Relationstechnik

5) Relationstechnik

Die Bearbeitung eines Zivilrechtsfalls erfolgt unter Anwendung der Relationstechnik. Hierunter versteht man ein gestuftes Vorgehen, das vor allem zwischen Kläger- und Beklagtenvortrag trennt. Unabhängig davon, ob du deine Lösung auch so gliederst, musst die zumindest relationstechnisch denken.

- Tatsachenfeststellung

Anders als im ersten Examen steht im zweiten der Sachverhalt, den du rechtlichen bewerten sollst, in den allermeisten Fällen noch nicht fest, sondern muss zunächst festgestellt werden.

Diese Tatsachenfeststellung erfolgt aber nicht nur auf der Grundlage einer Beweisaufnahme. Das Gericht erhebt nämlich nur dann Beweis, wenn die entscheidungserheblichen Tatsachen streitig sind. Sind sie aber unstreitig, werden sie der Entscheidung ohne Weiteres zugrunde gelegt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Aus diesem Grund hast du bereits im Aktenauszug entsprechend unterschieden.

Die Tatsachenbehauptung einer Partei ist zunächst unstreitig, wenn sie der Gegner ausdrücklich einräumt, was auch im Zivilprozess als Geständnis bezeichnet wird (§ 288 ZPO). Ohne Geständnis ist eine Behauptung unstreitig, wenn sich dem Vortrag des Gegners nicht entnehmen lässt, dass er sie bestreiten möchte, oder wenn sein Bestreiten unzulässig ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Die Tatsachenfeststellung lässt sich von der rechtlichen Würdigung nicht trennen. Da es nur um die Feststellung entscheidungsrelevanter Tatsachen geht, musst du bspw. wissen, welchen Anspruch der Kläger verfolgt und welche Tatsachen feststehen müssen, um die begehrte Rechtsfolge herbeizuführen.

- Darlegungs- und Beweislast

Dabei gilt der Beibringungsgrundsatz, der besagt, dass jede Partei diejenigen Tatsachen vortragen und ggf. beweisen muss, die sie für ihren Prozesserfolg braucht.

Danach trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen, während der Beklagte alle Tatsachen vortragen und beweisen muss, aus denen sich rechtshindernde oder -vernichtende Einwendungen bzw. rechtshemmende Einreden ergeben sollen.

Von diesem Grundsatz gibt es zahlreiche examensrelevante Ausnahmen, die hier nur zusammengefasst werden sollen und ansonsten Gegenstand eigener Exkurse sind. Hinweise zur Darlegungs- und Beweislast findest du ansonsten auch bei der Kommentierung der jeweiligen Vorschrift im zugelassenen BGB-Kommentar.

  • Die Parteien können individuelle Vereinbarungen über die Darlegungs- und Beweislast treffen. In allgemeinen Geschäftsbedingungen ist das dagegen nicht zulässig (§ 309 Nr. 12 BGB).

  • Teilweise stellt das Gesetz Fiktionen auf, die nicht widerlegt werden können. So gilt nach § 108 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BGB bei einem Vertrag, den ein Minderjähriger ohne die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter geschlossen hat, deren Genehmigung als verweigert, wenn sie nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Empfang der entsprechenden Aufforderung des Vertragspartners erklärt wurde. Eine vergleichbare Fiktion gilt für die Genehmigung eines Vertrages, den ein Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossen hat (§ 177 Abs. 2 Satz 2 BGB).

  • In anderen gesetzlichen Vorschriften finden sich Vermutungen für das Vorliegen einer Tatsache, die jedoch vom Gegner widerlegt werden können (§ 292 ZPO). Ein wichtiges Beispiel hierfür ist § 477 BGB. Danach wird beim Verbrauchsgüterkauf die Mangelhaftigkeit der Sache beim Gefahrübergang vermutet, wenn sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang eine Mangelerscheinung gezeigt hat. Der Kläger muss zwar die Voraussetzungen dieser Vermutung darlegen und ggf. beweisen, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat, wird dann jedoch zulasten des Beklagten vermutet.

  • Vergleichbar mit Vermutungen finden sich im Gesetz auch Beweislastregeln. So besteht ein Schadensersatzanspruch neben der Leistung nach § 280 Abs. 1 BGB, wenn der Schuldner eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt hat dadurch dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist. Diese Voraussetzungen muss der Gläubiger darlegen und beweisen. Das gilt aber nicht mehr für das erforderliche Verschulden des Schuldners. Auch wenn es insoweit an einer ausdrücklichen Vermutung fehlt, folgt das aus der Formulierung von Satz 2: „Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.“ Das Gesetz geht also davon aus, dass ein Verschulden vorliegt und überlässt es dem Schuldner, sich zu exkulpieren.

