Anwendbarkeit des § 780 I ZPO auf die Haftung des Kommanditisten nach Ausscheiden des Komplementärs aus einer KG

Anwendbarkeit des § 780 I ZPO auf die Haftung des Kommanditisten nach Ausscheiden des Komplementärs aus einer KG

Das OLG Frankfurt am Main hat in einem handels- und gesellschaftsrechtlichen Fall entschieden

Der nach Ausscheiden des Komplementärs aus einer zweigliedrigen Kommanditgesellschaft verbliebene Kommanditist kann sich entsprechend § 780 I ZPO darauf beschränken, im Erkenntnisverfahren lediglich den Ausspruch des Vorbehalts einer auf das angewachsene Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung geltend zu machen. Der Fall eignet sich hervorragend, um die folgenden prüfungsrelevanten Lerninhalte aus dem Handels- und Gesellschaftsrecht zu wiederholen und zu vertiefen:

Worum geht es?

Der Fall dreht sich um eine offene Mietforderung in Höhe von gut 1 Mio. Euro. Schuldnerin ist eine Kommanditgesellschaft. Nach dem Austritt der Komplementärin war die Kommanditistin die einzig verbliebene Gesellschafterin. Die Vermieterin des Mietobjekts und hiesige Klägerin beantragte beim Registergericht die Löschung der KG, da die Beklagte, die verbliebene Gesellschafterin, den Betrieb der KG nicht dauerhaft fortgeführt habe. 

Die Klägerin ist Eigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks, welches mit einem als Alten- und Pflegeheim genutzten Gebäude bebaut ist. Mit Mietkaufvertrag vom 22. November 2007 überließ die Klägerin die Immobilie im Wege des „sale and lease back“ der X Immobilien Management GmbH zur Nutzung. Die X Immobilien Management GmbH vermietete das Gebäude ihrerseits an die B-Stift Einrichtungs- und Pflegemanagement GmbH, welche später in die B-Stift GmbH umfirmiert wurde und das Alten- und Pflegeheim bis Mai 2019 betrieb. Mit der Klägerin auf der einen und der B-Stift GmbH sowie den Rechtsvorgängerinnen, der Y Partners GmbH und der D GmbH, auf der anderen Seite wurden in Bezug auf den Mietkaufvertrag Mitverpflichtungsvereinbarungen getroffen. Aus dem zwischen der Klägerin und der X Immobilien Management GmbH abgeschlossenen Mietkaufvertrag sind Mietforderungen in Höhe von 1.374.932,50 Euro offen geblieben.

Im Mai und Juni 2019 wurde die X Immobilien GmbH in die X Immobilien Management KG, die Y Partners GmbH in die A Dritte Vermögensverwaltung KG, die D GmbH in die A Fünfte Vermögensverwaltung KG und die B-Stift GmbH in die A Siebte Vermögensverwaltung KG umgewandelt.

Im Juli/August 2019 stellte die Klägerin Insolvenzanträge hinsichtlich aller vier Kommanditgesellschaften (Beklagte zu 1) bis 4)).

Die Klägerin behauptete im ersten Rechtszug, dass die Beklagte mit dem gesamten Vermögen aufgrund einer analogen Anwendung der §§ 27, 25 HGB hafte, da eine relevante Geschäftsfortführung im Sinne des § 27 Abs. 1 HGB zunächst durch die Beklagte noch gegeben sei. Die übrig gebliebene Gesellschafterin, damals die Kommanditistin der Gesellschaft, habe somit für die offenen Mietforderungen einzustehen. Erstinstanzlich gab das LG Frankfurt am Main der Klage statt. Die Beklagte legte daraufhin das Rechtsmittel der Berufung ein.

Die Beklagte behauptete erstinstanzlich vor dem LG Frankfurt am Main, die gelöschten Kommanditgesellschaften hätten zum Zeitpunkt des Austritts des Beklagten zu 4) keinerlei Geschäftstätigkeit mehr ausgeübt. Entsprechend sei ein Handelsgeschäft der Kommanditgesellschaften durch die Beklagten zu 1) und zu 3) nicht fortgeführt worden. Auch die erforderliche Firmenfortführung sei nicht erfolgt.

Die Beklagten vertraten erstinstanzlich außerdem die Auffassung, dass sie für etwaige Verbindlichkeiten der erloschenen Kommanditgesellschaft nur mit dem ihnen zugefallenen Gesellschafts- bzw. Sondervermögen haften würden. Sie könnten daher nur zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das Vermögen verurteilt werden, das ihnen aufgrund der Anwachsung zugefallen sei.

Das Landgericht hat der gegen den Beklagten zu 4) gerichteten Klage durch Versäumnisurteil stattgegeben. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 3) gab das LG Frankfurt am Main der Klage statt LG Frankfurt am Main, Urt. v. 07.08.2020, 2-27 O 465/19).

