BVerwG zum bayerischen Kreuzerlass

BVerwG zum bayerischen Kreuzerlass

Gehört das Kreuz zu Bayern wie die Weißwurst und der Rekordfußballmeister?

Der Kreuzerlass aus dem Jahr 2018 war eines der ersten medienwirksamen Projekte, die Markus Söder zu Beginn seiner Amtszeit umsetzte. Bereits kurz danach entbrannte die Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung, die nun in der Entscheidung des BVerwG ihren (vorläufigen) Schlusspunkt fand.

Sachverhalt

Der Bayerische Ministerrat beschloss im April 2018 eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO). Diese wurde als Verwaltungsvorschrift wirksam bekanntgemacht und trat am 01.06.2018 mit folgendem Wortlaut in Kraft:

§ 28 AGO

Anbringen von Kreuzen in Dienstgebäuden

Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.

An diesem sog. Kreuzerlass der Bayerischen Staatsregierung störten sich mehrere Weltanschauungsgemeinschaften, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgestaltet sind. Die Körperschaften sind der Ansicht, der Kreuzerlass verletze sie in ihrer negativen Glaubens- und Gewissensfreiheit, da Kreuze als Zeichen und Symbol der Kirche einzustufen seien. Wegen des demonstrativen Charakters des § 28 AGO, der sich darin zeige, dass die Kreuze sichtbar aufzuhängen sind, könnten sie einer Konfrontation mit den Kreuzen im Eingangsbereich der Dienstgebäude nicht aus dem Weg gehen. Ferner verstoße der Freistaat Bayern gegen das Neutralitätsgebot, weil er das Christentum gegenüber anderen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bevorzuge.

Daher beantragten sie 2018 zunächst bei der Bayerischen Staatskanzlei, die im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze zu entfernen. Dem kam die Bayerische Staatskanzlei nicht nach.

Der Freistaat ist vielmehr der Ansicht, die Umsetzung des § 28 AGO in Form der im Eingangsbereich aufgehängten Kreuze könne nur angegriffen werden, wenn Personen mit diesen konfrontiert würden. Hier fehle es jedoch bereits an einem Eingriff in die negative Religionsfreiheit:

Zum einen erhasche der Betrachter beim Betreten des Gebäudes lediglich einen flüchtigen Blick auf das Kreuz, sodass der Kontakt mit diesem lediglich punktueller und zeitlich klar begrenzter Natur sei. Dies genüge nicht, um eine erforderliche, die Religionsfreiheit „beeinträchtigende Zwangssituation“ zu erschaffen. Es bedürfte nämlich hierzu einer Konstellation, „bei der Andersdenkende ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens und den Symbolen, in denen er sich darstelle,“ ausgesetzt seien.

Zum anderen handele es sich bei dem Kreuz nicht um ein Zeichen eines konkreten Glaubensinhaltes. Im Gegenteil, die staatliche Identifikation mit einem solchen Glaubensinhalt „sei nicht beabsichtigt und werde durch die angegriffene Regelung auch nicht zum Ausdruck gebracht.“ Die Kreuze sollten vielmehr ein Bekenntnis zur christlich-abendländischen Prägung darstellen.

Schließlich wandten sich die Weltanschauungsgemeinschaften und verschiedene Einzelpersonen klageweise gegen den Kreuzerlass. Sie beantragten unter anderem die Entfernung der angebrachten Kreuze, blieben damit aber vor dem VG München erfolglos.

Entscheidungen des BayVGH

Im Rahmen der Berufung setzte sich das Gericht zunächst ausführlich mit der Klagebefugnis der Weltanschauungsgemeinschaften auseinander. Hier stellte es im Unterschied zu natürlichen Personen klar, dass es für juristische Personen in Bezug auf die negative Glaubensfreiheit nicht auf eine zusätzliche „unausweichliche Konfrontation“ mit einem Glaubenssymbol ankäme.

In der Begründetheit folgte der BayVGH zunächst der Argumentation der Kläger, indem er den Kreuzerlass als einen Verstoß gegen die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität nach Art. 4 I GG, Art. 3 III 1 GG, Art. 33 III GG sowie Art. 136 I, IV WRV und Art. 137 I WRV i.V.m. Art 140 GG einstufte. Der Staat dürfe sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren. Eine solche Identifikation fände dadurch statt, da das Kreuz als Symbol der christlich-religiösen Überzeugung einzustufen sei. Aus dem § 28 AGO folge so eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des Christentums. Das Symbol könne als zentrales Zeichen des Christentums nicht seiner religiösen Bedeutung entkleidet werden. Ferner käme es auch nicht auf die subjektive Zielrichtung des Beklagten an, die Kreuze als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns aufhängen zu lassen. Das Kreuz ließe sich nicht zum bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug profanieren, da dem Freistaat diesbezüglich keine Deutungshoheit zukäme.

