine frühere, vorgelagerte Handlung kann bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Das ist der Fall, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in sie einmündet.20 Der Täter muss nach seiner Vorstellung von der Tat die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreiten und objektiv Handlungen vornehmen, die nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenakte unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen.21
Der Täter muss nach dem Wortlaut des § 22 StGB „unmittelbar“ zur Verwirklichung des Tatbestandes ansetzen.22 Daraus folgt, dass nach der Vorstellung des Täters keine wesentlichen Zwischenakte mehr erforderlich sein dürfen (sog. Zwischenaktstheorie). In Zweifelsfällen ist ergänzend danach zu fragen, ob bereits eine unmittelbare Gefährdung des tatbestandlich geschützten Rechtsguts vorliegt (sog. Gefährdungstheorie) und ob schon eine unmittelbare Nähe zur Sphäre des Opfers vorliegt, die es dem Täter ermöglicht, auf die Opfersphäre einzuwirken (sog. Sphärentheorie). Diese „Theorien“ stehen allerdings nicht – im Sinne eines zu entscheidenden Meinungsstreits – isoliert nebeneinander; vielmehr stellen die Denkansätze der Gefährdungs- und der Sphärentheorie normative Verfeinerungen der Zwischenaktstheorie dar.
- 1. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 14.
- 2. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 1.
- 3. BGH, Urt. v. 20.04.2016 – 2 StR 320/15, Rn. 10; Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 24 Rn. 9; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 2; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 704.
- 4. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 2; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 640.
- 5. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 641, 643.
- 6. Der Vorsatz muss insbesondere auch die Kausalität und die objektive Zurechnung umfassen.
- 7. Zu ihnen zählen z. B. die Absichten der §§ 252, 253, 259, 265 StGB (Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 12 Rn. 12).
- 8. Wie beim vollendeten Delikt.
- 9. Wie beim vollendeten Delikt.
- 10. Wie beim vollendeten Delikt.
- 11. Wie beim vollendeten Delikt.
- 12. Wie beim vollendeten Delikt. >
- 13. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 647.
- 14. Welche Vorsatzform vorausgesetzt ist, entscheidet der jeweilige Tatbestand.
- 15. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 648.
- 16. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 8.
- 17. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 9 – 12.
- 18. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 20.
- 19. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 17, 20.
- 20. BGH, Beschl. v. 29.05.2018 – 1 StR 28/18, Rn. 8.
- 21. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 22.
- 22. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 24 f.