Rückerstattung wegen Ausfall eines Programmpunktes bei Pauschalreise
Diese Entscheidung des BGH befasst sich mit der Frage, ob bei der Buchung einer „Fahrt ins Blaue“ ein Reisemangel vorliegt, wenn ein angekündigter Programmpunkt doch ausfällt. Hier musste der BGH darüber entscheiden, ob der Kläger eine Rückerstattung zu recht verlangt.
A. Sachverhalt
R buchte beim Unternehmer V für eine Gruppe eine als “Fahrt ins Blaue” beworbene Reise. Er zahlte den vereinbarten Gesamtpreis von über 2.000 Euro. Die Reise sollte die Beförderung zum Reiseziel, die Übernachtungen und ein Reiseprogramm beinhalten. Die Reisenden kannten vor Beginn der Reise weder das Ziel noch das Programm der Reise. Am ersten Reisetag wurde den Teilnehmern ein Programm ausgeteilt. Dieses sah neben zwei Übernachtungen in Hamburg unter anderem eine Hafenrundfahrt und als besonderes Highlight den Besuch des Musicals “Cirque du Soleil Paramour” vor. Am Nachmittag des gleichen Tages stellte sich heraus, dass der Besuch des Musicals wegen der Corona-Pandemie ausfallen müsse. V organisierte als Ersatz eine Stadtrundfahrt durch Hamburg.
R verlangt von V daher die Rückerstattung von (in der Höhe gerechtfertigten) 320 Euro. Zu Recht?
B. Entscheidung des BGH
R könnte gegen V ein Anspruch auf Rückerstattung von 320 Euro aus §§ 651i III Nr. 6, 651m II 1 BGB zustehen. Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen den Parteien ein Vertrag nach §§ 651a ff. BGB zustande gekommen ist (I.), der Reisepreis nach § 651m I BGB gemindert ist (II.) und R mehr als den geminderten Reisepreis gezahlt hat (III.)
I. Vertrag nach §§ 651a ff. BGB
Die Parteien müssten einen Reisevertrag nach § 651a ff. BGB geschlossen haben. Dafür müssten nach § 651a BGB die Voraussetzungen eines Pauschalreisevertrages vorliegen. Insbesondere bedarf es dazu nach Absatz 2 der Vorschrift grundsätzlich zwei verschiedener Arten von Reiseleistungen. Was eine Reiseleistung ist, regelt Absatz 3. Weil hier mit Beförderung, Beherbung und sonstiger touristischer Leistung mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen bei einer Reise kombiniert werden, haben die Parteien einen solchen Pauschalreisevertrag geschlossen. Ein Ausschlussgrund liegt nicht vor.
II. Minderung nach § 651m I BGB
Voraussetzung für eine Minderung nach § 651m I BGB ist nach § 651m I 1 BGB, dass ein Musicalbesuch vereinbart wurde (1.) und der Wegfall des Besuchs einen Reisemangel im Sinne von § 651i II BGB darstellt (2.), der zur Minderung führt (3.).
1. Vereinbarung eines Musicalbesuchs
Der Besuch eines Musicals ist zunächst nicht vereinbart worden, sondern allein ein Überraschungsprogramm. Die ursprüngliche Vereinbarung wäre durch die Reise inklusive der Stadtrundfahrt mangelfrei erfüllt worden. Indes könnte V durch Verteilung des Reiseprogramms die Gattungsschuld durch Leistungsbestimmung nach § 243 II BGB verbindlich konkretisiert haben, sodass nunmehr ein Musicalbesuch geschuldet war.
Reiseleistungen können in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 1 BGB (…) grundsätzlich Gegenstand einer Gattungsschuld sein (…). Dies setzt aber voraus, dass eine Leistung mittlerer Art und Güte bestimmt werden kann. Letzteres ist nur dann möglich, wenn die als gattungsgemäß in Frage kommenden Leistungen durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind und sich dadurch von Gegenständen anderer Art abheben (…). Bei lediglich mit “Fahrt ins Blaue” bezeichneten Reiseleistungen fehlt es an gattungsbildenden Merkmalen, die die Aussonderung eines Leistungsgegenstandes mittlerer Art und Güte erlauben.
Das Austeilen des Reiseprogramms stellt daher keine Konkretisierung einer Gattungsschuld nach § 243 I BGB dar. Der Musicalbesuch war nicht durch Konkretisierung nach § 243 BGB geschuldet.
Mit dem Austeilen des Programms könnte V jedoch ein vertragliches Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB ausgeübt und dadurch anschließend einen Musicalbesuch vertraglich geschuldet haben. V müsste ein Leistungsbestimmungsrecht zugestanden haben und er müsste dieses ausgeübt haben. Die vertragliche Vereinbarung, eine „Fahrt ins Blaue“ zu organisieren, gesteht V ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 I BGB zu. Dieses hat er durch Verteilen des Programms nach § 315 II BGB durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil endgültig ausgeübt. Insbesondere enthielt das Programm keinen Hinweis darauf, dass es bloß vorläufig sei und möglicherweise noch verändert würde. Auf Grundlage einer verständigen Würdigung der Erklärung war davon auszugehen, dass das Reiseprogramm hierdurch endgültig festgelegt werden sollte.
