BGH zur Freiheitsberaubung „auf andere Weise“ und zur Wirksamkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses bis List und Täuschung

BGH zur Freiheitsberaubung „auf andere Weise“ und zur Wirksamkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses bis List und Täuschung

Durch Täuschung kein tatbestandsauschließendes Einverständnis erwirkt

Die aktuelle Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH lenkt den Blick auf den für strafrechtliche Praxis, Wissenschaft und Prüfungsbetrieb jeweils gut geeigneten und relevanten Tatbestand der Freiheitsberaubung. Vor der Subsumtion der in Rede stehenden Tathandlungen wird zunächst das Schutzgut der Strafnorm bestimmt. Unter Heranziehung der bekannten Auslegungsmethoden (grammatische, systematische, subjektiv-historische und objektiv-teleologische Auslegung), bestimmt der Senat die Reichweite des § 239 Abs. 1 StGB.

A. Sachverhalt

Die 21 Jahre alte T – aus Tschetschenien stammend und russische Staatsbürgerin – heiratet einen Mann tschetschenischer Abstammung nach islamischen Recht und zieht zu dessen Familie nach Berlin. Diese lebt – ebenso wie der Mann der T und ihre eigene Familie – streng nach traditionellen tschetschenischen Werte- und Rollenverständnissen, während das Leben der jungen Frau wesentlich von westlicher Weltanschauung geprägt ist. Sie fühlt sich deshalb zunehmend eingeengt. Wenige Monate später flieht sie aus der Wohnung und zeigt ihren Mann wegen Vergewaltigung und Körperverletzung an. Dabei teilt sie mit, dass dieser beabsichtige, sich am Jihad in Syrien zu beteiligen. Eine Rückkehr zu ihrem Mann lehnt sie trotz nachdrücklicher Forderungen ihrer Familie ab. Ihr Verhalten wird bei den beteiligten Familien, aber auch in der tschetschenischen Diaspora allgemein als elementarer Bruch tschetschenischer Wert- und Rollenvorstellungen betrachtet. Sie sieht sich vor allem aus der Familie ihres Mannes und ihres Vaters Rufen nach Ahndung ihres Verhaltens ausgesetzt, die in Todesdrohungen gipfeln. Gegen den Willen ihrer Angehörigen wird sie deswegen zeitweise von der Polizei zu ihrem Schutz an einem unbekannten Ort untergebracht. Eines Tages beschließen ihre Mutter (die M), ihr Bruder (der B) und ihr Onkel (der O) – alle aus Tschetschenien stammend, russische Staatsbürger und seit geraumer Zeit ebenfalls in Berlin lebend –, die T zunächst nach Georgien und anschließend von dort aus zusammen mit ihrer jüngeren Schwester nach Tschetschenien zu bringen. Sie soll damit zum einen „aus der Schusslinie“ genommen, zum anderen auch zu einer den tschetschenischen Traditionen entsprechenden Lebensführung gebracht werden. Da M, B und O bewusst ist, dass die T sich dem nicht freiwillig beugen wird, spiegeln sie ihr vor, in Polen persönlich russische Pässe beantragen zu müssen. Tatsächlich soll sie – auch um den sie suchenden deutschen Behörden ihren Verbleib zu verheimlichen – mit dem Auto zu einem Flughafen und dann mit dem Flugzeug nach Georgien gebracht werden. Die Flugtickets besorgt der in den Plan eingeweihte F, ein Freund des B.

