Wegen zweifachen Mordes Verurteilter begehrt Freilassung
Das Bundesverfassungsgericht gab den Verfassungsbeschwerden eines Häftlings statt, der im Jahr 1972 wegen zweifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen fachgerichtliche Entscheidungen, mit denen die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat nun geurteilt, ob die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht verletzen, wenn etwa die Fortdauer der Freiheitsentziehung nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genüge.
Worum geht es?
Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1970 wegen Mordes an einer Frau und deren Tochter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seitdem befand er sich in Untersuchungs- und Strafhaft. Im Jahr 1991 wurde er in den offenen Vollzug überführt, jedoch mehrfach aufgrund des Fundes von unerlaubtem Material in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt. Im Jahr 1997 stellte das Landgericht Koblenz fest, dass die besondere Schwere der Schuld des Beschwerdeführers die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht mehr erfordert. Dennoch lehnte es die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ab, da keine günstige Gefahrenprognose gestellt werden konnte.
Die angegriffenen Entscheidungen
Das Landgericht Koblenz lehnte mit Beschluss vom 17. Mai 2019 den Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung ab. Es hielt eine geringe Gefahr für die Begehung künftiger schwerer Straftaten für gegeben. Das Oberlandesgericht Koblenz verwarf am 9. Dezember 2019 die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts als unbegründet. Es verwies darauf, dass die fehlende Aufarbeitung der Anlasstaten und das Fehlen eines angemessenen sozialen Empfangsraums prognostisch ungünstig seien.
Das Bundesverfassungsgericht kam nun zu dem Schluss, dass die zulässigen Verfassungsbeschwerden des Beschwerdeführers offensichtlich begründet sind. Die fachgerichtlichen Beschlüsse verfehlen die erforderliche Begründungstiefe hinsichtlich der Möglichkeit einer Reduzierung des verbleibenden Risikos künftiger Straftaten. Dies könne etwa durch Auflagen und Weisungen geschehen.
Die Fachgerichte berufen sich darauf, dass ein geeigneter sozialer Empfangsraum fehle, da der Beschwerdeführer nicht bereit sei, eine Unterbringung in einer betreuten Wohnform außerhalb seines bekannten sozialen Umfelds zu akzeptieren und ein entsprechendes Angebot nicht vorhanden sei. Jedoch haben die Gerichte laut des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige festgestellt hat, dass der Beschwerdeführer kein impulsiv handelnder Straftäter sei. Das verbleibende Risiko weiterer Straftaten könne daher durch angemessene Weisungen reduziert werden. Eine regelmäßige sozialarbeiterische Betreuung mit kontrollierenden Funktionen oder eine regelmäßige Überprüfung der Wohnung könnten als geeignete Weisungen in Betracht gezogen werden. Aus den Ausführungen des Sachverständigen geht nicht hervor, dass eine Unterbringung in einer betreuten Wohnform die einzige Möglichkeit darstellt, das Risiko weiterer schwerer Straftaten des Beschwerdeführers auf ein unvermeidbares Mindestmaß zu reduzieren.
In Anbetracht dieser Erkenntnisse, wäre es daher Aufgabe der Fachgerichte gewesen, sich speziell mit der Möglichkeit einer Aussetzung der Reststrafe unter geeigneten risikomindernden Auflagen auseinanderzusetzen.
Grundrechte des Beschwerdeführers müssen beachtet werden
Die Entscheidungen der Fachgerichte, die die Aussetzung des Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ablehnten, wurden vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erachtet. Die Fachgerichte hätten die grundrechtlich geschützten Interessen des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt und die Begründungstiefe der Entscheidungen sei unzureichend. Bei der Entscheidung über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung müssen die Gefahren, die von dem Verurteilten ausgehen, mit dem Grundrechtseingriff in Form des Freiheitsentzugs abgewogen werden. Als betroffenes Grundrecht ist das Recht auf Freiheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG oder Art. 104 GG heranzuziehen. Insbesondere bei einer langen Vollzugsdauer müssen die Fachgerichte eine breite Tatsachenbasis schaffen und die maßgeblichen Gesichtspunkte näher erläutern.
Im vorliegenden Fall seien jedoch wesentliche Aspekte wie das Alter des Beschwerdeführers, sein Gesundheitszustand, seine fehlende Impulsivität als Straftäter sowie mögliche risikomindernde Auflagen und Weisungen nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Fachgerichte hätten laut des obersten Gerichts auch nicht ausreichend alternative Maßnahmen in Betracht gezogen, die das verbleibende Risiko künftiger Straftaten auf ein unvermeidbares Mindestmaß reduzieren könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat daher entschieden, dass die Fachgerichte erneut über die Aussetzung des Strafrestes der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung entscheiden müssen. Dabei sind sie verpflichtet, nun eine umfassende Prüfung vorzunehmen.
Es liegt nun in der Verantwortung der Fachgerichte, eine erneute Entscheidung zu treffen und dabei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten. Sie müssen eine ausreichende Begründungstiefe gewährleisten und alle relevanten Faktoren angemessen berücksichtigen, um eine verfassungsgemäße Entscheidung zu treffen.
(BverfG: Beschluss vom 24.02.2023, 2 BvR 117/20, 2 BvR 962/21)
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