Kein Anspruch auf Suizid-Medikament
Wer unheilbar krank ist und selbstbestimmt sterben will, dem muss das auch faktisch möglich sein – dies hat das BVerfG noch im Jahr 2020 entschieden. Trotzdem haben unheilbar Kranke keinen Anspruch auf ein tödliches Medikament vom Staat. Dies geht nun aus einer aktuellen Entscheidung des BVerwG hervor. Wie passen beide Urteile zusammen und wie begründet das BVerwG seine aufsehenerregende Entscheidung?
Worum geht es?
Die beiden Kläger leiden an schweren und unheilbaren Erkrankungen und kämpfen seit Jahren darum, ein tödliches Medikament vom Staat zu erhalten. Sie wollen selbstbestimmt und im Kreise ihrer Familie aus dem Leben scheiden und selbst entscheiden, wann ihr Leben nicht mehr lebenswert ist. Daher beantragten sie beim Bundesamt für Arzneimittel (BfArM) die Genehmigung für die Herausgabe einer tödlichen Dosis des Medikaments Natrium- Pentobarbital (Na-P) und beriefen sich dabei auf ihr „Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben“.
Ihre Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb des Medikaments zum Zwecke der Selbsttötung lehnte das Bundesamt aber ab. Die dagegen gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der dritte Senat des BVerwG hat ihre Revisionen nun zurückgewiesen und entschieden, dass die beantragte Erlaubnis gemäß § 5 I Nr. 6 BtMG zu versagen ist: Die Kläger haben also keinen Anspruch darauf, dass ihnen der Staat beim Suizid hilft.
Nicht mit dem Gesetzeszweck vereinbar
Der Erwerb von Na-P unterfällt als Betäubungsmittel den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Nach § 3 BtMG ist für den Erwerb eine Erlaubnis des BfArM notwendig, die jedoch nur dann erteilt werden darf, wenn kein Versagungsgrund entgegensteht. Ein solcher Versagungsgrund ist zum Beispiel in § 5 I Nr. 6 BtMG geregelt, wonach das BfArM die Erlaubnis nicht erteilen darf, wenn „die Art und der Zweck“ der Arzneimittelanwendung nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar ist. Unter anderem besteht dieser darin, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und den Missbrauch von Betäubungsmitteln, soweit es geht, auszuschließen.
Das BVerwG erklärt, dass der Erwerb von Na-P zur Selbsttötung grundsätzlich nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Medizinische Versorgung im Sinne dieser Vorschrift meint vielmehr die Anwendung eines Betäubungsmittels zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden, eine solche therapeutische Zielrichtung hat die Beendigung des eigenen Lebens aber grundsätzlich nicht.
Trotz Grundrechtseingriff: Kein Anspruch
Das BVerwG erkannte dabei zwar, dass der Erlaubnisvorbehalt für den Erwerb von Betäubungsmitteln aus § 3 I Nr. 1 BtMG in Verbindung mit der zwingenden Versagung einer solchen Erlaubnis für den Erwerb zum Zweck der Selbsttötung aus § 5 I Nr. 6 BtMG in das durch Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG gewährleistete Recht des Einzelnen eingreife, selbstbestimmt zu entscheiden, das Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden. Dieses Recht ist auch nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt und bedarf auch keiner Begründung oder Rechtfertigung (BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15). Geschützt ist damit auch nicht nur die Freiheit des Einzelnen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er sein Leben beenden möchte, sondern auch, wann und wie das geschehen soll. Damit schränkt § 3 I Nr. 1 i.V.m. § 5 I Nr. 6 BtMG diese Freiheit ein.
Der Grundrechtseingriff ist aber gerechtfertigt, so das BVerwG: Denn das Betäubungsmittelgesetz verfolgt mit dem generellen Verbot, Betäubungsmittel zum Zwecke der Selbsttötung zu erwerben, unter anderem das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäubungsmitteln zu verhindern. Die Regelung ist daher zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich und sie ist auch angemessen, weil der mit ihr verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht im Missverhältnis zur Schwere des Grundrechtseingriffs steht: „Für Menschen, die selbstbestimmt entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, gibt es andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches“, sagte die Vorsitzende Richterin. Hiermit ist vor allem der Umstand gemeint, sich die Medikamente ärztlich verschreiben zu lassen, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann. Eine solche ärztliche Person zu finden, die bereit ist, ein solches Medikament zu verschreiben, kann für die Betroffenen zwar belastend sein. Sie können sich aber bei der Suche helfen lassen: Nachdem das BVerfG das in § 217 StGB normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt hat, haben mehrere Organisationen die Vermittlung von zur Suizidhilfe bereiten Ärzten wieder aufgenommen.
Gesetzgeber kommt bei der Gewichtung der Gefahren ein Spielraum zu
Den damit verbundenen Belastungen der Sterbewilligen stehen aber wichtige Belange des Gemeinwohls gegenüber, die durch die Nichteröffnung des Zugangs zu Na-P geschützt werden. Das BVerwG sieht die Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit als besonders groß und schwerwiegend an. Dem Gesetzgeber kommt bei der Gewichtung der Gefahren des Betäubungsmittelverkehrs und der Ausgestaltung des Schutzkonzepts zur Verhinderung von Miss- und Fehlgebrauch ein Spielraum zu, dessen Grenzen mit dem Verbot des Erwerbs von Na-P nicht überschritten werden. Angesichts der genannten Gefahren und der bestehenden Alternativen ist es aus Sicht des BVerwG nicht beanstanden, dass das Gesetz den Erwerb von Na-P zum Zwecke der Selbsttötung nicht zulässt.
Trotz schwerer Erkrankung keine extreme Notlage
Die Begründung ist für die Kläger nicht nachvollziehbar: „Die Gefahr eines Missbrauchs ist bei jedem anderen Medikament, z.B. Insulin oder Morphin, auch gegeben.“ Es sei ihnen nicht klar, warum das ausgerechnet bei Na-P besonders problematisch sein soll. Sie versuchten die Richter des BVerwG daher von einer verfassungskonformen Auslegung des § 5 I Nr. 6 BtMG zu überzeugen, die das BVerwG im Jahr 2017 noch selbst entwickelt hatte, als es entschied, dass Sterbewillige einen Anspruch auf die Erlaubnis von Na-P hätten, wenn eine extreme Notlage bestehe. Das BVerwG wich in der aktuellen Entscheidung hiervon zwar nicht ab, betonte aber die engen Voraussetzungen der extremen Notlage: Eine solche liege demnach bei schweren und unheilbaren Erkrankungen vor, die mit gravierenden körperlichen Leiden und starken Schmerzen verbunden sind und bei den Betroffenen zu einem unerträglichen Leidensdruck führen. Nach Ansicht des BverwG fallen die beiden Kläger aber nicht unter diese Ausnahme, da es die genannten Alternativen für sie gebe.
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