Eines Nachts bringen M, B, O und F die gutgläubige T und deren Schwester mit dem Auto des B zum Flughafen. O und F kommt dabei die Aufgabe zu, die Verbringung der ahnungslosen T abzusichern; F löst zudem den B als Fahrer ab. T sitzt während der mehrstündigen Fahrt eingerahmt von M und O auf der Rückbank. Bei kurzen Fahrtpausen darf sie sich – indes stets unter den Augen ihrer „Begleiter“ - im näheren Umkreis des Autos bewegen; im Falle eines Fluchtversuchs sind diese bereit einzugreifen. Ihnen ist bewusst, dass sich die T – jedenfalls solange das Auto in Bewegung ist – nicht entfernen kann. Sie wissen, dass sich T der Reise bei Kenntnis der wahren Pläne widersetzt und bei nächster Gelegenheit das Weite oder die Hilfe Dritter gesucht hätte. Am Flughafen wird die weiterhin nichts ahnende T bis zur Flugabfertigung und Passkontrolle „begleitet“. Dadurch wollen M, B, O und F verhindern, dass diese auf sich aufmerksam machen oder um Hilfe bitten können würde, falls sie im letzten Moment Kenntnis von dem tatsächlichen Reiseziel erlangt. Während O und F mit dem Auto nach Berlin zurückkehren, fliegen die M und B zusammen mit der T und deren Schwester nach Georgien. T ist sich auch beim Start des Flugzeugs noch nicht über das tatsächliche Ziel und den Zweck der Reise im Klaren. Nach der Landung erkennt sie, dass sie nicht in Polen, sondern in Georgien ist. Angesichts dieser Lage fügt sie sich in ihr Schicksal und fährt mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrer Schwester mit Bus und Taxi in ein bereits gemietetes Ferienhaus in einer georgischen Urlaubsregion, ohne dass Zwang auf sie ausgeübt werden muss. Am darauffolgenden Tag erklärt sie allerdings lautstark, nach Deutschland zurückkehren zu wollen. Daraufhin schlägt B sie mit einem Gummischlauch und einem Holzstock, nimmt ihr Reisepass und Mobiltelefon ab und erteilt ihr einen drei- oder viertägigen Hausarrest, um eine telefonische Kontaktaufnahme der jungen Frau mit deutschen Polizeibehörden und ihre Rückkehr nach Deutschland zu unterbinden. Nachdem ihre Mutter Kenntnis von erneuten Vorbereitungen einer Rückkehr nach Deutschland erlangt, verprügelt sie ihre Tochter mit einem Stock.

Haben sich M, B, O und F wegen Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) strafbar gemacht?

B. Entscheidung

M, B, O und F könnten sich wegen Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie T mit dem Auto zum Flughafen gebracht haben und mit ihr nach Georgien geflogen sind.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Dazu müssten sie einen Menschen (T) eingesperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt haben.

a) „Einsperren“

M, B, O und F könnten – gemeinschaftlich handelnd (§ 25 Abs. 2 StGB) – die T „eingesperrt“ haben. Darunter ist das Verhindern des Verlassens eines umschlossenen Raumes durch äußere, nicht notwendig unüberwindbare Vorrichtungen zu verstehen, so dass ein Mensch „eingesperrt“ ist, sobald er objektiv gehindert ist, von seiner Fortbewegungsfreiheit Gebrauch zu machen. Auf die genaue Größe des – abgrenzbar umschränkten – Ortes, an oder in dem das Opfer „eingesperrt“ wird, kommt es nicht an (Zimmer bis Staatsgebiet möglich), ebenso wenig darauf, ob Täter und Opfer räumlich voneinander getrennt sind und ob es sich um einen unbeweglichen (Gebäude) oder beweglichen (PKW) Ort handelt. Die Unmöglichkeit des „Eingesperrten“, sich zu entfernen, braucht keine unüberwindliche zu sein; es genügt demgemäß, dass der Zurückgehaltene etwaige Ausgänge nicht benutzen kann, etwa weil er einen vorhandenen Ausgang nicht kennt oder den Mechanismus einer Tür nicht zu bedienen weiß.

Diese Voraussetzungen haben M, B, O und F – weder jeder für sich noch im Rahmen einer mittäterschaftlichen Zurechnung – hier zu Lasten von T nicht erfüllt. T war vom Beginn der Autofahrt bis zur Landung in Georgien nicht durchgehend durch äußere Vorrichtungen daran gehindert, das jeweilige Fahrzeug (PKW und Flugzeug) sowie das Flughafengebäude zu verlassen bzw. sich darin zu bewegen.

M, B, O und F haben T nicht „eingesperrt“.

b) „auf andere Weise der Freiheit berauben“

M, B, O und F könnten die T aber „auf andere Weise der Freiheit beraubt“ haben (§ 239 Abs. 1 Var. 2 StGB). Insoweit kommt es zunächst darauf an, wie dieser Tatbestand auszulegen ist, und zwar dahin, ob dieser nur Handlungen gegen Betroffene erfasst, sich wegbewegen wollen, oder nur solche, die sich – ohne dass es auf ihren Fortbewegungswillen ankommt – wegbewegen könnten. Dazu hier der BGH:

„II.2.a)aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und Teilen der Literatur schützt § 239 StGB die potentielle persönliche Bewegungsfreiheit. In sie wird auch dann eingegriffen, wenn der von der Tathandlung Betroffene sich gar nicht wegbewegen will. Entscheidend ist allein, ob es ihm unmöglich gemacht wird, seinen Aufenthalt nach eigenem Belieben zu verändern. Ausschlaggebend ist mithin nur, ob der Betroffene sich ohne die vom Täter ausgehende Beeinträchtigung seiner Bewegungsmöglichkeit fortbegeben könnte, wenn er es denn wollte. Ob er seine Freiheitsbeschränkung überhaupt realisiert, ist danach ohne Belang (…).

bb) Eine im Schrifttum weit verbreitete Meinung sieht darin eine - angesichts der durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) eingeführten Versuchsstrafbarkeit der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 2 StGB) - nicht (mehr) gerechtfertigte Vorverlegung des Vollendungszeitpunkts. Von § 239 StGB sei nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit geschützt. Seiner Freiheit wäre danach nur derjenige beraubt, der sich zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt wegbewegen will, aber nicht kann. Es handle sich bei dem Straftatbestand des § 239 StGB letztlich um einen Spezialfall der Nötigung (…).

cc) Der Senat sieht keinen Anlass, von der bisherigen Auslegung des Tatbestands der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) durch den Bundesgerichtshof abzuweichen.

(1) Für die hierfür maßgebliche Bestimmung des geschützten Rechtsguts spricht der Wortlaut der Norm. Seiner (Bewegungs-)Freiheit ist objektiv betrachtet derjenige beraubt, der sich aufgrund des Verhaltens eines Dritten nicht wegbewegen kann, wenn er dies wollte. Eine als Zwang empfundene Willensbeugung wohnt dem Begriff der Freiheitsberaubung in objektiver Hinsicht nicht inne. Anders als die Nötigung im Sinne des § 240 StGB setzt der äußere Tatbestand des § 239 StGB nicht voraus, dass einem anderen ein von diesem nicht gewolltes Verhalten aufgezwungen wird. Opfer einer Freiheitsberaubung kann danach nicht nur derjenige sein, der gegen seinen aktuellen Willen zu einem Verbleiben an einem Ort bestimmt wird (…).

(2) Mit dem hohen Gut der persönlichen Bewegungsfreiheit (…), das durch die Einführung der Versuchsstrafbarkeit noch an Gewicht gewonnen hat (…), wäre es nicht in Einklang zu bringen, die Freiheitsberaubung als einen bloßen Spezialfall der milder sanktionierten Nötigung zu behandeln. Sie ist vielmehr ein eigenständiges Delikt mit eigenen Voraussetzungen, das den Einzelnen umfassend vor der Entziehung seiner Fortbewegungsfreiheit schützen soll (…). Dies wird durch systematische Erwägungen gestützt. Die Straftat der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) wiegt nach dem in den jeweiligen Strafrahmen zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers schwerer als die Nötigung (§ 240 StGB) und steht im Strafgesetzbuch vor ihr. Mit der Einordnung als bloßer Spezialfall des § 240 StGB ließe sich dies kaum vereinbaren.

