Der Rücktritt gem. § 24 StGB führt nur dann zu einer Strafaufhebung, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Nach h.M. setzt eine solche Freiwilligkeit ein gewisses Maß an Autonomie voraus. Der BGH hat sich nun mit einem Sachverhalt befasst, bei dem diese Autonomie fehlte.
A. Sachverhalt
Der intelligenzgeminderte und sozial isolierte Angeklagte A entwickelte eine Vorliebe für Pornographie mit Gewaltbezug. Das Gefühl von Macht und Kontrolle stimulierte ihn zusehend und kompensierten die Zurückweisung durch Frauen. Am Tattag war er zusammen mit seinem Kollegen losgeschickt worden, um ein Fenster in der Wohnung des späteren Opfers O auszutauschen. Dort angekommen bat A seinen Kollegen, Werkzeug aus dem Tischlereibetrieb zu holen. Als ihm nun bewusst wurde, dass er mit O alleine in der Wohnung war, überkamen ihn sexuelle Gewaltphantasien und er fasste spontan den Entschluss, O mit einem Hammer zu töten, um sich danach an ihr sexuell zu befriedigen. Zu diesem Zweck schlug er O von hinten mit der stumpfen Schlagseite seines Hammers auf den Kopf. Als O zu fliehen versuchte, schlug er weitere elfmal zu. Dann ließ er von O ab, ohne sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Er ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, O lebensgefährdend verletzt zu haben, sodass sie ohne ärztliche Hilfe versterben werde.
Er geriet nun angesichts der ihm bewusst werdenden sozialen, beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen in einen Schockzustand. Er war nicht mehr in der Lage, klare Gedanken zu fassen und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Spontan kam ihm die Idee, den Verdacht auf einen Dritten zu lenken. Er forderte – weiterhin aus panischer Angst um seine Zukunft – zwei Zeuginnen auf, für eine von einem Einbrecher verletzte Frau Hilfe zu holen; diese benötige einen Krankenwagen. Anschließend sprach er eine weitere Zeugin an, um die Fortsetzung seiner Suche vorzutäuschen, und unterrichtete seinen Kollegen und seinen Arbeitgeber telefonisch davon, dass jemand mit einem Hammer auf O eingeschlagen hätte und er jemanden verfolge. Wenige Minuten später nahm er wahr, dass Zeugen die O aus dem Gebäude führten und auf einer Bank versorgten. Auf seine Frage, ob diese Zeugen bereits einen Notruf abgesetzt hätten, setzte eine Zeugin einen weiteren Notruf ab. O konnte trotz mehrfacher offener Schädel-Hirn-Traumata und Kopfplatzwunden durch die eingeleitete intensivmedizinische Behandlung gerettet werden.
B. Entscheidung
Der BGH (Urteil v. 10.01.2024 – 6 StR 324/23) hat die Entscheidung des Landgerichts Würzburg bestätigt, welches den Angeklagten wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB in Tateinheit gem. § 52 StGB mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB bestraft hat.
I. Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB
A könnte sich wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 212, 22, 23 StGB strafbar gemacht haben, indem er insgesamt zwölfmal mit dem Hammer auf den Kopf der O einschlug.
1. Vorprüfung
Die Tat ist nicht vollendet, der Mord ist als Verbrechen im Versuch strafbar.
2. Tatentschluss
Der Tatentschluss des A war auf die kausale und objektiv zurechenbare Tötung der O gerichtet.
Darüber hinaus deutet der Umstand, dass er den ersten Schlag von hinten ausführte, darauf hin, dass sein Tatentschluss auf die heimtückische Tötung der O gerichtet war. Nach seiner Vorstellung rechnete O nicht mit einem Angriff auf Leib oder Leben und war insofern arglos und infolge auch zur Verteidigung außerstande, mithin also wehrlos. Anders als teilweise die Literatur, verlangt der BGH darüber hinaus keinen verwerflichen Vertrauensbruch, sondern berücksichtigt besondere, den Täter ggfs. begünstigende Umstände auf Rechtsfolgenseite über § 49 I Nr. 1 StGB (Rechtsfolgenlösung).
Darüber hinaus handelte A zur Befriedigung des Geschlechtstriebs und da er sich an der Leiche vergehen wollte, mit der Absicht, eine Straftat gem. § 168 StGB zu ermöglichen.
3. Unmittelbares Ansetzen
Durch Ausführen des ersten Schlages überschritt A die Schwelle zum „Jetzt geht`s los“ und brachte nach seiner Vorstellung das Rechtsgut in eine konkrete Gefahr. Das unmittelbare Ansetzen liegt vor.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.
