Geldsegen durch die Störung des Mobilfunknetzes?

Geldsegen durch die Störung des Mobilfunknetzes?

LG Göttingen zum Schadensersatz wegen Netzausfall

Es ist ein nahezu ständiger Begleiter, der vom Wecker über das Navigationsgerät bis hin zur Kamera unzählige Funktionen vereint – das Smartphone. Wenn es einmal nicht so arbeitet, wie es soll oder eine Störung das Netz lahmlegt, merkt man erst, wie abhängig man sich von diesem kleinen Gerät im Alltag doch macht. Auch der Kläger hatte monatelang weniger Freude an seinem Mobiltelefon, was allerdings nicht an dem Handy selbst, sondern vielmehr an seinem Mobilfunkbetreiber lag. Das dazugehörige Urteil des LG Göttingen bringt Licht in eine Materie, die potenziell jeden Handynutzer betrifft.

Sachverhalt

Für viele dürfte es auch in Zeiten der Internettelefonie noch ein Horror sein: Die Familie des Klägers war ab Mitte Februar 2022 über 10 Monate lang nicht in der Lage, in seiner Wohnung und der unmittelbaren Umgebung mit seinem Handy über das Mobilfunknetz zu telefonieren.

Ende März 2022 meldete der Kläger der Beklagten den Netzausfall, was jedoch zu keiner Behebung des Problems führte. Nachdem u.a. ein Schlichtungsverfahren bei der Schlichtungsstelle der Bundesnetzagentur erfolglos blieb, forderte er die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz wegen der unterbliebenen Entstörung nach § 58 III TKG auf. Dieser sieht vor, dass der Verbraucher für jeden Tag des vollständigen Ausfalles des Telekommunikationsdienstes eine Entschädigung verlangen kann, wenn die Störung nicht innerhalb von zwei Kalendertagen nach Eingang der Störungsmeldung beseitigt wird, soweit keine Ausschließungsgründe vorliegen. Die Höhe der Entschädigung ist hierbei gestaffelt: Für den dritten und vierten Tag der Störung ergeben sich jeweils 5 Euro oder 10 Prozent und ab dem fünften Tag 10 Euro oder 20 Prozent des vertraglich vereinbarten Monatsentgelts. Insgesamt forderte der Kläger so 7.500 Euro Schadensersatz aus drei Mobilfunkverträgen. Die Beklagte war der Ansicht, es läge bereits keine Störung des Telekommunikationsdienst vor, da der Kläger in gewisser Entfernung von seiner Wohnung telefonieren konnte und er sich jedenfalls zuhause über das WLAN habe behelfen können.

Im März und April, während die Störung andauerte, schloss der Kläger nämlich noch zwei weitere Mobilfunkverträge mit der Beklagten ab, die er bzw. ein Familienmitglied nutzen sollten. Die Beklagte war der Ansicht, für die nach Bekanntwerden der Störung geschlossenen Verträge könne ihr Vertragspartner jedenfalls keinen Schadensersatz verlangen. Der Kläger sah dies anders. Er habe die Verträge in Kenntnis der Störung geschlossen, weil es für ihn schlicht nicht vorstellbar gewesen sei, dass es in Deutschland im Jahre 2022 nicht möglich sein würde, die technische Störung am Sendemast innerhalb weniger Tage zu beheben.

Entscheidung des LG Göttingen

Das LG Göttingen hielt die Klage für teilweise begründet und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von etwa 2.800 Euro. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 58 III TKG lägen hier nach Auffassung des Gerichts vor, da insbesondere von einer vollständigen Störung eines Telekommunikationsdienstes auszugehen sei, wenn bereits eine der vertraglich geschuldeten Leistungen, hier die Möglichkeit im Mobilfunknetz Telefonate zu tätigen, gestört sei. Da es nach dem Wesen des Mobiltelefonie gerade darum gehe, an jedem Ort telefonieren zu können, ohne dafür den Ort wechseln zu müssen, käme es für die Störung auch nicht darauf an, ob der Dienst überall oder nur in einem bestimmten „Mindestradius“ zur Wohnung ausgefallen sei. Andernfalls verbliebe für § 58 III TKG kein nennenswerter Anwendungsbereich mehr. Insofern könne sich die Beklagte auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass eine Telefonie über das WLAN einen gleichwertigen Ersatz bilde. Zum einen handele es sich wegen der eingeschränkten Reichweite und der verfügbaren Bandbreite nicht um einen im Wesentlichen gleichwertigen Ersatz des Mobilfunks und zum anderen konterkariere dies den Zweck der Norm: Schließlich solle der Mobilfunkanbieter mit der Schadensersatzpflicht auf finanziellem Wege angehalten werden, die Störung so schnell wie möglich zu beseitigen.

Es sprach dem Kläger jedoch wegen seines treuwidrigen Verhaltens i.S.d. § 242 BGB nicht die vollen 7.500 Euro zu. Durch den Abschluss von zwei weiteren Verträgen Ende März und Ende April und damit fast einen Monat bzw. zwei Monate nach dem Auftreten der Störung soll der Kläger aus der Situation kein Kapital schlagen können. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger jedenfalls seine Vorstellung, dass eine derart langfristige Störung in Deutschland heute nicht mehr möglich sei, an die Realität anpassen müssen. Um zu verhindern, dass sich der Kläger an der Situation bereichert, nahm das Gericht einen Anspruch lediglich hinsichtlich des ursprünglichen Vertrags an.

Ausblick

Auch wenn die Anspruchsgrundlage nicht zum Standardprüfungsrepertoire gehört, so stellt sie wegen ihres klaren Aufbaus dennoch eine Norm dar, mit dem Studierende umgehen können müssen. Das Urteil bringt zudem Klarheit für jeden Mobilfunkvertragspartner, der von Störungen hinsichtlich einzelner der vertraglich vereinbarten Leistungen geplagt wird. Dass das Gericht dem Verhalten des Klägers anhand eines Verstoßes gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB einen Riegel vorschiebt, sollte das Judiz des Lesenden schulen: Der § 242 BGB spielt in den Klausuren zwar eine untergeordnete Rolle, es bedarf allerdings einiger Übung, um seine Anwendungsfälle zu erkennen und das eigene Störgefühl durch die Korrektur des Ergebnisses über den Grundsatz von Treu und Glauben überzeugend vertreten zu können. Hierbei bleibt stets zu beachten, dass eine stringente Lösung nach dem altbekannten Aufbau nicht zugunsten des § 242 BGB aufgeweicht werden darf.