AG Berlin-Mitte zum Social Media Auftritt eines Ministers

AG Berlin-Mitte zum Social Media Auftritt eines Ministers

Social Media als virtuelle öffentliche Einrichtung

Jemanden von Angesicht zu Angesicht zu kritisieren, das verlangt Mut. Mut, den man heutzutage wohl seltener fasst, weil es einfachere Möglichkeiten gibt, um seine Unzufriedenheit kundzutun. Da beinahe jeder auf Social Media präsent ist, findet eine mehr oder weniger sachliche Auseinandersetzung mittlerweile vorwiegend auf den einschlägigen Plattformen im Internet statt. Wenn man sein Wort an eine Person des öffentlichen Lebens richtet, die in der analogen Welt schier unerreichbar ist, ist das natürlich absolut praktisch. Auch vor dem Hintergrund, dass man einen anderen mit ein paar einfachen Klicks „blockieren“ kann, um unliebsame Kommentare zu verhindern, ist eine Auseinandersetzung im Internet vermeintlich leicht. Mit der Frage, ob auch der Bundesgesundheitsminister auf der Plattform X (vormals Twitter) andere Nutzer vom Zugang zu seinem Account durch die „Blockierfunktion“ ausschließen darf, hatte sich jüngst das AG Berlin-Mitte auseinanderzusetzen.

Sachverhalt

Der deutsche Bundesgesundheitsminister betreibt auf X einen Social Media Account, in deren Biografie er diesen mit „SPD Bundestagsabgeordneter, Bundesgesundheitsminister, der hier selbst und privat tweetet“ beschreibt. Der Politiker verfasst regelmäßig Beiträge zu diversen Themengebieten, die von wissenschaftlichen Beiträgen über Treffen mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bis hin zu parteipolitischen Positionierungen reichen. Immer wieder teilt er auch Beiträge des offiziellen Accounts des Bundesministeriums der Gesundheit, das wiederum auch regelmäßig die Beiträge des Politikers teilt.

Ein in der Schweiz akkreditierter Journalist kommentierte die Beiträge des Ministers im Zusammenhang mit staatlichen Corona-Maßnahmen in 2022 wiederholt. Daraufhin wurde er von den Inhalten des Accounts durch Blockieren ausgeschlossen, sodass er Beiträge des Politikers nun weder lesen noch teilen oder kommentieren konnte. Der Journalist mahnte zunächst das Bundesministerium für Gesundheit ab, das auf die rein private Natur des Accounts verwies. Schließlich wandte er sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Blockade und begehrte den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm den Zugang zu dem Account zu ermöglichen. Der Antragsteller ist nämlich der Auffassung, der Politiker betreibe den Social Media Auftritt nicht als Privatmann, sondern in seiner Funktion als Bundesminister, sodass er als Teil der Exekutiven durch die Blockade die Grundrechte des Antragstellers in Form der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und des Rechts auf gleiche Teilhabe an öffentlichen Einrichtungen und Leistungen verletze.

Beschluss des AG Berlin-Mitte

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt.

Nachdem zunächst die Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten unter Verweis auf eine rechtskräftige Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 30.08.2023 – 6 L 45/23) festgestellt wurde, widmete sich das Gericht den materiellen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zugang zum Account des Antragsgegners bzw. der Unterlassung der fortwährenden Blockade des Accounts des Antragstellers.

Ein solcher ergäbe sich nach Ansicht des Gerichts vorliegend nicht unter dem Gesichtspunkt eines diskriminierungsfreien Zugangs zu sog. öffentlichen Einrichtungen, da der Account kein behördlich betriebener staatlicher Social Media-Account darstelle, sondern dem privaten Bereich des Ministers zuzurechnen sei. Unter dem Begriff der öffentlichen Einrichtung sei „eine Zusammenfassung personeller und sachlicher Mittel“ zu verstehen, „die ein Träger öffentlicher Verwaltung in Erfüllung einer in seinen Wirkungskreis fallenden Aufgabe einem bestimmten Kreis der Öffentlichkeit durch Widmung im Rahmen ihres Nutzungszwecks zur Benutzung zur Verfügung stellt.“ Um diese sperrige Definition mit Leben zu füllen, zog das Gericht diverse Kriterien heran, die im Ergebnis für die private Nutzung des Accounts durch den Gesundheitsminister sprachen.

Als wichtiges Indiz nannte es hier den Hinweis aus der Biografie des Accounts, der auf ein Profil zur ausschließlich privaten Kommunikation schließen lasse. Allein die Verwendung der Amtsbezeichnung sei jedenfalls nicht geeignet, den privaten Charakter des Accounts aufzuheben. Er habe seine amtliche Autorität auf Social Media nämlich gerade nicht in spezifischer Weise in Anspruch genommen, um seinen Account zu betreiben. Zudem sei er berechtigt, die Amtsbezeichnung auch außerhalb des Dienstes zu führen.

Insofern sei auch unschädlich, dass der offizielle Account des Bundesgesundheitsministeriums die Beiträge des Antragsgegners regelmäßig geteilt habe und der Politiker in seiner Selbstbeschreibung auf die Eigenschaft als Bundestagsabgeordneter hinweise. Diese seien mangels Aussagekraft nicht als Kriterien zur Differenzierung zwischen privaten und hoheitlichen Accounts heranzuziehen.

Die Veröffentlichung von Bildern und insbesondere Selfies der Politiker bei seinen Dienstreisen führe ebenfalls nicht dazu, dass bei den Bürgern der Eindruck entstünde, es handele sich um eine amtliche Verlautbarung des Bundesministers. Für das Teilen spezifischer Informationen, die allein aufgrund des mit seiner Tätigkeit verbundenen Wissensvorsprung möglich seien, gelte selbiges.

Zuletzt sei auch die Verifizierung des Accounts als staatlichen Account nach den AGB von X nicht geeignet, eine öffentliche Einrichtung zu bejahen, da der Minister selbst keinen Einfluss auf die Bestätigung mit dem bekannten „blauen Haken“ gehabt habe und diese Verifizierung nicht nur Mitgliedern der Exekutive in ihrer Funktion als Träger der hoheitlichen Gewalt, sondern jedem „einfachen“ Mitglied des Deutschen Bundestages offen stünde.

Ausblick

Ein klassischer Fall von „es kommt drauf an“. Nämlich auf Nuancen, die dem Social Media Auftritt eines Politikers das „Gesamtgepräge“ verleihen. Wie so oft in der juristischen Ausbildung kommt man hier mit Auswendiglernen nicht weit, da die Prüfungsämter schon bei geringfügiger Abwandlung des Sachverhalts zu einem anderen rechtlichen Ergebnis hinleiten können. Ein geschultes Judiz und die erforderliche Einübung des juristischen Handwerkszeugs sind damit der Schlüssel, um auch mit eher exotischen Sachverhalten zu einer vertretbaren Lösung zu gelangen.