Hätte ein nüchterner Fahrer es besser gemacht?
Alkoholisiert ein Kfz zu führen, ist wohl niemals eine gute Idee. Ab einem gewissen Promillewert ist dies sogar strafbar. Doch Trunkenheit im Verkehr hat nicht nur strafrechtliche Konsequenzen. Auch im Falle eines zivilrechtlichen Schadensersatzverfahrens hat der Alkoholpegel einen erheblichen Einfluss.
Worum geht es?
Der Beklagte fuhr mit 0,95 Promille in seinem Auto stadteinwärts in einer Kleinstadt. Als die Klägerin mit vier weiteren Personen die Straße überquerte, erfasste sie das Fahrzeug des Beklagten. Sie erlitt mehrere schwere Verletzungen, weswegen sie den Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagte. Das Landgericht Gießen hatte der Klage zwar stattgegeben, jedoch einen Mitverschuldensanteil der Klägerin von 50 % angenommen. Dagegen ging die Klägerin vor und legte Berufung beim OLG ein.
Rechtliche Einordnung in der Klausur
Wie so oft geht es bei Klausuren, die einen Verkehrsunfall thematisieren, um die Mitverschuldensquote. Im Referendariat begegnen Dir solche Fallkonstellationen häufig in einer Relations- oder Urteilsklausur. Aber auch in jüngeren Semestern kann Dir eine solche eher prozessrechtslastige Fallkonstellation in einer Zusatzfrage begegnen. Handelt es sich um einen Auffahrunfall oder ist Alkohol im Spiel, sollten bei Dir die Warnleuchten angehen und Du an den “Anscheinsbeweis” denken. Der Anscheinsbeweis führt dazu, dass das Gericht einen gewissen Lebenssachverhalt vermutet. Diese Vermutung wird aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Geschehensablauf angenommen. Diese Vermutung gilt es dann von demjenigen, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis geht, zu widerlegen.
Entscheidung des Gerichts
Die Berufung hatte teilweise Erfolg. Das OLG sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 52.500 Euro zu. Dabei wurde ein Mitverschuldensanteil der Geschädigten i.H.v. 25 % angenommen.
Das Gericht ist der Auffassung, der Beklagte habe gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen, denn er habe nicht gebremst, obwohl das erforderlich gewesen wäre, als die Klägerin die Fahrbahn betreten habe.
Der Beklagte habe nicht auf ein regelkonformes Vertrauen der Klägerin vertrauen dürfen, denn sie hat die Straße für ihn offensichtlich erkennbar betreten, entgegen ihrer Verpflichtung, den Fahrzeugverkehr zu beachten. Darüber hinaus hätte er sich schon aufgrund seiner Alkoholisierung nicht auf diesen Grundsatz berufen können.
Das Führen von Kraftfahrzeugen im fahruntüchtigen Zustand stelle einen erheblichen Sorgfaltspflichtverstoß dar. Der Beklagte habe die entscheidende Unfallursache gesetzt. Das Gericht ist der Auffassung, der Anscheinsbeweis spräche dafür, dass die Alkoholisierung ursächlich für den Unfall gewesen sei. Es bestehe hier kein Zweifel daran, dass ein nüchterner Fahrer die überquerenden Fußgänger gesehen und rechtzeitig gebremst hätte.
Ausblick
Der Fall ist thematisch ein Klassiker in Klausuren. Gerade für das Referendariat ist der Fall nicht unerheblich. Merke Dir die Worte des OLG Frankfurt: Ereignet sich ein Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können, spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Trunkenheit für den Unfall ursächlich war.
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