(3) Die Einführung der Strafbarkeit des Versuchs der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 2 StGB) gibt keinen Anlass für eine andere Auslegung. Zum einen zeigt die vorliegende Konstellation, dass der umfassende strafrechtliche Schutz vor der Entziehung der Bewegungsfreiheit dadurch nicht gewährleistet wäre. Erschleicht der Täter das Einverständnis des Betroffenen mit der Freiheitsentziehung wie hier durch List und Täuschung, fehlte es - bei einer Beschränkung des Schutzgutes auf die aktuelle Bewegungsfreiheit - am Tatentschluss (§ 22 StGB) hinsichtlich des Merkmals der Freiheitsberaubung. Denn nach der Vorstellung des Täters will sich der Betroffene aufgrund der Täuschung aktuell nicht wegbewegen. Zum anderen verbleibt für den Versuch der Freiheitsberaubung auch dann ein Anwendungsbereich, wenn man das geschützte Rechtsgut in der potentiellen Bewegungsfreiheit sieht. Lockt der Täter den Betroffenen in ein Zimmer, um ihn darin einzuschließen, macht er sich wegen eines (fehlgeschlagenen) Versuchs der Freiheitsentziehung strafbar, wenn ihm das Einschließen etwa mangels passenden Schlüssels oder wegen Gegenwehr des Geschädigten nicht gelingt. Zudem bleiben Fälle einer Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs denkbar.

(4) Nach alledem ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und den ihm folgenden Teilen der Literatur der Vorzug zu geben, wonach § 239 StGB den Schutz der potentiellen persönlichen Bewegungsfreiheit bezweckt. Das bedeutet, dass der Tatbestand lediglich ein Handeln gegen den potentiellen Fortbewegungswillen voraussetzt.“

Fraglich ist weiter, wie es sich auswirkt, dass der Betroffene möglicherweise keine positive Kenntnis davon hat, dass er – wenn er sich wegbewegen wollen würde – dies aufgrund äußerer Hindernisse nicht könnte. Ist der Betroffene in solchen Fällen mit der Beschränkung seiner Fortbewegungsfreiheit einverstanden, könnte daraus ein tatbestandsausschließenden Einverständnis folgen. Dazu er BGH:

„dd) Daraus folgt, dass ein im natürlichen Sinn zur Änderung seines Aufenthaltsorts fähiger Mensch (…) nur dann nicht seiner Freiheit im Sinne des § 239 StGB beraubt wird, wenn er (auch) damit einverstanden ist, dass er sich selbst dann nicht fortbewegen könnte, wenn er das wollte. Ist ihm dies hingegen - etwa wie hier aufgrund von List und Täuschung des seine Bewegungsfreiheit aufhebenden Täters - nicht bewusst, ist es ohne Belang, dass er sich aktuell gar nicht fortbewegen will. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Ob ein Einverständnis tatbestandsausschließend ist, muss in Bezug auf das jeweils geschützte Rechtsgut des inmitten stehenden Straftatbestands beurteilt werden. Setzt der Tatbestand ein Handeln gegen den Willen des Berechtigten voraus (z.B. § 123 StGB), schließt dessen durch Täuschung erschlichenes Einverständnis den Tatbestand aus, da dann ein Handeln gegeben ist, das - wenn auch durch List herbeigeführt - dem Willen des Berechtigten entspricht (…). Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB ist der potentielle Fortbewegungswille. Nötig ist mithin, dass sich der Betroffene der Freiheitsentziehung und der Freiheitsentziehende über das Ausmaß und die Dauer der Freiheitsentziehung einig sind (…). Ahnt der Betroffene hingegen nicht, dass er sich selbst dann nicht fortbewegen könnte, wenn er dies wollte, ist der Tatbestand des § 239 StGB mit Blick auf das geschützte Rechtsgut der potentiellen Bewegungsfreiheit erfüllt. Ein durch List oder Täuschung erschlichenes Einverständnis des Betroffenen in eine ihm nicht bewusste Freiheitsentziehung stellt sich somit lediglich als ein Mittel zur leichteren Begehung der Freiheitsberaubung durch Verhinderung des zu erwartenden Widerstands des Betroffenen dar, das nicht zu einem Ausschluss des objektiven Tatbestands des § 239 Abs. 1 StGB führen kann (…).“

Bezogen auf die T und die Tathandlungen von M, B, O und F ergibt sich daher vorliegend Folgendes:

„II.2.b)aa) Die [T] war ihrer potentiellen Bewegungsfreiheit mit Antritt der Autofahrt … bis zum Ende der Flugreise objektiv durchgehend beraubt im Sinne des § 239 Abs. 1 StGB.

