BGH zu AGG-Hopper: Verfahren zurückgewiesen

BGH zu AGG-Hopper: Verfahren zurückgewiesen

Hat der Anwalt mit “AGG-Hopping” eine Einnahmequelle erschlossen?

Spannende Entscheidung zu einem AGG-Hopper vom BGH: Mit viel Kritik verwies das Gericht die Sache zurück nach München. Denn ob sich der angeklagte Rechtsanwalt tatsächlich nach § 263 I StGB strafbar gemacht hat, wurde in Karlsruhe bezweifelt.

Worum geht es?

In Examensklausuren kann die Thematik eines sogenannten AGG-Hoppers, also eines Scheinbewerbers, der nur auf einen Entschädigungsanspruch aus ist, gleich zweimal relevant werden: Im Zivilrecht und im Strafrecht. Mit letzterem musste sich der BGH nun befassen, der Fall nahm seinen Anfang schon vor über zehn Jahren. Angeklagt ist ein Rechtsanwalt, der nach Auffassung des Landgerichts schuldig sei. In Karlsruhe war man damit aber überhaupt nicht einverstanden.

Die Revisionsentscheidung des BGH ist nicht nur examensrelevant, weil sie sich gut mit Fragen zum Strafprozessrecht verknüpfen lässt. Insbesondere geht es um die Frage der konkludenten Täuschung beim Betrug und die Abgrenzung von straflosen Vorbereitungshandlungen und dem Versuchsbeginn.

Bruder bewirbt sich, Rechtsanwalt klagt

Alles begann 2011 in Bayern. Der angeklagte Rechtsanwalt und sein Bruder fassten den Entschluss, auf Grundlage von Scheinbewerbungen des Bruders wiederholt Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend zu machen. Dieses Vorgehen wird auch als „AGG-Hopping“ bezeichnet.

Der Bruder soll sich in den Jahren 2011 und 2012 in 12 Fällen auf Stellenangebote beworben haben, obwohl offensichtlich gewesen sei, dass er kein passender Kandidat dafür war. Nachdem er abgelehnt wurde, machte der angeklagte Rechtsanwalt Entschädigungsansprüche wegen Altersdiskriminierung aus dem AGG geltend – aber vergeblich. In allen Fällen scheiterte sein außergerichtliches Vorgehen. Erst vor Gericht konnte der Anwalt in zehn Fällen einen Vergleich erzielen.

Das Vorgehen blieb allerdings nicht unbeobachtet, die Strafverfolgungsbehörden wurden auf sie aufmerksam. Vor dem LG München I wurde der Rechtsanwalt schließlich wegen versuchten oder vollendeten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen die Entscheidung wehrte sich der Angeklagte mit seiner Revision.

BGH: Revision erfolgreich

Und tatsächlich hatte er damit in Karlsruhe gleich aus mehreren (Revisions-) Gründen Erfolg. Der Schuldspruch halte einer sachlich-rechtlichen Prüfung insgesamt nicht stand, so der BGH. Dabei komme es auf die erhobene Verfahrensrüge gar nicht mehr an (dazu am Ende des Beitrags mehr). Denn auch die Rüge der Verletzung des materiellen Rechts genüge – und das sei hier die Anwendung des § 263 StGB auf die AGG-Hopper-Fälle. In ihrem Beschluss nahmen sich die Karlsruher Richter:innen viel Raum, um grundlegende Ausführungen zu einem solchen Sachverhalt zu treffen. Im Ergebnis hat das Gericht den Schuldspruch aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Außergerichtliches Schreiben = Täuschung?

Großteils ging es um die Frage, ob der Anwalt im Sinne des § 263 I StGB getäuscht hatte, als er die anwaltlichen Schreiben verfasste und dadurch Entschädigungszahlungen nach dem AGG forderte. Die Täuschung über Tatsachen ist neben dem dadurch erregten Irrtum, der dadurch erfolgten Vermögensverfügung und dem dadurch entstandenen Vermögensschaden, eine der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs. Und sie kann grundsätzlich auch konkludent erfolgen – aber war das hier der Fall?

Dem BGH zufolge sei die Annahme des LG München I fehlerhaft, schon die außergerichtliche Geltendmachung stelle eine Täuschung über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung dar. Denn in dem Schreiben sei überhaupt nicht auf die Motivation der Bewerbungen eingegangen worden. Eine ausdrückliche falsche Tatsachenbehauptung liege damit nicht vor. Aber auch eine konkludente Täuschung sei in den Rechtsanwalts-Schreiben nicht zu erkennen, so der BGH. Nicht jeder Arbeitgeber interpretiere in diese nämlich auch die Behauptung hinein, dass die vorherige Bewerbung (des Bruders) ernsthaft gewesen sei.

