Illegale Zigarettenfabrik, BGH bezweifelt Schuld von Gastarbeitern

Illegale Zigarettenfabrik, BGH bezweifelt Schuld von Gastarbeitern

Sind Gastarbeiter in einer illegalen Zigarettenfabrik wirklich schuldig?

Illegale Zigarettenfabrik: Den Ermittlungsbehörden gelang ein großer Coup gegen den Tabak-Schwarzmarkt. Die Hintermänner sind zwar bis heute unbekannt, doch 12 Arbeiter aus der heruntergekommenen Halle wurden verurteilt. An ihren Schuldsprüchen hegte der BGH aber nun Zweifel.

Worum geht es?

Mehr als 71 Milliarden Fertigzigaretten wurden im Jahr 2021 in Deutschland konsumiert. Dass die Zahl damit um 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, kann zum einen an gesundheitlichen Gründen liegen, zum anderen aber auch am steigenden Preis der Tabakprodukte. Der Schwarzmarkt für Zigaretten ist daher ziemlich groß.

Doch die deutschen Ermittlungsbehörden konnten diesen im August 2020 um ein gutes Stück verkleinern: Zollfahnder beschlagnahmten in einer illegalen Zigarettenfabrik mehr als 10 Millionen Zigaretten. Die Hintermänner der Organisation sind zwar bis heute noch im Verborgenen, doch 12 Männer aus der Produktion wurden vom LG Kleve zu Freiheitsstrafen verurteilt. Der BGH bezweifelt aber nun teilweise die Schuldsprüche.

Illegale Zigarettenfabrik

Es ist ein spannender Fall aus dem Steuerstrafrecht, den wir anhand einer Revision eines Angeklagten aufbereiten. Dieser sei im Juni 2020 von den Hintermännern in der Ukraine angeworben worden, um in einer illegalen Zigarettenfabrik in einer heruntergekommenen Halle in Deutschland zu arbeiten. 3.000 Euro soll der ausgebildete Ingenieur im Monat dafür bekommen haben. Dort habe er die Produktionsmaschine bedient und die Generatoren gewartet.

In der Halle sei regelmäßig unversteuerter Tabakfeinschnitt angeliefert und zu Zigaretten verarbeitet worden sein, wobei die Papiere, Filter und Verpackungen bekannte Tabakmarken abgebildet haben sollen. Über die entsprechenden Rechte dafür habe die Organisation nicht verfügt. Auch die erforderlichen Steuerbanderolen seien nicht auf den Verpackungen angebracht worden.

Das illegale Vorhaben soll über einen längeren Zeitraum „gut“ gegangen sein: Wöchentlich hätten die bis heute unbekannten Hintermänner unter der Mitarbeit von zwölf Produktionshelfern – einer davon der ukrainische Ingenieur – rund 10 Millionen Zigaretten hergestellt und in ganz Europa verkauft. Doch nach einer längeren Observation schlugen die Ermittlungsbehörden zu. Am 18. August 2020 stellten sie 11.006.050 versandfertige Zigaretten und rund 17.000 Kilogramm Tabakfeinschnitt sicher. Für beides zusammen wäre eine Tabaksteuer in Höhe von rund 3 Millionen Euro angefallen.

Der Angeklagte wurde vom LG Kleve unter anderem wegen Steuerhinterziehung und banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. In Karlsruhe hegte man daran aber Zweifel – und hob das landgerichtliche Urteil teilweise auf.

Banden- und gewerbsmäßige Steuerhehlerei: (-)

Der BGH entschied über die Revision des Angeklagten, dass die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 I, II AO, § 1 II Nr. 3, V TabStG) aufzuheben sei.

Verkürzt lässt sich zu § 374 AO folgendes sagen: Der Abs. 1 verbietet die Steuerhehlerei, in Abs. 2 lässt sich eine Qualifikation der Tat aufgrund einer gewerbs- oder bandenmäßigen Begehung finden. Nach § 374 I AO macht sich derjenige der Steuerhehlerei strafbar, der mit Bereicherungsabsicht Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren Steuern hinterzogen wurden, entweder ankauft, sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder sie abzusetzen hilft. Hier standen die Varianten des Sichverschaffens (§ 374 I Var. 1 AO) und der Absatzhilfe (§ 374 I Var. 3 AO) des Tabakfeinschnitts im Raum, die der BGH beide - anders als das LG Kleve - als nicht erfüllt ansah.

Bezüglich § 374 I Var. 1 AO führte das Karlsruher Gericht aus, dass der Angeklagte den Feinschnitttabak nicht sich oder einem Dritten verschafft habe. Der Besitz daran sei unerheblich, argumentierte der BGH. Zwar sei es Tatbestandsvoraussetzung des Sichverschaffens, dass Verfügungsgewalt erlangt werde. Eine Täter- oder Teilnehmerschaft beim Angeklagten hinsichtlich der Anlieferung oder der Einlagerung lasse sich aus den Urteilsgründen aber nicht erkennen.

