Aussperren ist auch im Prozess ärgerlich

Aussperren ist auch im Prozess ärgerlich

Mehr Reden ist goldwert

Dieses Mal musste sich der BGH in seiner Entscheidung vom 11.7.2024 (Az. IX ZB 31/23) damit beschäftigen, ob ein Aussperren aus den Kanzleiräumen und die damit verbundene Versäumung einer Berufungsfrist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 236 II 2 Halbs. 2 ZPO führt.

Was ist passiert?

Die Anwältin führte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag zur Begründung der Fristversäumung lediglich aus, dass sie wegen eines unvorhergesehenen Schwindels das Büro am Tag des Fristablaufs verlassen musste, um sich zu Hause auszuruhen. Die Anwältin hatte die Berufungsschrift leider noch nicht fertiggestellt. Daher wollte sie sich zunächst ausruhen und am Abend noch einmal ins Büro fahren, um die Berufungsschrift zu beenden. Als sie gegen 19 Uhr am Büro ankam, bemerkte sie, dass sie ihren Büroschlüssel im Büro bei dem zuvor spontanen Aufbruch liegen gelassen hatte. Daraufhin versuchte sie, telefonisch eine Kollegin zu erreichen, die sich aber gerade auf einem Auswärtstermin befand und deshalb nicht zum Büro kommen konnte. Telefonnummern von anderen Kollegen, insbesondere der Sekretärin, hatte sie nicht auf ihrem Handy gespeichert. Die Anwältin äußerte sich in ihrem Antrag zur Wiedereinsetzung weder dazu, warum sie nicht zu der Kollegin fuhr, die sich in einem Außentermin befand, um den Schlüssel abzuholen, noch dazu, warum sie bei dieser Kollegin nicht die Telefonnummern der anderen Kanzleimitarbeiter erfragte oder aber in der Notrufzentrale der Hausverwaltung anrief.

Entscheidung des Gerichts

Dem Berufungsgericht reichte diese Begründung für eine Wiedereinsetzung nicht aus und wies den Antrag der Anwältin zurück. Deshalb hat das Gericht die Berufung als unzulässig verworfen. Der BGH bestätigte die Entscheidung des Berufungsgerichts nun. Es scheiterte an den Ausführungen des Wiedereinsetzungsantrags. Die Anwältin habe aus Sicht des BGH weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sie alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen habe, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten, obwohl sie die Berufungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft habe. In diesem Fall treffe die Anwältin laut des Gerichts eine erhöhte Sorgfaltspflicht, um die Frist einzuhalten. Laut Gericht habe man erwarten können, dass sie in ihrem Wiedereinsetzungsantrag begründete, warum sie z.B. bei ihrer Kollegin keine anderen Telefonnummern in Erfahrung brachte, warum sie nicht zu der im Außentermin befindlichen Kollegin fuhr, um den Büroschlüssel abzuholen oder warum sie nicht in der Notrufzentrale der Hausverwaltung anrief. Zu all diesen Alternativen schweige die Antragsbegründung der Anwältin. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um aus Sicht des Gerichts beurteilen zu können, ob die Anwältin ein Verschulden treffe.

Rechtlicher Hintergrund

Für gewisse Fristen enthalten ZPO, StPO und VwGO die Möglichkeit zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. In der ZPO ist dies in den §§ 233 ff. ZPO geregelt. Das Institut der Wiedereinsetzung ermöglicht es, dass bei Fristversäumung die versäumte und nachgeholte Prozesshandlung als rechtzeitig fingiert wird. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Frist ohne Verschulden versäumt wird. Da in Anwaltsprozessen bekannterweise eine Zurechnung des anwaltlichen Verhaltens gemäß § 85 II ZPO bei dem Mandanten erfolgt, ist es umso wichtiger, dass der Anwalt in seiner Antragsbegründung sämtliche Tatsachen vorbringt und verständlich schildert, auf welchen Gründen die konkrete Fristversäumung beruht und auf welche Weise es zu diesem Versäumnis gekommen ist und warum ihn somit kein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Nur so ist das Gericht in der Lage, eine umfassende Prüfung vorzunehmen.

Resümee

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann Dir in jedem Rechtsgebiet über den Weg laufen und ist ein grundlegendes, prozessuales Rechtsinstitut. Im ersten Examen können Prüfer:innen dies z.B. problemlos im Rahmen eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil einbauen. Für Deine Prüfungsvorbereitung kannst Du Dir auch diese aktuelle Entscheidung des BGH noch einmal genauer ansehen. Wichtig ist, dass Du alle Voraussetzungen für dieses Rechtsinstituts sorgfältig prüfst, damit Du nicht voreilig eine Wiedereinsetzung bejahst. Im zweiten Examen ist der ZPO-Kommentar Dein Freund und Helfer. Die Systematik und Prüfungsvoraussetzungen findest Du in unseren Lerneinheiten zur Wiedereinsetzung.

Aus der aktuellen Entscheidung solltest Du mitnehmen, dass der Hauptschauplatz Deiner Prüfung die Antragsbegründung ist. Werden die Umstände, die zur Fristversäumung geführt haben, nicht in nachvollziehbarer Weise detailliert geschildert und hinterlassen sie offene Fragen, scheitert schon daran die Wiedereinsetzung insbesondere, wenn die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wurde. Denn dann besteht eine erhöhte Sorgfaltspflicht, um sicherzustellen, dass die Frist eingehalten wird, und genau das muss dem Gericht verklickert werden.

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