Macht man sich schadensersatzpflichtig, wenn man jemanden zu Unrecht anzeigt?
Das AG Brandenburg hat über einen Fall entschieden, der sich fast wie der Beginn eines Krimis liest. Der B wird von Unbekannten zusammengeschlagen und erstattet Anzeige gegen den K, mit dem er schon lange im Streit lag. Hat er sich dadurch gegenüber dem K schadensersatzpflichtig gemacht?
A. Leicht abgewandelter Sachverhalt
B wird von einer maskierten Gruppe zusammengeschlagen, erstattet Anzeige und äußert gegenüber der Polizei, dass K zwar nicht vor Ort gewesen sei, aber wahrscheinlich hinter der Sache stecke. Auf Nachfrage des Polizisten äußert er ausdrücklich, dass es sich um eine Vermutung handele. Weiter erörtert er wahrheitsgemäß, Beweise habe er keine, aber aufgrund der gemeinsamen Vorgeschichte mit zahlreichen Streits sei er sich trotzdem sicher, dass K es war.
K erhielt hierauf von der Polizei eine Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung auf die Polizeidienststelle. K nimmt sich einen Anwalt. Dieser beantragt erfolgreich Akteneinsicht. Nach dahin gehendem Antrag des Anwalts wird das Verfahren gegen K nach § 170 II StPO eingestellt. Tatsächlich war K an der Tat nicht beteiligt. Dem K sind Anwaltskosten in Höhe von 729,57 EUR entstanden. K geht davon aus, dass B ihn durch die Anzeige falsch verdächtigt und vorsätzlich habe schädigen wollen. Er möchte die Anwaltskosten daher von B ersetzt bekommen. Zu recht?
B. Entscheidung
I. Anspruch aus § 823 I BGB
Ein Anspruch nach § 823 I BGB ist mangels Rechtsgutsverletzung nicht einschlägig. Das Vermögen ist als solches nicht von § 823 I BGB erfasst.
II. Anspruch aus § 823 II BGB
K könnte gegen B einen Anspruch aus § 823 II BGB haben. Voraussetzung ist, dass ein Verstoß gegen ein Schutzgesetz, das auch den Schutz des K bezweckt, vorliegt.
1. Verstoß gegen ein auch den Schutz des K bezweckendes Gesetz
a) Auch den Schutz des K bezweckendes Gesetz
Ein Schutzgesetz in diesem Sinne ist eine Rechtsnorm, die zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Als Schutzgesetz kommt § 164 StGB in Betracht der falsche Verdächtigung unter Strafe stellt. Bei § 164 StGB handelt es sich um ein Schutzgesetz, da § 164 StGB Dritte vor falschen Verdächtigungen schützen soll. § 164 StGB bezweckt dabei auch den Schutz des K als potenziell von falscher Verdächtigung Betroffenem.
b) Verletzung des Gesetzes
Voraussetzung für einen Anspruch des K ist weiter, dass B das Schutzgesetz des § 164 StGB verletzte.
Die Strafvorschrift des § 164 StGB setzt (…) voraus, dass der Täter einem anderen – objektiv unwahr und wider besseres Wissen – eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) zur Last legt (§ 164 Abs. 1 StGB) oder sonstige Behauptungen tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet sind, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigten herbeizuführen oder fortdauern zu lassen (§ 164 Abs. 2 StGB). Für behördliche Verfahren und andere behördliche Maßnahmen genügen keine Vermutungen, Werturteile oder Schlussfolgerungen. Nur „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ können ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (§ 152 Abs. 2 StPO) auslösen (…).
aa) Objektiver Tatbestand
Den objektiven Tatbestand des § 164 I StGB erfüllt somit, wer einen anderen bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger einer rechtswidrigen Tat verdächtigt.
(1) Zuständiger Amtsträger
Indem sich B gegenüber einem Polizeibeamten über K äußerte, äußerte er sich gegenüber einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger, vgl. § 158 I 1 StPO, über einen anderen Menschen.
(2) Falsche Verdächtigung
Eine Verdächtigung im Sinne von § 164 StGB liegt aber grundsätzlich erst dann vor, wenn das gesamte tatsächliche Vorbringen des Täters nicht nur nach seiner persönlichen Auffassung, sondern nach objektiv-richtiger Würdigung einen Verdacht hervorruft oder verstärkt. Die auf Tatsachen gestützte Verdächtigung muss dem Denunzierten ein bestimmtes, durch individuelle Merkmale konkretisiertes Verhalten zur Last legen, das bei entsprechender Subsumtion den Verdacht einer Straftat begründen kann (…).