In der tatsächlichen Leistungserbringung durch die Stadtrundfahrt ist auch kein konkludenter Widerruf der Leistungsbestimmung zu sehen. Die Leistungsbestimmung nach § 315 II BGB ist als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung unwiderruflich.
Es wurde daher ein Musicalbesuch vertraglich vereinbart.
2. Wegfall des Musicalbesuchs als Reisemangel
Eine Pauschalreise ist nach § 651i II BGB mangelhaft, wenn sie nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich nicht für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen eignet oder eine Beschaffenheit nicht aufweist, die bei Pauschalreisen der gleichen Art üblich ist und die der Reisende nach der Art der Pauschalreise erwarten kann. Nach § 651i II 3 BGB liegt ein Reisemangel auch vor, wenn der Reiseveranstalter eine Reiseleistungen nicht verschafft.
Wird bei einer Pauschalreise eine nach dem Vertrag geschuldete Leistung aus Gründen, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen, ganz oder teilweise nicht erbracht, handelt es sich grundsätzlich um einen Reisemangel (…).
Der Wegfall des Musicalbesuchs könnte das Nichterbringen einer vereinbarten (s.o.) und geschuldeten Reiseleistung darstellen. Voraussetzung für das Vorliegen eines Reisemangels ist auch, dass die Stadtrundfahrt keine gegenüber dem Musicalbesuch gleichartige und gleichwertige den Mangel behebende Ersatzleistung darstellt.
Der Besuch des Musicals könnte nicht geschuldet sein, da er nach § 275 BGB rechtlich unmöglich wurde.
Ob die Erbringung der Reiseleistung nach Vertragsschluss unmöglich geworden ist oder ob den Reiseveranstalter ein Verschulden trifft, ist ohne Belang. Die reiserechtliche Gewährleistung genießt insoweit Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (…).
§ 275 BGB findet also keine Anwendung. Der Besuch des Musicals war daher geschuldet.
Die Stadtrundfahrt dürfte keine gleichartige und gleichwertige Ersatzleistung darstellen. Gegen das Vorliegen einer gleichartigen und gleichwertigen Ersatzleistung spricht insbesondere, dass der Besuch des Musicals als besonderer Höhepunkt der Reise angepriesen wurde. Als solcher kann er durch eine Stadtrundfahrt, die der ebenfalls durchgeführten Hafenrundfahrt ähnelt, nicht gleichwertig ersetzt werden. Eine abweichende Beurteilung könnte sich aus § 313 BGB ergeben.
Das Pauschalreiserecht enthält umfassende Regelungen über die Folgen von Störungen der erbrachten Leistung. Hierunter fallen, wie insbesondere die Regelung in § 651h Abs. 3 BGB zeigt, auch Störungen, die auf außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Umstände zurückzuführen sind. Vor diesem Hintergrund ist die ergänzende Heranziehung der allgemeinen Regeln über Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage wie schon nach früher geltendem Recht (…) ausgeschlossen.
§ 313 BGB ist daher nicht anwendbar. Der Wegfall des Musicalbesuchs stellt einen Reisemangel dar.
3. Zwischenergebnis
Der Mangel führt gemäß § 651m I 1 BGB kraft Gesetzes zur Minderung. Die Höhe der Minderung bestimmt sich nach § 651m I 2 und 3 BGB und ist vorliegend nicht zu beanstanden.
III. Zahlung des erhöhten Reisepreises
R hat mehr als den geminderten Reisepreis gezahlt.
IV. Ergebnis
R steht somit gegen V ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des Mehrbetrags in Höhe von 320 Euro aus §§ 651i III Nr. 6, 651m II 1 BGB zu.
C. Prüfungsrelevanz
Die Entscheidung eignet sich gut als Klausurmaterial. Das Reiserecht ist den meisten Studierenden unbekannter als das Kauf- oder Werkvertragsrecht, sodass das Auffinden und strukturierte Bearbeiten der relevanten Vorschriften geprüft werden kann. Gleichzeitig ist mit der Frage der Gleichwertigkeit von Musicalbesuch und Stadtrundfahrt auch eine Wertungsfrage enthalten. Hier könnte ein Klausurersteller den Sachverhalt noch etwas ausschmücken und so viel Material für eine eigenständige Argumentation liefern. Wichtig ist es dann, den Sachverhalt möglichst vollständig auszuwerten und auf dieser Grundlage die Pro- und Contraargumente für das eigene Ergebnis aufzuzeigen. Dabei gilt wie immer: Mut zur eigenen Argumentation!
(BGH, Urteil vom 14.02.2023, Az. X ZR 18/22)
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen