BGH zum Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung

BGH zum Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung

Zum fehlgeschlagenen Versuch und freiwilligen Rücktritt

Der Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung gem. § 24 StGB gehört einerseits zum Standardproblem einer Klausur, bei der es auch um Versuch und Rücktritt geht, wird andererseits aber häufig übersehen, insbesondere in den Fällen, in denen der Versuch unbeendet geblieben ist. Damit Dir das in Deiner Klausur nicht passiert, wollen wir uns die nachfolgende BGH-Entscheidung ansehen.

A. Sachverhalt

Der Angeklagte A verstaute im Supermarkt des S verschiedene Waren in seinen Rucksack und versuchte den Supermarkt zu verlassen. Im Kassenbereich wurde er vom Ladendetektiv L, der den Vorgang beobachtet hatte, angesprochen. Um sich einer Festnahme zu entziehen und zugleich die Beute zu sichern, zückte A ein Messer und griff L mit einer schwungvoll in Richtung des Oberkörpers des L zielenden Bewegung an, wobei er mit der Möglichkeit rechnete, diesen zu verletzten, was er billigend in Kauf nahm. Zu einer Verletzung des L kam es nicht, weil dieser zurückwich und dann auf Abstand zu A blieb. Dies ermöglichte A schließlich die Flucht.

Das Landgericht verurteilte A wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls gem. §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB in Tateinheit gem. § 52 StGB mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, 22, 23 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten.

B. Entscheidung

Der BGH (Beschl. v. 16.05.2023 – 3 StR 137/23) befasste sich ausschließlich mit der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223, 224 I Nr. 2, 22, 23 StGB. Wir wollen dementsprechend mit dieser möglichen Strafbarkeit des A beginnen und uns am Ende der Vollständigkeit halber dann auch die anderen verwirklichten Straftatbestände ansehen.

I. Versuchte gefährliche Körperverletzung gem. § 223, 224 I Nr. 2, 22, 23 StGB

1. Vorprüfung

Zu einer Verletzung des Körpers des L ist es nicht gekommen. Insoweit fehlt es an der Vollendung des Grundtatbestandes. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus § 224 II StGB.

2. Tatentschluss

Der Tatentschluss des A müsste auf eine körperliche Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung gerichtet sein. A rechnete damit, L mit der schwungvoll ausgeführten Bewegung mit dem Messer zu verletzen und nahm diese Möglichkeit auch billigend in Kauf. Eine dadurch herbeigeführte Stichwunde hätte sowohl einen pathologischen Zustand und damit eine Gesundheitsschädigung als auch eine üble und unangemessene Behandlung und damit eine körperliche Misshandlung dargestellt. Der Tatentschluss war damit auf die Verwirklichung des Grundtatbestandes gemäß § 223 StGB gerichtet.

Ob das Messer eine Waffe nach dem Waffengesetz und damit auch eine Waffe gemäß § 224 II Nr. 2 StGB darstellt, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Jedenfalls ist das Messer aber ein körperlicher Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung im Einzelfall geeignet ist, eine erhebliche Körperverletzung herbeizuführen. Das Messer ist damit ein gefährliches Werkzeug. Da der Tatentschluss des A darauf gerichtet war, L mit diesem Messer zu verletzen, umfasste er auch die Voraussetzungen des § 224 I Nr. 2.

3. Unmittelbares Ansetzen

Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht´s los“ überschreitet, nach seiner Vorstellung das Rechtsgut bereits konkret gefährdet ist und keine wesentlichen Zwischenschritte zur Vollendung mehr erforderlich sind. Vorliegend hat A die Tathandlung ausgeführt und damit unmittelbar zur versuchten gefährlichen Körperverletzung angesetzt.

4. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

5. Rücktritt

A könnte strafbefreiend vom Versuch gem. § 24 I StGB zurückgetreten sein. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass es sich nicht um einen fehlgeschlagenen und damit nicht mehr rücktrittsfähigen Versuch handelt. Dazu führt der BGH (Beschl. v. 16.05.2023 – 3 StR 137/23) folgendes aus:

„Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt werden muss, und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält…“

L war zwar auf Distanz zu A gegangen, hatte sich jedoch nicht von diesem entfernt, sodass es A ohne Probleme möglich gewesen wäre, durch einen weiteren Stich L zu verletzen. Es darf auch davon ausgegangen werden, das A dies erkannte. Der Versuch war damit nicht fehlgeschlagen.

Die weiteren Anforderungen an einen strafbefreienden Rücktritt richten sich nunmehr danach, ob es sich zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung um einen unbeendeten oder beendeten Versuch handelte. Auch diese Unterscheidung wird anhand des subjektiven Vorstellungsbilds des Täters getroffen: glaubt der Täter noch nicht alles Erforderliche zur Vollendung getan zu haben, dann handelt es sich um einen unbeendeten Versuch, glaubt er hingegen, die Vollendung werde alsbald eintreten, liegt ein beendeter Versuch vor. Hier hatte A den L noch nicht einmal verletzt, sodass A davon ausgegangen sein wird, er habe noch nicht alles Erforderliche zur Vollendung unternommen. Es liegt ein unbeendeter Versuch vor.

Von diesem Versuch könnte A durch das freiwillige Aufgeben der weiteren Tatausführung strafbefreiend zurückgetreten sein. A hat keine weiteren Tathandlungen ausgeführt. Dies geschah auch aus autonomen Motiven heraus. Gleichwohl könnte dem freiwilligen Rücktritt entgegenstehen, dass A seine außertatbestandlichen Ziele bereits erreicht hatte und eine Vollendung der Tat für ihn nicht nur keinen Sinn mehr machte, sondern sein außertatbestandliches Ziel ggfs. sogar vereitelt hätte. A zielte mit dem Messer in Richtung des Oberkörpers des L, um diesen von einer Festnahme abzuhalten und um seine Flucht zu ermöglichen. Beides gelang ihm, nachdem L auf Distanz zu ihm gegangen war. Hätte er weiterhin versucht, L anzugreifen, wäre es eventuell zu einem Handgemenge mit L und einem Einschreiten Dritter gekommen, was die Beutesicherung und die Flucht vereitelt hätte.

Der BGH (Beschl. v. 16.05.2023 – 3 StR 137/23) knüpft an seine bisherige Rechtsprechung an und führt zu dem Problem der außertatbestandlichen Zielerreichung folgendes kurz und knapp aus:

„Der rechtlichen Beurteilung als freiwilliger Rücktritt vom Versuch widerspricht es schließlich nicht, dass der Angeklagte mit dem Angriff auf den Ladendetektiv den beabsichtigten Zweck, die Flucht mit der Beute, erreichte. Die „außertatbestandliche Zielerreichung“ und die damit verbundene, vom Täter erkannte Nutzlosigkeit der Tatfortsetzung führt weder zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs noch wird dadurch die Freiwilligkeit eines Rücktritts ausgeschlossen.“

Dieser Rechtsauffassung liegt zum einen der Gedanke des Opferschutzes zugrunde. Zum anderen wird dieses Ergebnis mit dem Wortlaut und der Systematik begründet. Gem. § 24 StGB muss der Täter nur die weitere Ausführung der Tat aufgeben. Dementsprechend muss sich sein Vorstellungsbild beim Rücktritt ebenso wie beim Tatentschluss auch nur auf diese Tat, also die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Norm beziehen. Außertatbestandliche Motive und Ziele bleiben sowohl beim Tatentschluss als auch beim Rücktritt damit außen vor.

Die Gegenauffassung, die einen Rücktritt bei außertatbestandlicher Zielerreichung verneint, verweist darauf, dass der Täter in diesen Fällen einen neuen Tatentschluss fassen müsste, um Vollendung zu bewirken. Insofern könne von einem freiwilligen Aufgeben des Tatentschlusses keine Rede sein.