Allerdings stellte das Gericht auch heraus, dass sich aus dem konkreten Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht als objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip keine Verletzung von einklagbaren subjektiven Rechten der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften ergebe. „Subjektiven Schutz gegen eine staatliche Maßnahme, die gegen die Neutralitätspflicht verstößt, können Weltanschauungsgemeinschaften wie die Kläger erst dann beanspruchen, wenn nicht bloß eine Berührung des Schutzbereichs, sondern ein nicht gerechtfertigter, benachteiligender Eingriff in die Grundrechte vorliegt, aus denen das Verfassungsprinzip hergeleitet wird, nämlich aus Art. 4 I GG und Art. 3 III 1 GG.“

Bei der folgenden Inzidentprüfung sah das Gericht zwar den persönlichen und sachlichen Schutzbereich der Art. 4 I GG und Art. 3 III 1 GG als eröffnet an, jedoch käme den aufgehängten Kreuzen keine missionierende oder indoktrinierende Wirkung zu. Aus ihnen erwachse kein messbarer Werbeeffekt für die christliche Kirche, zumal das Kreuz kein Symbol einer bestimmten Religionsgemeinschaft sei, sondern vom Christentum im Allgemeinen verwendet werde. Aufgrund der Flüchtigkeit des Kontakts mit den Symbolen in den als Durchgangsbereich dienenden Räumlichkeiten werde der Einzelne durch den Staat auch nicht in eine Lage versetzt, in der er einem Glaubenssymbol ohne jegliche Ausweichmöglichkeit in grundrechtswidriger Weise spürbar ausgesetzt werde.

Entscheidung des BVerwG

Da die Kläger vor dem BayVGH keinen Erfolg hatten, richteten sich die Weltanschauungsgemeinschaften hiergegen mit der Revision.

In Bezug auf die Aufhängung der Kreuze stufte das BVerfG die Klage allerdings ebenfalls als unbegründet ein. Es betonte in Bezug auf den Freiheitsgewährungsanspruch aus Art. 4 I und II GG, dass die Kläger als kollektive Grundrechtsträger bereits keinen Schutz vor Konfrontation mit den im Eingangsbereich angebrachten Kreuzen hätten.

Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots wegen des Glaubens gem. Art. 3 III 1 GG i.V.m. dem Neutralitätsgrundsatz verneinte das BVerwG ebenfalls: Weil eine Bevorzugung christlicher Glaubensgemeinschaften in tatsächlicher Hinsicht durch den BayVGH festgestellt worden sei und das BVerwG als Revisionsgericht an diese Feststellung gebunden sei, müsse ein werbender Effekt der aufgehängten Kreuze verneint werden.

Dem Freistaat sei ein vollständiger Verzicht auf religiöse Bezüge gerade nicht abzuverlangen, weil keine strenge Laizität, sondern nur eine entsprechende Offenheit gegenüber den verschiedenen weltanschaulich-religiösen Überzeugungen von ihm gefordert werden könne. Bei dieser Gelegenheit nahm der Senat Bezug auf den Wortlaut des § 28 AGO und argumentierte, dass das Kreuz hiernach als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns zu verstehen sein solle, wodurch die Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen nicht beeinträchtigt werde.

Ausblick

Ob sich eine der Weltanschauungsgemeinschaften, so wie für den jetzt eingetretenen Fall des Unterliegens angekündigt, mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG wenden wird und es so zu einer Neuauflage der Kruzifix-Entscheidung aus dem Jahr 1995 (Az. 1 BvR 1087/91) kommen kann, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt bietet das Geschehen allerdings hinreichenden Anlass, die Handlungsformen der Verwaltung inklusive der Problematik um die Außenwirkung der Verwaltungsvorschrift zu wiederholen. Auch bleibt festzuhalten, dass der Art. 4 I, II GG immer wieder gern gesehener Prüfungsgegenstand ist. Egal, ob es um das Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen oder um Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden geht: Unabhängig von der Sachverhaltseinkleidung besteht kein Grund zur Panik, wenn die Grundlagen zur Glaubensfreiheit sitzen.

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