OLG Zweibrücken zum Beschleunigungsgebot

OLG Zweibrücken zum Beschleunigungsgebot

OLG Zweibrücken hebt Haftbefehl wegen nicht ausreichender Termindichte auf und ordnet die Freilassung eines nicht rechtskräftig Verurteilten an

Ein unter anderem wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge Angeklagter befindet sich seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Angesichts des bisherigen Verfahrens sei das zu lange, so das OLG Zweibrücken, und moniert einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. Das Gericht hat nun seine Freilassung angeordnet.

Worum geht es?

Das Beschleunigungsgebot ist eines der Verfahrensprinzipien im Strafprozessrecht. Es fordert eine schnelle Durchführung von Strafverfahren und dient in erster Hinsicht dem Interesse des Angeklagten, das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren schnell zu einem Abschluss zu bringen. Wie das OLG Zweibrücken in einer aktuellen Entscheidung zeigt, gilt dies auch bei schwersten Straftaten. Ein unter anderem wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge Angeklagter wurde nun aus der Untersuchungshaft entlassen.

Seit März 2020 in Untersuchungshaft

Der Angeklagte sitzt seit dem 13. März 2020 aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft. Die Tatvorwürfe gegen ihn wiegen schwer, wegen denen er auch Jahre später, nämlich im August 2022, vom LG Frankenthal verurteilt wurde. Das Gericht verurteilte den zur Tatzeit 17-Jährigen wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von zehn Jahren. Die Hauptverhandlung wurde am 21. August 2020 eröffnet.

Das Urteil des LG Frankenthals ist allerdings nicht rechtskräftig. Sowohl der Angeklagte als auch die zuständige Staatsanwaltschaft haben Revision gegen die Entscheidung eingelegt. Da dem Rechtsmittel ein Suspensiveffekt zukommt, darf das Urteil nicht vollstreckt werden. Die Folge: Der inzwischen 19-Jährige kam zurück in die Untersuchungshaft. Doch dagegen hat er nun Haftbeschwerde eingelegt.

OLG Zweibrücken ordnet Freilassung an

Im rheinland-pfälzischen OLG Zweibrücken wurde der Haftbeschwerde des Angeklagten stattgegeben mit der Folge, dass seine Freilassung angeordnet wurde. Als Begründung führte das OLG Zweibrücken eines der Verfahrensprinzipien im Strafprozess an: Das Beschleunigungsgebot. Mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG führte das Gericht aus, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft sich infolge vermeidbarer, dem Angeklagten nicht zuzurechnender Verfahrensverzögerungen nicht mehr mit dem Beschleunigungsgebot vereinbar sei.

Das Beschleunigungsgebot sei nicht nur ein Grundsatz des Strafprozesses, sondern auch ein subjektives Recht des Beschuldigten bzw. Angeschuldigten bzw. Angeklagten. Da das Strafverfahren und die entsprechende Ungewissheit seines Ausgangs für ihn eine enorme Belastung darstelle, habe er einen Anspruch darauf, dass das Verfahren schnell abgeurteilt werde. Seitens des OLG Zweibrücken heißt es daher grundlegend, dass der Beschleunigungsgrundsatz auch bei absehbar umfangreichen Verfahren stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung erfordere. Die einzelnen Verhandlungstage seien dabei möglichst auszuschöpfen.

Die Verfahrensdurchführung im vorliegenden Fall würde diese Anforderungen allerdings nicht erfüllen. In der mehr als 22 Monaten dauernden Hauptverhandlung sei nur an 57 Tagen verhandelt worden. Und an 20 dieser Verhandlungstage sei auch noch weniger als zwei Stunden verhandelt worden, kritisiert die Rechtsmittelinstanz. Es sei dadurch eine Verzögerung von knapp sechs Monaten eingetreten.

Abschließend heißt es, dass dieser Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot auch angesichts des hohen Gewichts des staatlichen Strafanspruchs im Fall des inzwischen 19-Jährigen nicht hinnehmbar sei. Das OLG Zweibrücken hat daher den Haftbefehl wegen nicht ausreichender Termindichte aufgehoben und die Freilassung des nicht rechtskräftig Verurteilten angeordnet.

Überlastung der Justiz?

In letzter Zeit mehren sich die Berichte über Gerichtsentscheidungen, die die Aufhebung von Haftbefehlen wegen Unvereinbarkeit mit dem Beschleunigungsgebot zum Gegenstand haben. Erst vor wenigen Monaten wurde etwa bekannt, dass das OLG Frankfurt am Main im benachbarten Bundesland gleich sechs Angeschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen hat. Anders als die Richter:innen in Rheinland-Pfalz nannte das hessische Gericht die „strukturelle Überlastung mit zahlreichen Haftsachen“ als Ursache.