Nach Auffassung des BGH liegt damit ein strafbefreiender Rücktritt vor, weswegen sich A nicht gem. §§ 223, 224 I Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat.

Schauen wir uns nun zum Schluss noch die anderen Straftatbestände an, die A verwirklicht hat und die von Dir in einer Klausur ausführlich zu prüfen wären.

II. Strafbarkeit gem. §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB

A könnte sich wegen besonders schwerem räuberischen Diebstahl gem. §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er eine Bewegung mit dem Messer in Richtung des L ausführte.

1. Objektiver Tatbestand des § 252 StGB

Dann müsste A zunächst bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen sein.

Durch das Einstecken der Waren in seinen Rucksack hat A fremde bewegliche Sachen weggenommen. Er hat den bisherigen, an diesen Sachen bestehenden Gewahrsam des S aufgehoben und neuen eigenen Gewahrsam begründet, indem er die Waren in seinen Rucksack und damit in seine Gewahrsamsenklave verbrachte. Dies geschah auch gegen den Willen des S. Ferner wollte er S als bisherigen Eigentümer aus seiner Position dauerhaft verdrängen und sich dessen Position zumindest vorübergehend aneignen. Da er keinen fälligen und einredefreien Anspruch besaß, kann auch die rechtswidrige Zueignungsabsicht bejaht werden. Er hat damit einen Diebstahl gem. § 242 I StGB begangen. Er wurde von L noch innerhalb der Gewahrsamssphäre des S angesprochen und damit unmittelbar in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang. A war somit auf frischer Tat betroffen.

Durch das Ausführen der zustechenden Bewegung hat A Kraft aufgewendet, um einen zu erwartenden Widerstand des L zu beseitigen. A hat damit Gewalt ausgeübt.

Der objektive Tatbestand des § 252 StGB ist damit verwirklicht.

2. Objektiver Tatbestand des § 250 II Nr. 1 StGB

Das Messer stellt jedenfalls ein gefährliches Werkzeug dar, welches A auch verwendet hat. Insofern liegen auch die Voraussetzungen des § 250 II Nr. 1 StGB vor.

3. Subjektiver Tatbestand

A handelte mit Wissen und Wollen bzgl. der Verwirklichung der objektiven Voraussetzungen der §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB und damit vorsätzlich.

Er handelte darüber hinausgehend in der Absicht, sich im Besitz der zuvor gestohlenen Beute zu erhalten. Auch die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes sind damit erfüllt.

4. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

A hat sich somit auch gem. §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

III. Strafbarkeit gem. §§ 242, 244 I Nr. 1a StGB

In einer Klausur hättest Du chronologisch geprüft und Dich zunächst mit einer Strafbarkeit gem. §§ 242, 244 I Nr. 1a StGB befasst. Der Diebstahl tritt jedoch in Gesetzeskonkurrenz hinter dem räuberischen Diebstahl zurück, weswegen er für die Verurteilung des A keine Rolle spielte.

C. Prüfungsrelevanz

Nutze die vorliegende Entscheidung, um Dein Problembewusstsein für die „außertatbestandliche Zielerreichung“ zu schärfen. Das klausurrelevante Problem kannst Du entweder bereits bei der Thematik „fehlgeschlagener Versuch“ oder aber beim Prüfungspunkt „Freiwilligkeit des Rücktritts“ ansprechen. Neben den Dir sicherlich bekannten „Denkzettel-Fällen“ werden hier alle Sachverhalte relevant, bei denen der Täter über die Vollendung des Delikts hinausgehende, weitere Ziele und Motive verfolgt. Die größere Herausforderung in einer Klausur ist mithin das Erkennen der Problematik, die kleinere Herausforderung ist alsdann das Darstellen des Streitstandes.