BGH zur Frage eines Herausgabeanspruchs nach einer Zug-um-Zug-Verurteilung im Vorprozess nach freiwilliger Leistung des Schädigers

BGH zur Frage eines Herausgabeanspruchs nach einer Zug-um-Zug-Verurteilung im Vorprozess nach freiwilliger Leistung des Schädigers

Kein Herausgabeanspruch nach Zug-um-Zug-Verurteilung?

Eine große Herausforderung dieses Falles besteht darin, dass es nicht wie sonst üblich eine ins Auge springende Anspruchsgrundlage gibt. Es geht dabei insbesondere um die Frage nach einer analogen Anwendung des § 255 BGB.

A. Sachverhalt

Der Beklagte ist Käufer eines Skoda Octavia mit einem Motor des Typs EA189. Aufgrund der in dem Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtung verklagte der Beklagte in einem Vorprozess die Klägerin auf Schadensersatz. Mit rechtskräftigem Urteil wurde die Klägerin in diesem Vorprozess zur Zahlung von 420 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Skoda Octavia verurteilt und der Annahmeverzug der Klägerin festgestellt. Hintergrund dieses Urteils war, dass sich der Beklagte bei der Berechnung des Schadensersatzes die gezogenen Nutzungen im Rahmen der schadensrechtlichen Vorteilsausgleichung anrechnen lassen musste und diese beinahe den Kaufpreis des Fahrzeugs erreicht hatten.

Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils überwies die Klägerin dem Beklagten
die zuerkannten 420 € nebst Zinsen. Dem war weder eine entsprechende Aufforderung des Beklagten vorausgegangen noch hatte der Beklagte die Zwangsvollstreckung eingeleitet.

Der Beklagte gab das Fahrzeug nicht heraus und zahlte auch den ihm überwiesenen Geldbetrag nicht zurück, sondern verkaufte das Fahrzeug für 5.500 € an eine Autohändlerin und vereinnahmte den Kaufpreis.

Vor dem Amtsgericht Kleve hat die Klägerin Klage auf Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs erhoben und das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.

In der Berufungsinstanz hat die Klägerin im Hinblick auf die zwischen-
zeitliche Veräußerung des Fahrzeugs anstelle der Herausgabe die Zahlung des vereinnahmten Kaufpreises in Höhe von 5.500 € begehrt.

Das Landgericht Kleve hat der geänderten Klage stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 5.500 € verurteilt.

B. Überblick

Eine große Herausforderung dieses Falles besteht darin, dass es nicht wie sonst üblich eine ins Auge springende Anspruchsgrundlage gibt.

Dazu muss man sich zunächst klar machen, dass bei einem Urteil mit einer Zug-um-Zug-Verurteilung nur der Anspruch des Klägers vollstreckbar ist. Die Zug-um-Zug Verurteilung führt hingegen nicht dazu, dass auch der Beklagte aus dem Urteil vollstrecken könnte. Dies folgt aus den §§ 756, 765 ZPO die die Vollstreckung bei Zug-um-Zug-Verurteilungen regeln.

Häufig liegt einer Zug-um-Zug-Verurteilung zwar ein ebenfalls durchsetzbarer Anspruch des Beklagten zugrunde (so. z.B. im Regelfall bei gegenseitigen Verträgen nach § 320 BGB). Klagt der Verkäufer einer Sache nach § 433 Abs. 2 BGB auf Kaufpreiszahlung, wird auf entsprechende Einrede des Käufers ebenfalls eine Verurteilung nur Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung der Kaufsache erfolgen. Der Käufer könnte seinerseits aber ebenfalls einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Kaufsache (dann Zug-um-Zug gegen die Zahlung des Kaufpreises) aus § 433 Abs. 1 BGB einklagen.

In dem vorliegenden Fall liegt dies jedoch anders. Der Klägerin steht grundsätzlich kein Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs aus einem Kauf oder einem Rückgewährschuldverhältnis zu, da sie lediglich Schadensersatz zu leisten hat. Dass die Verurteilung im Vorprozess dennoch Zug-um-Zug erfolgte, liegt darin begründet, dass die Berechnung des Schadens nach den Grundsätzen des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots berechnet wird. Macht der geschädigte Käufer einen Schadensersatzanspruch geltend und verlangt den Kaufpreis des Fahrzeugs zurück, so muss er sich einerseits die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, die aufgrund der Gleichartigkeit (jeweils Geldbeträge; für die Nutzungen wird dies anhand der zu erwartenden Gesamtlaufleistung berechnet) unmittelbar mit dem Schadensersatzanspruch saldiert werden können. Andererseits muss er das Fahrzeug zurückgeben. Da diese Leistung jedoch nicht in einer Geldleistung besteht, ist eine Saldierung nicht möglich. Daher erfolgt in diesem Fall eine Verurteilung Zug-um-Zug.