Wertende Behauptungen erfüllen diese Voraussetzung zudem nur, wenn sie in erkennbarer Weise zu „greifbaren, des Beweises fähigen Tatsachen“ in Beziehung gesetzt werden (…).
Eine Verdächtigung im Sinne des § 164 I StGB setzt somit das
Behaupten (oder Sprechenlassen) von – die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen herbeizuführen geeigneten – Tatsachen voraus.
B hatte den K jedoch nicht direkt gegenüber der Polizei angezeigt,
sondern nur „die Vermutung“ geäußert, dass der K an der Tat ggf. irgendwie beteiligt sein könnte.
B hat damit,
indem er den K als Verdächtigen benannte, ersichtlich lediglich eine von ihm gezogene Schlussfolgerung aufgrund der vorherigen Meinungsverschiedenheiten und rechtlichen Auseinandersetzungen der Prozessparteien geäußert. Die Tatsache, aus der B diese Schlussfolgerung gezogen hat – die vorherigen Meinungsverschiedenheiten und rechtlichen Auseinandersetzungen der Prozessparteien – hat er aber wahrheitsgemäß mitgeteilt und insoweit gerade keine wider besseren Wissens erhobene Behauptung aufgestellt.
Somit liegt schon der objektive Tatbestand des § 164 StGB nicht vor.
bb) Subjektiver Tatbestand
Die Verdächtigung müsste außerdem wider besseres Wissen erfolgt sein und B müsste mit der Absicht gehandelt haben, gegen den K ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen herbeizuführen.
In subjektiver Hinsicht muss der Täter insoweit wider besseres Wissen handeln, das heißt, er muss im Zeitpunkt der Verdächtigung bereits bestimmte Kenntnis von der Unwahrheit des Angezeigten haben. Bedingter Vorsatz genügt insoweit – anders als für die übrigen Tatbestandsmerkmale – jedoch nicht (…).
(…)
Einfache Fahrlässigkeit genügt danach (…) nicht, um den B als Anzeiger mit den Kosten des von ihm veranlassten strafrechtlichen Verfahrens zu belasten. Die erhobenen Vorwürfe gegen den K wurden nämlich in einem mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten Verfahren überprüft, dem sich jeder betroffene Staatsbürger bei Vorliegen des Verdachts einer Straftat stellen muss.
„Wider besseres Wissen“ im Sinne von § 164 StGB bedeutet nämlich, dass der B sicher wusste, dass sein geäußerter Verdacht tatsächlicher Art unwahr ist; fahrlässiges oder bedingt vorsätzliches Handeln genügt also noch nicht, da fahrlässige Delikte nur strafbar sind, soweit dies gesondert bestimmt ist. Aus diesem Grunde muss bei falscher Verdächtigung gemäß § 164 StGB eine vorsätzliche (gemeint ist wohl Absicht oder direkter Vorsatz – also dolus directus ersten oder zweiten Grades –, nicht aber Eventualvorsatz) Begehungsform vorgetragen werden.
(…)
Der B hat (…) nicht gewusst und auch gegenüber der Polizei nicht konkret angegeben, welche Personen ihn (…) verprügelt haben. Vielmehr äußerte er gegenüber der Polizei sogar, dass der K nicht mit dabei gewesen sei, er aber den Verdacht habe, dass der K ggf. etwas damit zu tun haben könnte. Im vorliegenden Fall ergeben sich somit aus dem Sachvortrag der Parteien unter Hinzuziehung der Unterlagen der Ermittlungsakte gerade nicht ausreichende Anhaltspunkt dafür, dass der B hier wider besseren Wissens bei der Zeugenvernehmung gegen den K gehandelt hat.
cc) Zwischenergebnis
Ein Verstoß gegen § 164 StGB liegt nicht vor, da B den Tatbestand des § 164 StGB nicht erfüllte.
c) Zwischenergebnis
Damit liegt kein Verstoß des B gegen ein Schutzgesetz vor.
2. Ergebnis
Ein Anspruch des K gegen B aus § 823 II BGB scheidet mangels Verstoß des B gegen ein Schutzgesetz aus.
III. Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB
Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB scheitert am fehlenden Vorsatz des B.
IV. Gesamtergebnis
K hat somit aufgrund der Anzeige keinen Anspruch gegen B.
C. Prüfungsrelevanz
Der Schwerpunkt einer zivilrechtlichen Klausur wird zwar im Normalfall nicht im Strafrecht liegen, ein kleiner Ausflug in andere Rechtsgebiete ist aber spätestens im Examen gut möglich. Daher lohnt es sich von Anfang an vernetzt zu denken und auch Querverbindungen herzustellen.
(AG Brandenburg Urt. v. 8.1.2024 – 30 C 138/23)
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