Raser-Prozess – BGH hebt zum zweiten Mal Urteil des LG Kleve auf

Raser-Prozess – BGH hebt zum zweiten Mal Urteil des LG Kleve auf

Bedeutung der Vorsatzfrage

Ein Autorennen mit Folgen: Ein Jugendlicher rast durch ein Wohngebiet, dabei kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem weiteren Wagen, die Fahrerin des anderen Wagens stirbt. Hat sich der Jugendliche nun des Mordes schuldig gemacht?

Worum geht es?

Im April 2019 verabredet sich der Jugendliche in der Nähe von Moers zu einem illegalen Autorennen. Einen Führerschein hat er nicht, die theoretische Fahrprüfung hat er mehrmals nicht bestanden. Während des Rennens befuhr er mit einem 612 PS starken Automobil teilweise mit bis zu 167 km/h die Gegenfahrbahn, die zulässige Höchstgeschwindigkeit lag bei 50 km/h. An einer Straßenkreuzung kam es bei einer Fahrgeschwindigkeit von noch über 100 km/h zu einer Kollision mit einem unbeteiligten Wagen, die 43-jährige Fahrerin des Wagens starb an den Hirnverletzungen infolge des Unfalls. Der Jugendliche floh noch zu Fuß vom Unfallort und ließ die Fahrerin zurück.

Was bisher geschah

Das Landgericht Kleve bejahte den bedingten Tötungsvorsatz und verurteilte den Jugendlichen im Jahr 2020 zunächst wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Tod der Frau sei zwar unerwünscht gewesen, der Fahrer habe ihn jedoch billigend in Kauf genommen. Der BGH hob das Urteil in der Revision auf, da der Tötungsvorsatz nicht ausreichend begründet gewesen sei. Das Landgericht Kleve hatte erneut darüber zu entscheiden. Sodann wurde der Angeklagte zu vier Jahren Haft wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens verurteilt. Der zuvor festgestellte bedingte Tötungsvorsatz wurde nun nicht mehr angenommen. Auch dieses Mal hob der BGH das Urteil aufgrund von Widersprüchen innerhalb der Begründungen für Annahme oder Ablehnung der jeweiligen Straftatbestände auf und verwies die Sache nunmehr an das LG Duisburg.

Handeln mit Vorsatz?

Die zentrale Frage solcher sogenannter „Raserfälle“ ist die Frage des Vorsatzes zum Zeitpunkt der Tat. Um den Tötungsvorsatz zu bejahen, müsste der 22-jährige bezüglich des Todes der Frau zumindest mit dolus eventualis gehandelt haben. Nach der herrschenden Meinung liegt dieser Vorsatz jedenfalls vor, wenn der Täter mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts rechnet und diese Möglichkeit billigend in Kauf nimmt, indem er sich jedenfalls mit ihm abfindet. Dies gilt es anhand objektiver Kriterien zu ermitteln. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass je gefährlicher die Handlung und je wahrscheinlicher der Erfolgseintritt, desto eher handelt der Täter mit Vorsatz.

Bei der bewussten Fahrlässigkeit hingegen vertraut der Täter pflichtwidrig auf das Ausbleiben des Erfolges. Das Gericht legte dem Jugendlichen hier unter anderem zur Last, dass für das Autorennen gerade nicht etwa ein Autobahnabschnitt, sondern ein innerstädtisches Wohngebiet gewählt wurde. Außerdem habe er damit rechnen müssen, dass sich, insbesondere an diesem Abend (Ostermontag, circa 22 Uhr), noch Personen und Fahrzeuge auf der Straße befinden. Andererseits befand sich der Jugendliche mit dem Wagen auch auf einer Vorfahrtsstraße, sodass er wohl davon ausging, dass andere Verkehrsteilnehmer anhalten und warten würden. Da der Täter eine gewisse „Hemmschwelle“ zur Tötung überwinden muss, müssen an die Begründung des Vorsatzes hohe Anforderungen gestellt werden.

Wie das Landgericht Duisburg letztendlich entscheidet, bleibt abzuwarten. Auch in Prüfungen sind diese „Raser-Fälle“ durchaus beliebt und können in verschiedenen Konstellationen geprüft werden. So kommt hier häufig auch die Prüfung der Mittäterschaft bei Beifahrern in Betracht.

(BGH, Urteil vom 16.02.2023 - 4 StR 211/22)