Die Beklagten zu 1), 2) und 3) (nachfolgend: „Beklagte“) wandten sich mit ihrer eingelegten Berufung gegen die ohne Vorbehalt der Beschränkung der Haftung erfolgte Stattgabe der Klage, mit der die Klägerin sie aus einem Mietkaufvertrag in Anspruch genommen hat.

OLG Frankfurt am Main: Haftung auf angewachsenenes Gesellschaftsvermögen beschränkt

Das OLG Frankfurt am Main wies die Klage teilweise ab (Urt. v. 02.06.2021, Az. 17 U 90/20). Die Vorinstanz habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass eine Haftungsbeschränkung und der Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung zugunsten der Beklagten wirken. 

Grundsätzlich stehe der Klägerin ein Zahlungsanspruch zu, da die Beklagte als Gesamtrechtsnachfolgerin der mittlerweile aufgelösten KG hafte.

“In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass nach Ausscheiden des Komplementärs aus einer zweigliedrigen Kommanditgesellschaft das Gesellschaftsvermögen durch liquidationslose Vollbeendigung auf den verbliebenen Kommanditisten übergeht, dieser allerdings für die Altverbindlichkeiten der früheren Gesellschaft grundsätzlich nur mit dem ihm zugefallenen Gesellschaftsvermögen haftet (…). Die Haftungsbeschränkung beruht dabei auf einer Analogie zu § 27 HGB (…). Der Kommanditist haftet danach nur dann nach § 25 HGB für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen, wenn er das Handelsgeschäft fortführt, § 27 Abs. 1 HGB (…)”.

Im vorliegenden Fall sei die Haftung jedoch nach Ansicht des OLG auf das angewachsene Gesellschaftsvermögen beschränkt, da nicht zu erkennen gewesen sei, dass die Handelsgeschäfte der KG dauerhaft fortgeführt worden seien, § 27 I HGB. Eine vollumfängliche Haftung bestehe nur bei einer Fortführung des Handelsgeschäfts, was vorliegend aber nicht erfolgt sei. Die Klägerin habe nicht hinreichend darlegen können, dass die Handelsgeschäfte im Sinne des § 27 I HGB fortgeführt wurden. Die Haftung der Beklagten beschränke sich somit auf das angewachsene Gesellschaftsvermögen.

Analoge Anwendung des § 780 I ZPO

Das Besondere war hier, dass die Beklagte sich mit der eingelegten Berufung nicht gegen die Verurteilung durch das LG Frankfurt am Main dem Grunde nach richtete. Sie habe nicht auf eine mögliche Beschränkung der Haftung hingewiesen, sondern lediglich den Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung, gem. § 780 I ZPO analog, angebracht.

In § 780 I ZPO heißt es:
(1) Der als Erbe des Schuldners verurteilte Beklagte kann die Beschränkung seiner Haftung nur geltend machen, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten ist.

Das OLG Frankfurt am Main stellte aber fest, dass dieser Ausspruch des Vorbehalts ausreicht, um die Forderung in zweiter Instanz nochmals gerichtlich, in Art und Höhe, vollumfänglich zu überprüfen.

“Da die Beklagten sich mit der Berufung nicht gegen die Verurteilung dem Grunde nach wenden und ausdrücklich nicht die Beschränkung ihrer Haftung auf das den Beklagten zu 1) und zu 3) angewachsenen Vermögens, sondern - lediglich - den Ausspruch des Vorbehalts der Haftungsbeschränkung begehren, war den Beklagten in entsprechender Anwendung des § 780 ZPO (lediglich) die Beschränkung ihrer Haftung hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderungen in Höhe von zusammen 1.374.932,50 € vorzubehalten, § 308 Abs. 1 ZPO. Insoweit ist es den Beklagten nicht verwehrt, im Erkenntnisverfahren lediglich den Ausspruch des Haftungsvorbehalts entsprechend § 780 Abs. 1 ZPO geltend zu machen (…)”.

Während der Vorbehalt im Rahmen der beschränkten Erbenhaftung nach § 780 ZPO die Feststellung enthalte, dass das Gericht vom Vorliegen einer reinen Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 1967 BGB ausgehe, sei der Vorbehalt in vorliegenden Fall der Gesamtrechtsnachfolge nach liquidationsloser Vollbeendigung einer zweigliedrigen Kommanditgesellschaft durch das Ausscheiden des Komplementärs mit der Feststellung verbunden, dass das Gericht vom Vorliegen von Altverbindlichkeiten der aufgelösten Kommanditgesellschaften ausgehe, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Beklagte zu 1) bzw. zu 3) übergegangen seien.

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