5. Rücktritt
A könnte aber strafbefreiend gem. § 24 I S. 1 StGB vom Versuch zurückgetreten sein, indem er zwei Zeuginnen aufforderte, für eine von einem Einbrecher verletzte Frau Hilfe zu holen; diese benötige einen Krankenwagen, und diese Aufforderung auch später noch einmal bekräftigte.
Dann dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein. Fehlgeschlagen ist er dann, wenn der tatbestandliche Erfolg nach der Vorstellung des Täters mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ohne zeitlich-räumliche Zäsur nicht mehr herbeigeführt werden kann.
Als A die Wohnung verließ, ging er davon aus, O lebensgefährdend verletzt zu haben. Ein weiteres Zuschlagen wäre theoretisch möglich gewesen. Allerdings befand sich A in einem Schockzustand.
An dieser Stelle wird es, wenn Du Dich mit dem Thema durch das Lesen von Lehrbüchern und BGH-Entscheidungen befasst, unübersichtlich. Die psychischen Hemmnisse, denen A unterworfen war, werden teilweise beim Fehlschlag, teilweise bei der Freiwilligkeit des Rücktritts diskutiert. Teilweise wird angenommen, dass der Fehlschlag immer als Aspekt der Freiwilligkeit geprüft werden muss, da sich beides nicht sauber voneinander trennen lässt.
Schauen wir einmal, was der BGH (Urteil v. 10.01.2024 – 6 StR 324/23) dazu sagt:
„Für den unbeendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB ist anerkannt, dass ein Rücktritt dann nicht strafbefreiend wirkt, wenn der Täter meint, den Erfolg theoretisch noch herbeiführen zu können, er sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen…
Dabei kommt es darauf an, ob sich der betreffende Umstand für den Täter als ein „zwingendes Hindernis” darstellt …
Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) sind grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen…. Entscheidend ist auch in diesen Fällen, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran kann es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des Täters ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war…“
Die Ausführungen des BGH zu diesem Aspekt sind nicht eindeutig. In der Klausur empfiehlt es sich bei Sachverhalten der vorliegenden Art, wenn Du den Fehlschlag ansprichst und zugleich deutlich machst, dass es dann auch an der Freiwilligkeit des Rücktritts fehlen könnte. Diese Freiwilligkeit hat der BGH wie folgt abgelehnt:
„So liegt es hier. Rechtsfehlerfrei hat die sachverständig beratene Straf-kammer angenommen, dass der Angeklagte die Rettungskette erzwungenermaßen in Gang gesetzt und deshalb den Erfolg nicht freiwillig verhindert hat (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB). Bei der zum Zeitpunkt der Ansprache von Zeugen vorliegenden akuten Belastungsreaktion hatte sich eine so große panische Angst und ein großer innerer Druck aufgebaut, dass er zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war.“
Bezüglich der Freiwilligkeit bedeutet das, dass A nach h.M. (psychologische Betrachtungsweise) nicht mehr aus autonomen Motiven heraus gehandelt hat, sondern aufgrund innerer Zwänge fremdbestimmt war und aus heteronomen Motiven gehandelt hat.
Eine in der Literatur vertretene Gegenauffassung bestimmt die Freiwilligkeit normativ und überprüft, ob der Täter wieder zur Rechtsordnung, d.h. zur Achtung der rechtlichen Verbote und Gebote zurückgefunden und sich damit als ungefährlich erwiesen hat. Auch nach dieser Auffassung wäre A nicht strafbefreiend zurückgetreten.
II. Strafbarkeit gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 und 5 StGB
Tateinheitlich dazu hat sich A wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.
Der Hammer ist aufgrund seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung im Einzelfall geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und kann damit als gefährliches Werkzeug gem. Nr. 2 angesehen werden.
Das Einschlagen auf den Kopf stellt sowohl eine konkret als auch abstrakt lebensgefährdende Behandlung dar, weswegen Du den Streit nicht zu entscheiden brauchst.
C. Prüfungsrelevanz
Die Entscheidung bietet eine schöne Gelegenheit, sich erneut mit dem klausurrelevanten Rücktritt gem. § 24 StGB zu befassen. Der Rücktritt als persönlicher Strafaufhebungsgrund wird ebenso wie der Versuch anhand der Vorstellungen des Täters geprüft. Nach diesen Vorstellungen richtet sich die Unterscheidung fehlgeschlagener, unbeendeter und beendeter Versuch.
(BGH, Urteil v. 10.01.2024 – 6 StR 324/23)
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