C. Entscheidung des Landgerichts Kleve

Um die Entscheidung des BGH nachvollziehen zu können macht es Sinn, sich zunächst mit der Begründung des Landgerichts Kleve auseinanderzusetzen.

Das Landgericht Kleve zieht § 255 BGB analog als Anspruchsgrundlage heran. In diesem ist folgendes geregelt:

„Wer für den Verlust einer Sache oder eines Rechts Schadensersatz zu leisten hat, ist zum Ersatz nur gegen Abtretung der Ansprüche verpflichtet, die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der Sache oder auf Grund des Rechts gegen Dritte zustehen.“

Der Normzweck von § 255 BGB liegt nach der herrschenden Meinung darin, dass ein doppelter Ausgleich zugunsten des Geschädigten vermieden werden soll. § 255 BGB ist somit Ausdruck des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots. Auch wenn der Wortlaut nicht eindeutig darauf schließen lässt, sieht die herrschende Meinung in § 255 BGB eine Anspruchsgrundlage. Diese ist unabhängig davon, ob der Schädiger seinerseits bereits geleistet hat. Hat er dies noch nicht, steht dem Geschädigten lediglich seinerseits eine Einrede zur Seite.

Das Landgericht Kleve begründet nun die analoge Anwendung des § 255 BGB damit, dass das Gesetz in Bezug auf die Herausgabe ungleichartiger Vorteile bei der Vorteilsausgleichung planwidrig lückenhaft sei und die Interessenlage derjenigen des § 255 BGB entspreche. § 255 BGB sei ebenso wie die Vorteilsausgleichung Ausdruck des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots. Bei nicht der Saldierung zugänglichen, ungleichartigen Vorteilen träfen die § 255 BGB zugrundeliegenden Erwägungen des Gesetzgebers ebenso zu. Dass dem Schädiger jedenfalls nach dem vollständigen Ausgleich des Schadens ein eigener, durchsetzbarer Anspruch auf Herausgabe eines ungleichartigen Vorteils zustehe, folge ferner aus der Möglichkeit, den Schädiger hinsichtlich der Annahme des Vorteils in Annahmeverzug zu setzen (§§ 293 ff. BGB). Denn es sei dogmatisch ausgeschlossen, Gläubiger zu sein, ohne einen eigenen Anspruch zu haben.

D. Entscheidung des BGH

I. Anspruch aus § 255 BGB

Der Schwerpunkt der Entscheidung des BGH liegt auf der Prüfung, ob § 255 BGB im vorliegenden Fall analog anwendbar ist. Dazu führt der BGH aus, dass die Durchsetzung des schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbots im Wege des Vorteilsausgleichs keinen gegen den Geschädigten gerichteten Anspruch des Schädigers wegen der seitens des Geschädigten erlangten Vorteile erfordere, sondern lediglich eine entsprechende Begrenzung des zu leistenden Schadensersatzes. Dementsprechend seien gleichartige Vorteile, ohne dass dies einredeweise geltend gemacht werden müsste, von Amts wegen auf den Schadensersatz anzurechnen und führten zu einer entsprechenden Verringerung eines in Geld zu leistenden Schadensersatzes. Dies gelte auch für Ansprüche wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB.

Der in der Vermeidung nicht gerechtfertigter Bereicherungen durch Schadensersatzleistungen und in der Begrenzung des Schadensersatzes auf die Kompensation eines erlittenen Vermögensnachteils liegende Sinn und Zweck der Vorteilsausgleichung erfordere nicht mehr als diese Begrenzung des geschuldeten Schadensersatzes in seinem Umfang, insbesondere nicht die Begründung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses mit wechselseitigen Leistungspflichten. In den Fällen der Vorteilsausgleichung liege den auf Leistung Zug um Zug gerichteten Urteilsaussprüchen dementsprechend in materiell-rechtlicher Hinsicht ausschließlich der Begrenzung der zuerkannten Forderung zugrunde, nicht etwa ein einredeweise geltend gemachter Anspruch des Schädigers gegen den Geschädigten.