Aus den Urteilsgründen geht […] nicht hervor, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Vielmehr habe er (nur) die Maschinen bedient. Zum einen scheide daher eine Strafbarkeit als unmittelbarer Täter im Sinne des § 25 I Alt. 1 StGB aus. Gem. § 25 I Alt. 1 StGB ist derjenige unmittelbarer Täter, der die Tat selbst begeht. Hier habe der Angeklagte sich die Tatobjekte aber nicht selbst verschafft. Und zum anderen sei auch eine strafbare Beihilfehandlung nicht zu erkennen, so der BGH. Hier muss nämlich scharf getrennt und auf das einzelne Verhalten geachtet werden: Drei andere Angeklagte wurden nämlich wegen §§ 374 I Var. 1 AO, 27 StGB verurteilt. Diese seien aber auch für die Anlieferung und den Abtransport zuständig gewesen. “Unser” Angeklagte sei aber lediglich an der Maschine gewesen und habe somit keine, für eine Strafbarkeit als Teilnehmer erforderliche Hilfeleistung (Fördern der Haupttat) erbracht. Man kann es sich vereinfacht auch so vorstellen: Wenn sich der Angeklagte an seine Maschinen gesetzt haben soll, war der Feinschnitttabak schon zur Verarbeitung fertig - er wurde schon “sich verschafft”.

§ 374 I Var. 3 AO (-)

Und ebenso könne die Verurteilung nicht auf eine Absatzhilfe (§ 374 I Var. 3 AO) oder eine versuchte Absatzhilfe (§ 374 III AO, § 22 StGB) gestützt werden. Denn: Als der Tabakfeinschnitt beschlagnahmt wurde, habe dieser noch unbearbeitet auf dem Fabriksgelände gelegen. Allein darin lasse sich keine Absatzbemühung des Angeklagten erkennen. Und: An dem beschlagnahmten Feinschnitt habe der Angeklagte auch noch nicht zu arbeiten begonnen.

Steuerhinterziehung – mitgehangen mitgefangen?

Allerdings bleibe es bei dem Schuldspruch der Steuerhinterziehung – und hier traf der BGH spannende Ausführungen zum Täterkreis des § 370 I Nr. 3 AO, der hier einschlägig sei. Nach § 370 I Nr. 3 AO macht sich strafbar, wer pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen unterlässt und dadurch Steuern verkürzt. Auf die nachgelagerte – nach § 370 I Nr. 2 AO strafbewehrte – Pflicht, unverzüglich eine Tabaksteuererklärung abzugeben (§ 17 III 1 TabStG), um nachträglich die Tabaksteuer festzusetzen, komme es nicht an, so der BGH. Anders als bei der Steuerhehlerei, die sich auf den Tabakfeinschnitt bezog, ging es bei der Frage der Steuerhinterziehung um die beschlagnahmten 11.006.050 Zigaretten.

Auf Zigaretten-Kleinstverkaufspackungen lassen sich Steuerzeichen finden. Diese müssen angebracht werden, nämlich dann, wenn die Steuerschuld entsteht (§ 17 I 3 TabStG). Die sogenannten Steuerbanderolen lassen sofort erkennen, ob die Tabaksteuer erhoben wurde oder nicht. Ohne eine solche Kennzeichnung sind Zigaretten grundsätzlich nicht verkehrsfähig. Dies hat den Hintergrund, dass die Begleichung der Tabaksteuerschuld bereits vor ihrer Entstehung gewährleistet werden soll.

Aber wer kann überhaupt Täter des § 370 I Nr. 3 AO sein? Dazu führte der BGH nun aus, dass der Täterkreis des § 370 I Nr. 3 AO nicht nur die berechtigten Bezieher von Steuerzeichen (§ 17 II TabStG) umfassen, sondern auch die Steuerschuldner (§ 15 IV TabStG). Ansonsten würde der vom Gesetzgeber beabsichtigte Anwendungsbereich der Strafvorschrift verfehlt werden, argumentierte das Gericht.

Und der Angeklagte falle durch sein Verhalten in den Täterkreis. Er sei für das Tilgen der Tabaksteuerschuld als eine „an der Herstellung beteiligte Person“ und damit als Steuerschuldner (§ 15 IV 1 Nr. 2 Alt. 2 TabStG) zu sehen. Er habe daher pflichtwidrig im Sinne des § 370 I Nr. 3 AO keine Steuerzeichen verwendet. Dass er überhaupt keine Steuerzeichen beim zuständigen Hauptzollamt habe beziehen können, stünde dem auch nicht entgegen:

Entscheidend ist, dass er sich im Sinne eines Vorverschuldens durch sein Mitwirken am unerlaubten Herstellen in eine Situation brachte, in der er nachfolgend zwingend gegen die Pflicht zur Verwendung von Steuerzeichen verstoßen musste.

Das Urteil wurde vom BGH aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der banden- und gewerbsmäßigen Steuerhehlerei verurteilt worden ist – hier muss das LG Kleve mit einer anderen Wirtschaftsstrafkammer nochmal ran. Die Steuerhinterziehung bleibt aber bestehen.

(BGH, Urt. v. 28.07.2022 – 1 StR 470/21)