An dieser Stelle verschlug es den Strafsenat auch kurz ins Arbeitsrecht: Zwar verfolge das BAG in Folge einer EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 2016 eine ständige Rechtsprechung dahingehend, dass dem Entschädigungsanspruch bei AGG-Hoppern ein Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) entgegengehalten werden könne. Dies könne auf den vorliegenden Fall aber nicht herangezogen werden, da die Taten 2011 und 2012 erfolgten. Bis dahin sei es vielmehr eine unklare Rechtslage gewesen, wie mit AGG-Hoppern umgegangen werden muss. In dem Beschluss heißt es dazu:

Dass das Bundesarbeitsgericht seit der Entscheidung des EuGH […] judiziert, dass dem Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG mit dem Rechtsmissbrauchseinwand entgegen getreten werden kann […], ist als spätere Entwicklung für die Bewertung des normativen Gesamtzusammenhangs zur Tatzeit […] ohne tragfähige Relevanz.

Prozessbetrug fraglich

Auch die den außergerichtlichen Anwaltsschreiben folgenden Gerichtsverfahren würden nicht für die Annahme eines (Prozess-)Betrugs reichen, so der BGH. Es sei im Einzelnen vielmehr festzustellen, ob der angeklagte Rechtsanwalt nach § 138 I ZPO gegen die Wahrheitspflicht verstoßen habe oder sich im Rahmen des prozessual Möglichen gehalten habe. Doch dazu fehlten in der angegriffenen Entscheidung jegliche Feststellungen, monierte der BGH.

Bestand hier ein Irrtum?

Abgesehen davon sei auch fraglich, ob die jeweiligen Arbeitgeber einem Irrtum im Sinne des § 263 I StGB unterlagen. Zumindest würde das ebenfalls nicht aus dem Urteil des LG München I hervorgehen, so der BGH. So habe eine Zeugin etwa angegeben, sich über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Gedanken gemacht zu haben. Aus Karlsruhe heißt es dazu:

Entgegen der Wertung des Landgerichts ist mit dieser Aussage ein Irrtum wiederum nicht belegt; denn das in der Aussage der Zeugin zum Ausdruck kommende gänzliche Fehlen einer Vorstellung begründet keinen Irrtum.

BGH moniert unscharfe Abgrenzung bei Versuchsbeginn

Und schließlich kritisierte der BGH auch die Abgrenzung der vorherigen Instanz in puncto strafloser Vorbereitungshandlung und Versuchsbeginn. Nach allgemeinen Grundsätzen zu dieser Abgrenzung liege ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Handlungen vor, erklärt der BGH in seinem Beschluss, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stünden. Subjektiv müsse der Täter die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreiten, objektiv müsse er derart ansetzen, dass sein Tun ohne weitere Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergehe.

Hier sei das LG München I fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt bereits mit der Versendung seiner außergerichtlichen Schreiben diese Schwelle überschritten – und damit den Betrug versucht – habe. Denn: Durch die Schreiben sei schließlich keine einzige Entschädigungszahlung erzielt worden, sondern erst vor Gericht. Das LG München I habe nicht berücksichtigt, dass es sich bei den angeschriebenen Unternehmen um „professionelle Marktteilnehmer mit einer Vielzahl von Mitarbeitern“ handele. Vor diesem Hintergrund liege es nicht nahe, dass der Rechtsanwalt geglaubt habe, dass es keiner weiteren Zwischenakte bedürfe.

Im Ergebnis verwies der BGH die Sache daher zurück. Der neue Tatrichter muss nun ganz von vorn beginnen.

Exkurs: Revisionsgründe

Die Ausführungen, die Du hier in dem Artikel liest, befassen sich allesamt mit der Rüge des materiellen Rechts, die der Angeklagte mit seiner Revision geltend machte. Sie wird auch Sachrüge genannt. Innerhalb der Revision gibt es aber noch eine weitere Art der Rüge, nämlich die Verfahrensrüge. Und diese unterteilt sich wiederum in relative (§ 337 StPO) und absolute (§ 338 StPO) Revisionsgründe.

Während bei den relativen Revisionsgründen stets besonders begründet werden muss, warum die angegriffene Entscheidung auf der Verletzung einer Verfahrensvorschrift beruht, ist das bei absoluten Revisionsgründen anders. Hier wird ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend angesehen, wenn eine der im Katalog genannten Normen verletzt wurde.

In dem Fall um den „AGG-Hopper-Rechtsanwalt“ sah der BGH nämlich auch einen absoluten Revisionsgrund - den des § 338 Nr. 5 StPO. Das LG München I hatte nämlich das Verfahren gegen den Bruder in Abwesenheit des angeklagten Anwalts abgetrennt. Allein deshalb wäre die Revision schon erfolgreich gewesen.

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