BGH zur mittelbaren Täterschaft bei einem strafunmündigen Werkzeug

BGH zur mittelbaren Täterschaft bei einem strafunmündigen Werkzeug

Zur Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft

Der „Normalfall“ der mittelbaren Täterschaft setzt einen Strafbarkeitsmangel des Werkzeugs und einen diesen Mangel kennenden, ihn zumeist sogar hervorgerufen habenden Hintermann voraus. In den meisten Fällen handelt das Werkzeug objektiv oder subjektiv tatbestandslos. Was aber, wenn es „nur“ schuldunfähig ist und damit auch eine Anstiftung gem. § 26 StGB in Betracht kommt? Der BGH ist dieser Frage nachgegangen.

A. Sachverhalt

S hatte den gewalttätigen Bruder des Angeklagten A zusammen mit den gemeinsamen Kindern verlassen und war in ein Frauenhaus gezogen. Wenige Tage später verließ ihr 11-jähriger Sohn T das Frauenhaus, um für einen „vorher festgelegten Zeitraum von wenigen Wochen“ seinen Vater, den Bruder des A, zu besuchen.

In dieser Zeit holte A den T mit dem Auto aus der väterlichen Wohnung ab und fuhr mit ihm in die Stadt. Dabei forderte er ihn auf, nach der bevorstehenden Rückkehr in das Frauenhaus seine Mutter zu töten. „Er solle abends, wenn die Mutter im Bett liege und schlafe, ein scharfes Messer aus der Küche holen und sie töten“, weil die Mutter „schlechte Sachen“ gemacht habe. Auf seinem Mobiltelefon zeigte er ihm zudem ein Video, in dem ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgaben zur Tat machte er nicht; das Kind sollte sie „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen.“ „Da T. noch klein sei, könne dieser nicht bestraft werden, während er, der Angeklagte, eine große Strafe bekommen und ins Gefängnis kommen würde, wenn er das mache.“ Im Gegenzug versprach er dem Kind, dessen Alter er kannte, Süßigkeiten, die Rückgabe von weggenommenen Spielsachen und den Kauf eines Motorrades. Der Junge ging auf das ernst gemeinte Ansinnen des A zum Schein ein, weil er befürchtete, andernfalls seine Mutter nicht wiedersehen zu dürfen. A brachte ihn anschließend wieder in die väterliche Wohnung, ohne danach noch einmal Kontakt zu ihm aufzunehmen. Nachdem T zu seiner Mutter zurückgekehrt war, offenbarte er ihr sogleich das Ansinnen des A.

Das Landgericht Kiel verurteilte A wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft. Der BGH (5 StR 200/23) hob das Urteil insoweit auf.

B. Entscheidung

Da die Tat nicht zur Vollendung gelangte, kommt nur eine Strafbarkeit aus Versuch in Betracht.

Die Prüfung des Versuchs ist in einer Klausur anspruchsvoller, da Du anhand der Vorstellung des Täters ermitteln musst, ob die Tat, wäre sie vollendet worden, einen Mord in mittelbarer Täterschaft gewesen wäre. Die Prüfung ist also jedenfalls im Tatentschluss eine hypothetische. Es interessiert nicht, was tatsächlich passiert ist, sondern nur das, was nach der Vorstellung des Täters hätte passieren sollen. Achte darauf, dass Du dies bei den Formulierungen deutlich machst.

I. Versuchter Mord in mittelbarer Täterschaft

A könnte sich wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 211, 212, 22, 23, 25 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er T aufforderte, die Mutter zu töten.

1. Vorprüfung

Der tatbestandliche Erfolg ist nicht eingetreten, die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus § 23 I, 12 I StGB.

2. Tatentschluss

Der Tatentschluss des A müsste zunächst auf die Tötung der S in mittelbarer Täterschaft gerichtet gewesen sein.

Nach seiner Vorstellung sollte der 11-jährige T nach seiner Rückkehr zur Mutter diese mit einem Messer töten. Der Tatentschluss umfasste damit den kausal durch einen von T ausgeführten Stich herbeigeführten Tod der S.

Fraglich ist, ob A nach seiner Vorstellung die Tat auch gem. § 25 I Alt. 2 StGB „durch einen anderen“ begehen, mithin also als mittelbarer Täter wollte.

Der 11-jährige T wäre gem. § 19 bei der vorgestellten Tatbegehung schuldunfähig gewesen. Dieser Umstand war dem A, der das Alter des Jungen kannte, auch bewusst, hat er ihn doch darauf hingewiesen, dass er aufgrund seines Alters nicht bestraft werden könne.