31(1) Die Wertung des Landgerichts, die [T] habe sich „jedenfalls“ nicht entfernen können, solange das Auto in Bewegung war, und sei daher ihrer Bewegungsfreiheit beraubt gewesen, ist rechtlich nicht zu beanstanden (…). Angesichts ihrer Sitzposition im Auto zwischen zwei [Tätern], ihrer durchgehenden Bewachung durch die [Täter], die bereit waren, Fluchtversuche - wie die Geschehnisse in Georgien belegen - mit roher Gewalt zu unterbinden (…), hätte sie sich weder bei kurzen Fahrtpausen noch bei einem verkehrsdingten Halt (…) oder am Flughafen entfernen können. Für den Flug nach Georgien selbst liegt dies auf der Hand (…). (…) weder die kurzen Pausen während der Autofahrt … noch der Aufenthalt am … Flughafen bis zum Besteigen des Flugzeugs [stellen] eine für den Tatbestand des Dauerdelikts des § 239 StGB relevante Zäsur dar.

(2) Wie oben dargestellt ist es im Hinblick auf die von § 239 StGB geschützte potentielle Bewegungsfreiheit ohne Belang, dass die [T] sich während der Reise nicht von [M, B, O und F] wegbewegen wollte. Angesichts ihrer Fluchtbemühungen nach der Kenntniserlangung des wahren Reisezwecks und -ziels ist das Landgericht indes rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die [T] ohne die List und Täuschung der [Täter] den Willen gehabt hätte, sich ihrer Verbringung (unter objektiv freiheitsberaubenden Umständen) nach Georgien zu entziehen.

Unerheblich ist weiter, dass nicht jeder der Täter die Tathandlungen gleichermaßen ausgeführt hat. Insoweit wird M, B, O und F, die vorab einen gemeinsamen Tatplan gefasst haben und die bei der Tatausführung auch jeweils Tatherrschaft hatten, dass objektive Handeln der anderen zugerechnet:

„Die mittäterschaftliche Tatbegehung (§ 25 Abs. 2 StGB) hat das Landgericht für [M, B, O und F] tragfähig begründet.“

c) Zwischenergebnis

M, B, O und F haben den objektiven Tatbestand von § 239 Abs. 1 StGB erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

M, B, O und F müssten auch den subjektiven Tatbestand erfüllt haben. Dieser erfordert (zumindest bedingten) Vorsatz, der sich auch auf die völlige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit des Opfers erstrecken muss. Die Freiheitsentziehung braucht aber nicht der einzige Zweck der Tathandlung zu sein.

M, B, O und F wussten, dass T nicht freiwillig das Land verlassen und – um dort bzw. in Tschetschenien verbleiben zu müssen – nach Georgien fliegen will. Ihr Wille war darauf gerichtet, die an sich (bei Kenntnis der wahren Umstände) zur Flucht bereite T daran zu hindern, sich der Verbringung ins Ausland zu entziehen, indem sie T auf der Autofahrt, am Flughafen und im Flugzeug engmaschig „begleitet“ und nicht aus den Augen bzw. in allzu weite Entfernung von ihnen gelassen haben. Dazu der BGH:

„bb) Die innere Tatseite der Freiheitsberaubung wird von den Feststellungen getragen. Insbesondere wussten die [Täter] danach, dass die Geschädigte sich „jedenfalls“ bei der Autofahrt nicht entfernen konnte und sich nur aufgrund der Täuschung der Reise nicht widersetzte.“

Auch den subjektiven Tatbestand haben M, B, O und F erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- und/oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

III. Ergebnis

M, B, O und F haben sich jeweils wegen Freiheitsberaubung in Mittäterschaft gemäß den §§ 239 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Der Versuch der (einfachen) Freiheitsberaubung – eines Vergehens i.S.v. § 12 Abs. 2 StGB – ist nach § 239 Abs. 2 StGB strafbar. Absatz 3 enthält zwei (Erfolgs-)Qualifikationen, die die Freiheitsberaubung (bei einer Strafandrohung von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) zu einem Verbrechen werden lassen: das Opfer wird länger als eine Woche der Freiheit beraubt (Nr. 1) oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung wird eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht (Nr. 2). Eine Freiheitsberaubung wird nach Absatz 4 ferner dadurch zum Verbrechen qualifiziert (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren), wenn der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung zumindest fahrlässig (§ 18 StGB) den Tod des Opfers verursacht hat. Im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 StGB) ist stets ein minder schwerer Fall nach Absatz 5 zu prüfen.

C. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH lenkt den Blick auf den für strafrechtliche Praxis, Wissenschaft und Prüfungsbetrieb jeweils gut geeigneten und relevanten Tatbestand der Freiheitsberaubung. Vor der Subsumtion der in Rede stehenden Tathandlungen wird zunächst das Schutzgut der Strafnorm bestimmt. Unter Heranziehung der bekannten Auslegungsmethoden (grammatische, systematische, subjektiv-historische und objektiv-teleologische Auslegung), die auch von Prüflingen beherrscht werden sollten, bestimmt der Senat die Reichweite des § 239 Abs. 1 StGB. Er führt die bekannte Rechtsprechung fort und entscheidet den Streit drüber, ob die Strafbarkeit einen aktuellen Fortbewegungswillen des Opfers voraussetzt oder ob es genügt, wenn dieses einen solchen Willen potenziell bilden könnte, erneut im zuletzt genannten Sinne. Diskussionswürdig bleibt allerdings nach wie vor, weshalb die Strafbarkeit losgelöst davon zu bejahen sein soll, dass das geschützte Rechtsgut (persönliche Bewegungsfreiheit) nur potentiell, aber nicht tatsächlich betroffen ist, weil der Betroffene – entweder von sich aus oder aufgrund einer Täuschung oder List – keine Kenntnis von seiner „Beraubung“ hat und sich im Zeitpunkt der (Tat-)Handlung auch nicht von dem/den vermeintlichen Täter(n) entfernen will. Auch die Beleidigung ist nur strafbar (§ 185 StGB), wenn ein Anderer die Kundgabe tatsächlich versteht.

Eine Freiheitsberaubung nach § 239 StGB „auf andere Weise“ (als durch Einsperren) wurde auch in folgendem Fall angenommen: Der Täter fordert die Geschädigte mit einem Küchenmesser in der Hand auf, sich auf den Fußboden des Wohnzimmers zu setzen. Dem kommt sie aus Angst vor Angriffen mit dem Messer nach. Sodann hält der Täter ihrem Hund und anschließend ihr die Klinge mit den Worten an den Hals, er werde ihr die Kehle durchschneiden, was die Geschädigte in Todesangst versetzt. Der Täter erlaubt ihr für etwa eine halbe Stunde nicht, ihren Sitzplatz auf dem Boden zu verlassen. Danach zieht er sie an den Haaren in das Schlafzimmer und verletzt sie am Körper. Der BGH führt dazu aus: „Der [Täter] beging den objektiven Tatbestand der Freiheitsberaubung auf andere Weise als durch Einsperren. Hierfür genügt aber nicht bereits jede Drohung mit einem empfindlichen Übel; das angedrohte Übel muss vielmehr den Grad einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erreichen (…). Das Erfordernis einer qualifizierten Nötigungshandlung ist nicht schon durch das Halten des Messers an den Hals des Hundes, sondern erst durch die entsprechende Handlung und Äußerung gegenüber der Geschädigte selbst erfüllt. Diese Todesdrohung (…) diente ausschließlich dem Zweck, ihr die Möglichkeit der Fortbewegung zu nehmen, indem sie etwa eine 1/2 Stunde auf dem Fußboden sitzen bleiben musste. Da der [Täter] gerade hierdurch die Geschädigte der Freiheit beraubte, wird vorliegend § 241 StGB durch § 240 StGB und dieser von § 239 Abs. 1 StGB verdrängt.“

Nicht zuletzt die Überlegungen des 5. Strafsenats zum tatbestandsausschließenden Einverständnis bei List und Täuschung eignen sich hervorragend für den Aufbau und Inhalt einer juristischen Prüfung!

BGH, Urt. v. 8.6.2022 − 5 StR 406/21