Auch die Vorschriften des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB und die die Vollstreckung betreffenden §§ 756, 765 ZPO seien nicht so auszulegen, dass aus Ihnen eine analoge Anwendung für den konkreten Fall folge. Zum einen begündeten die Regeln des Annahmeverzugs ein mit wechselseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten verbundenes oder gar synallagmatisches Schuldverhältnis nicht selbst, sondern würden ein solches, anderweitig begründetes Schuldverhältnis voraussetzen. Zum anderen eröffne die Anwendung der §§ 293 ff. BGB in den Fällen des Ausgleichs ungleichartiger Vorteile dem Geschädigten lediglich die gemäß §§ 756, 765 ZPO bei Verurteilungen zur Leistung Zug um Zug auch sonst bestehende Möglichkeit einer einfachen, nicht mit unnötigen Kosten einhergehenden Zwangsvollstreckung. Dementsprechend finden die Regeln der §§ 293 ff. BGB in den Fällen des Ausgleichs ungleichartiger Vorteile nur sinngemäß Anwendung, werden also ohne Rücksicht darauf angewendet, dass es an einer erfüllbaren Verbindlichkeit des Geschädigten fehlt und die Zug-um-Zug-Verurteilung nur auf die Begrenzung des zu leistenden Schadensersatzes zurückgeht.

Die Klägerin sei hinsichtlich der von ihr gezahlten Summe in Höhe von 420 € auch nicht rechtslos gestellt. Zahle der Schädiger und Schuldner - wie hier - den im Ausspruch des rechtskräftigen Urteils vorgesehenen Geldbetrag freiwillig, erbringe er jedenfalls in der Regel eine Leistung zur Erfüllung des festgestellten, dem Umfang nach beschränkten Schadensersatzanspruchs. Bis zum Erhalt des im Urteilsausspruch vorgesehenen ungleichartigen Vorteils habe der Schädiger damit mehr geleistet als er schulde. Hierfür bestehe kein Rechtsgrund. Verweigere der Geschädigte den Ausgleich des ungleichartigen Vorteils, indem er etwa das Fahrzeug nicht herausgibt und übereignet, bleibt es dabei, dass der Schädiger eine dem Umfang nach über den geschuldeten Schadensersatz hinausgehende Leistung erbracht hat und der Geschädigte insofern rechtsgrundlos bereichert sei. Dementsprechend könne der Schädiger vom Geschädigten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Herausgabe seiner dem Umfang nach über den geschuldeten Schadensersatz hinausgehenden Leistung verlangen.

Diesem Bereicherungsanspruch des Schädigers stehe § 814 BGB regelmäßig nicht entgegen. Der Schädiger gehe in einem solchen Fall regelmäßig davon aus, dass der Vollstreckungsgläubiger an dem notwendigen Ausgleich des ungleichartigen Vorteils mitwirkt und dem Schädiger den betreffenden Gegenstand herausgibt. Eine den geschuldeten und zugesprochenen Schadensersatz dem Umfang nach übersteigende Leistung will der Schädiger in einer solchen Lage ersichtlich nicht erbringen.

II. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

Einen Anspruch aus Leistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB prüft der BGH nicht mehr, da dieser nicht auch nicht hilfsweise von der Klägerin geltend gemacht worden ist und es sich um einen anderen Streitgegenstand handele.

Wäre ein solcher Anspruch ebenfalls zu prüfen (z.B. weil er hilfsweise geltend gemacht worden ist oder der Sachverhalt entsprechend dargestellt ist), so wäre ein solcher Anspruch auf Rückzahlung der von der Klägerin gezahlten 420 € mit der oben ausgeführten Begründung zu bejahen.

E. Prüfungsrelevanz

Die Entscheidung des BGH eignet sich aufgrund des schwierigen Einstiegs und des Schwerpunktes bei der Anspruchsgrundlage eher für eine Zusatzfrage oder für eine Aufgabe in der mündlichen Prüfung. Da die Entscheidung aber Grundsätze des Schadensrechts betrifft, ist auch eine Klausur zu der Problematik nicht auszuschließen. Aufgrund des schwierigen Einstiegs ist es daher wichtig, sich mit dem Thema vorab beschäftigt zu haben, da ansonsten die Klausur oder die Aufgabe in der mündlichen Prüfung extrem schwerfallen dürfte (BGH, Urteil vom 25.07.2022, VIa ZR 485/21).