Damit hätte bei T ein Strafbarkeitsmangel vorgelegen, welcher A bekannt war und den er für seine Zwecke ausnutzen wollte.

Da bei der Veranlassung eines Schuldunfähigen zur Tat allerdings auch eine Anstiftung gem. § 26 StGB in Betracht kommt, stellt sich die Frage, ob allein die Schuldunfähigkeit zur Bejahung der mittelbaren Täterschaft ausreicht.

Teilweise wird in der Lit. eine normative Betrachtung vorgenommen. Danach ist die den Strafbarkeitsmangel kennende und ausnutzende Person strafrechtlich betrachtet, die allein verantwortliche, was grundsätzlich zur Bejahung der mittelbaren Täterschaft führen soll.

Dieser Auffassung widerspricht der BGH (5 StR 200/23) mit dem Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber durch die limitierte Akzessorietät bewusst die Möglichkeit beider Beteiligungsformen geschaffen habe. Ein Vorrang zugunsten der mittelbaren Täterschaft ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik und auch nicht aus dem Willen des Gesetzgebers.

Nach h.M. ist die Abgrenzung der Täterschaft von Teilnahme anhand der Tatherrschaft zu bestimmen. Bei der mittelbaren Täterschaft ist es eine Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens und/oder Wollens. Auch der BGH, der grundsätzlich die Abgrenzung anhand des Willens des Täters vornimmt, sieht die Tatherrschaft als wesentliches Abgrenzungskriterium an. Dazu führt er (5 StR 200/23) Folgendes aus:

„In mittelbarer Täterschaft handelt, wer die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft innehat, das Geschehen also mit steuerndem Willen in den Händen hält…..Nach Auffassung des Senats ist das Veranlassen der Tat eines Kindes nur dann als mittelbare Täterschaft anzusehen, wenn dem Veranlassenden die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft zukommt, er das Geschehen also in tatsächlicher Hinsicht steuernd in den Händen hält. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist im Einzelfall durch wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens zu ermitteln. Von besonderer Bedeutung ist dabei, inwieweit der Strafunmündige nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der ihm angetragenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ein dahingehendes Defizit begründet regelmäßig Steuerungsmacht und damit Tatherrschaft des Bestimmenden. Das Bestehen eines solchen Defizits mag zwar durch das kindliche Alter indiziert sein. Im Einzelfall ist allerdings, etwa aufgrund der Reife des Kindes, der Modalitäten seiner Beeinflussung oder der Offenkundigkeit des Tatunrechts, eine andere Bewertung möglich…“

Der BGH macht damit deutlich, dass die Abgrenzung stets anhand einer dezidierten Einzelfallbetrachtung stattfinden muss. In der Klausur bedeutet das für Dich, dass Du im Ergebnis alles vertreten kannst, es muss nur – wie immer ! – gut anhand des Sachverhalts begründet sein. Die Einzelfallbetrachtung des BGH führt zu einer Verneinung der mittelbaren Täterschaft. Er (5 StR 200/23) führt dazu Folgendes aus:

„Bei Anwendung dieses Maßstabs kam dem Angeklagten in dem von ihm vorgestellten Tatablauf keine Tatherrschaft zu. Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass er an der Reife des T zur Einsicht in das augenfällige Unrecht der Tat – Tötung der eigenen Mutter – nicht zweifelte. Denn er versuchte nicht, dem Kind das Unrecht der Tat zu verschleiern oder sich sonst ein altersbedingtes Reifedefizit zunutze zu machen. Er legte das Unrecht seines Ansinnens vielmehr offen, indem er erklärte, dass er selbst – würde er die Tat begehen – ins Gefängnis käme. Auch sonst begründete der kurze Kontakt mit dem Kind keinen steuernden Einfluss des Angeklagten auf das weitere Geschehen. Er gab die Wahl des in ungewisser Zukunft liegenden Tat-zeitpunkts und die Einzelheiten der Tatausführung aus der Hand und überantwortete beides gänzlich dem Kind. Die Tat sollte nach seiner Vorstellung zudem nach dessen Rückkehr in das Frauenhaus begangen werden, mithin an einem ihm unbekannten Ort, an dem er – wie er wusste – keinerlei Einfluss ausüben konnte. Nach alldem kam dem Angeklagten nach seiner Vorstellung ein bestimmender Einfluss auf die Tatbegehung nicht zu.“

Damit wärst Du in Deiner Klausur mit der Prüfung fertig. Du kämst zu dem Ergebnis, dass eine Strafbarkeit gem. §§ 211, 212, 22, 23, 25 I Alt.2 StGB nicht gegeben ist.