  • Eine wichtige Rolle – vor allem bei Unfällen im Straßenverkehr – spielt der Anscheinsbeweis. Hier wird aus einem eingetretenen Ereignis auf die dafür verantwortliche Ursache geschlossen, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Es ist dann die Aufgabe des Anspruchsgegners, darzulegen und zu beweisen, dass der Geschehensablauf tatsächlich Besonderheiten aufweist, die diesen Rückschluss nicht zulassen.

  • Unter den Anscheinsbeweis im weiteren Sinne fallen sog. tatsächliche Vermutungen, wie bspw. die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens zugunsten der Mandanten von Rechtsanwälten und Steuerberatern bzw. Kapitalanlegern gegenüber einer Bank oder einem Vermittler.

  • Schließlich kann sich eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast auch daraus ergeben, dass der Gegner der beweisbelasteten Partei die Beweisführung vereitelt hat.

- Grundstruktur der Relation

Wie bereits erwähnt, besteht das Wesen der Relation in der Trennung zwischen dem Vortrag des Klägers und dem des Beklagten. Zumindest gedanklich musst du diese Unterscheidung stets treffen. Man spricht hier von der Kläger- und der Beklagtenstation. Gibt es streitiges erhebliches Vorbringen, wird das Ergebnis der Beweisaufnahme in der Beweisstation ermittelt.

Die strikte Trennung in diese einzelnen Stationen ist in einer Urteilsklausur aber nicht erforderlich. Hier empfiehlt sich vielmehr der folgende Aufbau:

Ausgehend von der Anspruchsgrundlage, ermittelst du die Anspruchsvoraussetzungen und prüfst zunächst, ob der darlegungspflichtige Kläger zu allen Voraussetzungen Tatsachen vorgetragen hat. Dabei verwertest du sämtlichen Klägervortrag aus der Akte, also nicht nur den aus der Klageschrift.

  • Fehlt danach erforderlicher Tatsachenvortrag, wird die Klage abgewiesen, ohne dass es auf die Erwiderung des Beklagten ankommt. In der Klausur wäre es also sinnlos, wenn du dich mit dem Beklagtenvortrag beschäftigst, und würde dich wertvolle Zeit kosten.

Soweit häufig eine „einstufige Relation“ vorgeschlagen wird, bei dem an jedem Tatbestandsmerkmal sogleich die Erwiderung des Beklagten geprüft werden soll, kann das nur für Anwaltsklausuren und für Relationen im Rahmen einer Gerichtsstation gelten, wenn die Sache noch nicht terminiert wurde.

Beachte: In der Praxis müsste das Gericht den Kläger auf die Unbegründetheit hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das ist in einer Klausur natürlich nicht angezeigt. Deshalb findest du in den Bearbeitervermerken regelmäßig den Hinweis, dass das Gericht alle erforderlichen Hinweise erteilt habe, ohne dass die betroffene Partei darauf reagiert habe.

  • Hat der Kläger zu allen Anspruchsvoraussetzungen Tatsachen vorgetragen, ist seine Klage schlüssig, das heißt zur Verurteilung des Beklagten geeignet. Erst jetzt kommt es darauf an, wie der Beklagte darauf reagiert hat. Du prüfst deshalb für jede Voraussetzung einzeln anhand des gesamten Beklagtenvortrags in der Akte, ob der Beklagte die konkrete Behauptung des Klägers bestreitet oder nicht. Bleiben alle Anspruchsvoraussetzungen unstreitig oder können sie zumindest so behandelt werden, findet keine Beweisaufnahme statt.

Hier prüfst du nun, ob der Beklagte die Voraussetzungen von Einwendungen oder Einreden schlüssig vorgetragen hat. Dabei musst du beachten, dass der Beklagte Einwendungen nicht ausdrücklich erheben muss. Gegebenenfalls prüfst du, wie sich der Kläger zu diesen Tatsachenbehauptungen verhält.

Kommst du zum Ergebnis, dass der Beklagte keine erheblichen Verteidigungsmittel vorgetragen hat, wird er ohne Beweisaufnahme verurteilt. In Bezug auf die Hinweispflicht gilt dabei das zum Klägervorbringen Gesagte.

  • Auch wenn die Anspruchsvoraussetzungen streitig sind, prüfst du zunächst die Einwendungen und Einreden. Das Gericht darf keinen Beweis erheben, wenn der Anspruch ohnehin erloschen oder nicht durchsetzbar wäre.

Nur dann, wenn es auf die streitigen Tatsachenbehauptungen für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt, musst du für jede einzelne das Ergebnis einer Beweisaufnahme in der Klausur-Akte prüfen.

Allerdings kannst du dann, wenn in der Klausur-Akte eine Beweisaufnahme enthalten ist, davon ausgehen, dass diese nicht fälschlich durchgeführt wurde. Hier musst du ggf. deine Lösung noch einmal überprüfen.