Gemüseblattfall nach über 60 Jahren vom BGH bestätigt

Gemüseblattfall nach über 60 Jahren vom BGH bestätigt

Weintraube statt Gemüseblatt - BGH hält an seiner Rechtsprechung fest

Der BGH hatte jüngst mit einer altbekannten Fall-Konstellation zu tun: Besteht ein Schadensersatzanspruch für die Kundin, wenn sie auf der verunreinigten Verkaufsfläche ausrutscht? Vor rund 60 Jahren wurde über ein Gemüseblatt gestritten, nun über eine Weintraube. Und in Sachen Beweislastverteilung rügte der BGH das OLG Schleswig ordentlich.

Worum geht es?

Ob Gemüseblatt oder Weintraube – wenn Kund:innen in einem Geschäft wegen einer Verunreinigung auf dem Boden stürzen, ist es unerheblich, worauf sie ausrutschen. Fest steht aber, dass dies eine Schadensersatzpflicht nach §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 2 BGB wegen der Verletzung einer vorvertraglichen Schutzpflicht begründen kann.

In einem aktuellen Fall, der sich in einem Kieler Möbelhaus zutrug, rutschte eine Kundin auf einer Weintraube auf dem Boden aus. Dabei zog sie sich schwere Verletzungen zu. Der Rechtsstreit schaffte es in der Folge bis zum BGH – der nun wiederholt auf seinen Klassiker über das Gemüseblatt verwies.

Schwerer Sturz durch Weintraube

Im November 2018 betrat die Klägerin als Kundin die Räumlichkeiten eines Möbelhauses, um dort einzukaufen. Allerdings passierte ein Unglück: In den Verkaufsräumen stürzte die Kundin so stark, dass ihr eine Hüftendoprothese implantiert werden musste. Als Ursache für den Sturz brachte sie vor – und das nahm später auch das Berufungsgericht an -, auf einer Weintraube ausgerutscht zu sein, die auf dem Boden gelegen habe. Sie warf der Betreiberin des Möbelhauses vor, nicht für eine hinreichende Reinigung des Bodens gesorgt zu haben.

Doch sowohl das LG Kiel als auch das OLG Schleswig stimmten ihr nicht zu und verneinten Schadensersatzansprüche. Daran wurde in Karlsruhe nun Kritik geübt – vor allem in Sachen der Beweislastverteilung.

Vorvertragliches Schuldverhältnis: (+)

Am Anfang ging der BGH mit den unteren Instanzen noch d‘accord: In Betracht komme eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 2 BGB wegen der Verletzung einer Pflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Die Kundin habe das Möbelhaus in einer Kaufabsicht betreten, sodass ein vorvertragliches Schuldverhältnis entstanden sei.

Aus einem solchen entstehen – obwohl noch kein Vertrag geschlossen wurde – verschiedene Pflichten (§ 241 II BGB). Danach kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten, es entstehen die sogenannten Schutz- und Fürsorgepflichten. Und dazu zähle auch auf Seiten der Beklagten, so der BGH, Vorkehrungen dahingehend zu treffen, dass Kund:innen im Verkaufsraum nicht durch einen glatten oder verunreinigten Boden zu Fall kommen könnten.

OLG: Klägerin konnte keinen Beweis führen

Die Rechtsauffassungen gingen dann aber in einem anderen Punkt auseinander, nämlich bei der Frage nach der Beweislastverteilung. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft – wie auch immer diese ausgestaltet sein mag -, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um Schädigungen anderer möglichst zu verhindern.

Nach Auffassung des OLG Schleswig hafte die Beklagte nicht für die Weintraube auf dem Boden. Das Gericht argumentierte, dass immer die Möglichkeit bestehe, dass Kund:innen im Möbelhaus etwas essen würden und dabei „kleckern“ könnten. Wolle die Klägerin in einem solchen Fall Schadensersatz geltend machen, dann müsse sie aber auch beweisen, dass die ergriffenen Sicherungsmaßnahmen (Reinigungs- und Kontrollpflicht des Möbelhauses) nicht erfolgt seien. Dies habe sie nicht gekonnt, weshalb der Schadensersatz verneint wurde – nach Auffassung des Berufungsgerichts.

Vertretenmüssen des § 280 I 2 BGB – wer muss was beweisen?

Diese Beweislastverteilung sei aber rechtsfehlerhaft, entschied nun der BGH. Das Karlsruher Gericht führte zunächst die „Basics“ aus, nämlich dass nach § 280 I 1 BGB der Gläubiger grundsätzlich die Beweislast für die Pflichtverletzung trage, der Schuldner hingegen nach § 280 I 2 BGB beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (Möglichkeit der Exkulpation).

Im Falle der im Raum stehenden Pflichtverletzung einer Verkehrssicherungspflicht gebe es aber eine Besonderheit, so der BGH. Die Pflichtwidrigkeit (§ 280 I 1 BGB) überschneide sich mit dem Vertretenmüssen (Verschulden) aus § 280 I 2 BGB. Denn:

Zum Verschulden gehört ein äußeres Fehlverhalten, im Falle der Fahrlässigkeit der Verstoß des äußeren Verhaltens gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt.

Dies habe Auswirkungen auf die Beweislastverteilung. In solch gelagerten Fällen hinsichtlich der Verletzung von Schutzpflichten werde eine Beweislastverteilung nach Gefahren- und Organisationsbereich vorgenommen, erläuterte der BGH. Nach gefestigter Rechtsprechung – und hier verwies das Gericht erneut auf den Gemüseblatt-Fall – müsse der Schuldner darlegen und auch beweisen, dass ihn keine Pflichtverletzung treffe, wenn die für den Schaden in Betracht kommende Ursache allein in seinem Gefahrenbereich liege.

Die Betreiberin des Möbelhauses hätte hier also beweisen müssen, dass von ihr die zur Vermeidung von Unfällen erforderlichen Maßnahmen getroffen worden seien. Blieben daran Zweifel, würden auch die zu ihren Lasten gehen. Die Weintraube auf dem Boden sei daher dem Gefahren- und Organisationsbereich der Beklagten zuzurechnen. Und das unabhängig davon, ob sie aus dem eigenen Sortiment stamme oder von einem anderen Kunden fallen gelassen sein könnte, denn maßgeblich sei, dass der Sturz auf der Verkaufsfläche des Möbelhauses passierte.

Das OLG Schleswig muss nun erneut ran.

(BGH Urt. v. 25.10.2022 – VI ZR 1283/20)

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