II. Unmittelbares Ansetzen

Der BGH hat sich darüber hinaus noch Gedanken zum unmittelbaren Ansetzen gemacht. Auch beim unmittelbaren Ansetzen wird auf die Vorstellung des Täters von der Tat abgestellt. Grundsätzlich setzt derjenige unmittelbar zur Tatbegehung an, der nach seiner Vorstellung die „Schwelle zum Jetzt geht`s los“ überschreitet, das Rechtsgut konkret in Gefahr bringt und Handlungen vornimmt, die ohne wesentliche Zwischenschritte in die Vollendung münden sollen.

Bei der mittelbaren Täterschaft ist streitig, auf wen abzustellen ist. Nach der „Einzellösung“ liegt das unmittelbare Ansetzen bereits in der Einwirkungshandlung des Hintermanns, nach der Gegenauffassung muss das Werkzeug durch sein Handeln unmittelbar ansetzen.

Nach h.M. wird das unmittelbare Ansetzen anhand der allgemeinen Kriterien bestimmt. Demnach liegt auf jeden Fall ein unmittelbares Ansetzen vor, wenn das Werkzeug mit seinem Tatbeitrag das Rechtsgut nach Vorstellung des Hintermanns konkret gefährdet, sodass die Vollendung ohne weitere Zwischenschritte eintreten könnte. Darüber hinaus kann das unmittelbare Ansetzen aber auch schon dann gegeben sein, wenn der Hintermann das Geschehen aus der Hand gibt. Dazu der BGH (5 StR 200/23) wie folgt:

„Bezieht der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan ein, kann bereits dessen Beeinflussung ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes sein. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat und ihn in der Vorstellung entlässt, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem zeitlichen Zusammenhang vornehmen. Die Einwirkung auf den Tatmittler ist hingegen bloße Vorbereitungshandlung, wenn sie erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet. In diesen Fällen der Verzögerung oder Ungewissheit der Tatausführung durch den Tatmittler beginnt der Versuch erst, wenn der Tatmittler seinerseits unmittelbar zur Erfüllung des Tatbestands ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist mithin, ob nach dem Tatplan die Handlungen des Täters schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann, oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers über-lassen bleibt.“

Da vorliegend nicht feststand, wann und wie der Sohn die Tat hätte ausführen sollen und A über das Gespräch hinaus keine weiteren Versuche der Beeinflussung unternahm, kann von einem unmittelbaren Ansetzen zur Tatbegehung keine Rede sein. Der BGH (5 StR 200/23) lässt sich dazu wie folgt ein:

„An diesen Maßstäben gemessen setzte der Angeklagte durch die Beeinflussung seines Neffen noch nicht zur Tötung unmittelbar an. Nach seinem Tatplan sollte der Junge erst in einigen Tagen zu seiner Mutter zurückkehren und die Tat auch dann nicht notwendig sogleich begehen; die Wahl des Tatzeitpunkts überließ er vielmehr dem Kind. Wann es zur Tatbegehung kommen würde, war daher ungewiss. Bei objektiver Bewertung des vom Angeklagten vorgestellten Geschehensablaufs hatte sich die Gefahr für das geschützte Rechtsgut zum Zeit-punkt der Beendigung der Einwirkung auf das Kind noch nicht in einer Weise konkretisiert, dass sich ein Schaden unmittelbar anschließen konnte.“

Demnach scheitert eine Strafbarkeit des A auch am unmittelbaren Ansetzen zur Tat.

III. Versuchte Anstiftung

Wäre die vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat in das Versuchsstadium eingetreten, dann würdest Du Anstiftung zum Versuch prüfen. Da dies aber nicht der Fall ist, bleibt nur eine versuchte Anstiftung zum Mord übrig, die gem. § 30 I StGB strafbar ist.

C. Prüfungsrelevanz

Die Abgrenzung der Täterschaft von der Teilnahme ist regelmäßig Gegenstand einer Examensklausur. Der der BGH zum Thema „mittelbare Täterschaft bei strafunmündigen Werkzeugen“ erstmals entschieden hat, stehen die Chancen gut, dass der vorliegende Sachverhalt in einer Klausur auftaucht.

Wie Du gesehen hast, gibt es zu diesem Thema verschiedene Auffassungen, die einzeln diskutiert werden sollten. Es ist ratsam, die Entscheidung des BGH zu lesen, da er sich dezidiert anhand der Auslegungsmethoden mit der Literaturauffassung befasst, die die Abgrenzung normativ vornimmt.

(BGH Beschluss vom 13.09.2023 - 5 StR 200/23)

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